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Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

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Anderer, noch ihrer selbst. Sie tödtet nur, sie schafft nichts -- Sie labt nicht.
Sie verzehrt Alles, und erzeugt nichts. Hat sie einmal Alles verschlungen, so
stirbt sie entweder an Unverdaulichkeit, oder den Hungertod.

Der Verfasser.

Im Grunde sind die Sachen, wie sie von jeher gewesen sind -- wie
sie immer bleiben werden.

Die Menschen sind nicht in der Art Brüder, wie man gemeinhin sagt;
kaum waren ihrer drei oder vier auf der Welt, so haben sie auch schon an¬
gefangen, sich einander das Leben zu nehmen.

Bei La Bruyere finden wir die Bemerkung: "Wenn es nicht mehr
als drei Menschen auf der Erde gäbe, so würden sie doch alsbald mit ein¬
ander in Streit gerathen, wäre es auch nur um der Grenzen willen."

Die Unruhe, welche gegenwärtig herrscht, hat ihren Grund darin, daß
das Volk sich ungefähr in der Lage befindet, wie der Bär im Pflanzen¬
garten. Man wirft ihm von seinem Baume herab an einem Bindfaden
einen Kuchen zu, um ihn zum Hinaufklettern zu bringen; -- sobald er aber
hinaufklettert, zieht man den Bindfaden weg.

Seit eilf Jahren hat man ihm nun den Kuchen allzu nahe vorgehal¬
ten, -- darum ist es immer mehr gereizt, ihn nicht verzehren zu sollen.

Seien es nun die Einen oder die Andern, -- die Stärkeren werden
die Anderen immer unterdrücken, wie die großen Fische die kleinen verschlin¬
gen, und ihrerseits den noch größeren zur Speise dienen. Wenn diejenigen,
welche man heute das Volk nennt, einst die werden, welche den Namen
der Staatsgewalt führen, -- so werden dann diese ihrerseits die Rolle
des Volkes spielen, -- welches dieselbe sein wird, welche heute die Staats¬
gewalt spielt.

Und deswegen sind nur alle diese Dinge -- gleichgültig.



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Anderer, noch ihrer selbst. Sie tödtet nur, sie schafft nichts — Sie labt nicht.
Sie verzehrt Alles, und erzeugt nichts. Hat sie einmal Alles verschlungen, so
stirbt sie entweder an Unverdaulichkeit, oder den Hungertod.

Der Verfasser.

Im Grunde sind die Sachen, wie sie von jeher gewesen sind — wie
sie immer bleiben werden.

Die Menschen sind nicht in der Art Brüder, wie man gemeinhin sagt;
kaum waren ihrer drei oder vier auf der Welt, so haben sie auch schon an¬
gefangen, sich einander das Leben zu nehmen.

Bei La Bruyere finden wir die Bemerkung: „Wenn es nicht mehr
als drei Menschen auf der Erde gäbe, so würden sie doch alsbald mit ein¬
ander in Streit gerathen, wäre es auch nur um der Grenzen willen.“

Die Unruhe, welche gegenwärtig herrscht, hat ihren Grund darin, daß
das Volk sich ungefähr in der Lage befindet, wie der Bär im Pflanzen¬
garten. Man wirft ihm von seinem Baume herab an einem Bindfaden
einen Kuchen zu, um ihn zum Hinaufklettern zu bringen; — sobald er aber
hinaufklettert, zieht man den Bindfaden weg.

Seit eilf Jahren hat man ihm nun den Kuchen allzu nahe vorgehal¬
ten, — darum ist es immer mehr gereizt, ihn nicht verzehren zu sollen.

Seien es nun die Einen oder die Andern, — die Stärkeren werden
die Anderen immer unterdrücken, wie die großen Fische die kleinen verschlin¬
gen, und ihrerseits den noch größeren zur Speise dienen. Wenn diejenigen,
welche man heute das Volk nennt, einst die werden, welche den Namen
der Staatsgewalt führen, — so werden dann diese ihrerseits die Rolle
des Volkes spielen, — welches dieselbe sein wird, welche heute die Staats¬
gewalt spielt.

Und deswegen sind nur alle diese Dinge — gleichgültig.



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[93/0101] Anderer, noch ihrer selbst. Sie tödtet nur, sie schafft nichts — Sie labt nicht. Sie verzehrt Alles, und erzeugt nichts. Hat sie einmal Alles verschlungen, so stirbt sie entweder an Unverdaulichkeit, oder den Hungertod. Der Verfasser. Im Grunde sind die Sachen, wie sie von jeher gewesen sind — wie sie immer bleiben werden. Die Menschen sind nicht in der Art Brüder, wie man gemeinhin sagt; kaum waren ihrer drei oder vier auf der Welt, so haben sie auch schon an¬ gefangen, sich einander das Leben zu nehmen. Bei La Bruyere finden wir die Bemerkung: „Wenn es nicht mehr als drei Menschen auf der Erde gäbe, so würden sie doch alsbald mit ein¬ ander in Streit gerathen, wäre es auch nur um der Grenzen willen.“ Die Unruhe, welche gegenwärtig herrscht, hat ihren Grund darin, daß das Volk sich ungefähr in der Lage befindet, wie der Bär im Pflanzen¬ garten. Man wirft ihm von seinem Baume herab an einem Bindfaden einen Kuchen zu, um ihn zum Hinaufklettern zu bringen; — sobald er aber hinaufklettert, zieht man den Bindfaden weg. Seit eilf Jahren hat man ihm nun den Kuchen allzu nahe vorgehal¬ ten, — darum ist es immer mehr gereizt, ihn nicht verzehren zu sollen. Seien es nun die Einen oder die Andern, — die Stärkeren werden die Anderen immer unterdrücken, wie die großen Fische die kleinen verschlin¬ gen, und ihrerseits den noch größeren zur Speise dienen. Wenn diejenigen, welche man heute das Volk nennt, einst die werden, welche den Namen der Staatsgewalt führen, — so werden dann diese ihrerseits die Rolle des Volkes spielen, — welches dieselbe sein wird, welche heute die Staats¬ gewalt spielt. Und deswegen sind nur alle diese Dinge — gleichgültig. 13

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 93. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/101>, abgerufen am 28.04.2024.