Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841.

Bild:
<< vorherige Seite

Aachen mit Lüttich verbinden sollen, flüchtig zu besehen. Nach ersterer Stadt
zu herrscht große Thätigkeit, aber die Arbeiten rücken nur langsam vorwärts,
so viel Tunnel gibt es zu durchbrechen, und so viel Erdwälle auszuwerfen,
auf dem, bei jedem Schritte, sich hebenden oder senkenden Boden. Aber im
Weze-Thal, und hauptsächlich jenseits Verviers, wo dieses große Werk mit
einem eben so löblichen Eifer gefördert wird, ist es noch viel schlimmer be¬
stellt. Dieß ganze reizende Land ist von oben bis unten umgewandt. Es
hat hier die Eisenbahn den Kopf darauf gesetzt, nur nach vorgängigem
Kampfe von der geraden Linie abzuweichen. Alle Augenblicke sieht man sie
unter einem Felsen verschwinden, oder auf Brücken über einen Waldstrom
setzen, die eben so riesenhaft sind, als die Blöcke, die man zu ihrer Erbauung
aus dem nämlichen Felsen gebrochen hat. Man stelle sich eine Nadel in einem
Korkzieher vor, so hat man die Eisenbahn von Lüttich nach Verviers.

Fenelon hat in seinem Telemach den Lärm und das Gewühl einer im Bau
begriffenen Stadt geschildert. Ich wollte eine Feder, wie die seinige (wenn es
noch eine solche gibt), versuchte es, den Anblick eines Thales, wie dieses, dar¬
zustellen, wie es den Mardern und Bibern der Industrie Preis gegeben ist.
Wenn die Marder ihr Loch gemacht haben, kommen die Biber und bauen Brük¬
ken und ziehen Viaducte mit den Felsen-Brosamen, die sie so mühsam abgenagt
und herausgeworfen haben. Man hört nichts als Hammerschläge, das Rollen
von Eisen auf Eisen, den Knall sich entladender Minen in den Steinbrüchen
und den völligen Umsturz aller dieser abgesonderten, und von der Natur zu einem
so harmonischen Ganzen vereinten Linien. Das Thal wird vielleicht an maleri¬
schem Reiz verlieren, aber welche entzückende Aussichten wird man von dieser
Eisenbahn herab entdecken, die sich bald unter der Erde verliert, bald hoch über
einem rauschenden Gewässer hängt und immer das Thal an seinen schönsten
Puncten wieder erreicht! Man braucht solche Hindernisse nur anzuführen, um
die Langsamkeit, womit dieser Theil der Belgisch-Rheinischen Eisenbahn vor¬
rückt, begreiflich zu machen. Mehr als zwei Jahre werden noch verstreichen,
ehe sie der Benutzung frei gegeben werden kann, aber welches Wunder, wenn
sie vollendet ist, und wie trifft es sich für die Ingenieure, die bisher, so zu sa¬
gen, auf dem ganz fertigen Boden von Flandern und einem Theile von Bra-
bant die Schienen nur hinzulegen brauchten, daß sie am Ende dieser Linie ge¬
rade ans den felsigsten, romantischsten und launischsten Landstrich gestoßen sind,
den vielleicht noch je ein eisernes Wagengeleis zu durchschneiden hatte.

E. R.


11

Aachen mit Lüttich verbinden sollen, flüchtig zu besehen. Nach ersterer Stadt
zu herrscht große Thätigkeit, aber die Arbeiten rücken nur langsam vorwärts,
so viel Tunnel gibt es zu durchbrechen, und so viel Erdwälle auszuwerfen,
auf dem, bei jedem Schritte, sich hebenden oder senkenden Boden. Aber im
Weze-Thal, und hauptsächlich jenseits Verviers, wo dieses große Werk mit
einem eben so löblichen Eifer gefördert wird, ist es noch viel schlimmer be¬
stellt. Dieß ganze reizende Land ist von oben bis unten umgewandt. Es
hat hier die Eisenbahn den Kopf darauf gesetzt, nur nach vorgängigem
Kampfe von der geraden Linie abzuweichen. Alle Augenblicke sieht man sie
unter einem Felsen verschwinden, oder auf Brücken über einen Waldstrom
setzen, die eben so riesenhaft sind, als die Blöcke, die man zu ihrer Erbauung
aus dem nämlichen Felsen gebrochen hat. Man stelle sich eine Nadel in einem
Korkzieher vor, so hat man die Eisenbahn von Lüttich nach Verviers.

Fenelon hat in seinem Telemach den Lärm und das Gewühl einer im Bau
begriffenen Stadt geschildert. Ich wollte eine Feder, wie die seinige (wenn es
noch eine solche gibt), versuchte es, den Anblick eines Thales, wie dieses, dar¬
zustellen, wie es den Mardern und Bibern der Industrie Preis gegeben ist.
Wenn die Marder ihr Loch gemacht haben, kommen die Biber und bauen Brük¬
ken und ziehen Viaducte mit den Felsen-Brosamen, die sie so mühsam abgenagt
und herausgeworfen haben. Man hört nichts als Hammerschläge, das Rollen
von Eisen auf Eisen, den Knall sich entladender Minen in den Steinbrüchen
und den völligen Umsturz aller dieser abgesonderten, und von der Natur zu einem
so harmonischen Ganzen vereinten Linien. Das Thal wird vielleicht an maleri¬
schem Reiz verlieren, aber welche entzückende Aussichten wird man von dieser
Eisenbahn herab entdecken, die sich bald unter der Erde verliert, bald hoch über
einem rauschenden Gewässer hängt und immer das Thal an seinen schönsten
Puncten wieder erreicht! Man braucht solche Hindernisse nur anzuführen, um
die Langsamkeit, womit dieser Theil der Belgisch-Rheinischen Eisenbahn vor¬
rückt, begreiflich zu machen. Mehr als zwei Jahre werden noch verstreichen,
ehe sie der Benutzung frei gegeben werden kann, aber welches Wunder, wenn
sie vollendet ist, und wie trifft es sich für die Ingenieure, die bisher, so zu sa¬
gen, auf dem ganz fertigen Boden von Flandern und einem Theile von Bra-
bant die Schienen nur hinzulegen brauchten, daß sie am Ende dieser Linie ge¬
rade ans den felsigsten, romantischsten und launischsten Landstrich gestoßen sind,
den vielleicht noch je ein eisernes Wagengeleis zu durchschneiden hatte.

E. R.


11
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/179468" facs="#f0085" n="77"/>
Aachen mit Lüttich verbinden sollen, flüchtig zu besehen.  Nach ersterer Stadt<lb/>
zu herrscht große Thätigkeit, aber die Arbeiten rücken nur langsam vorwärts,<lb/>
so viel Tunnel gibt es zu durchbrechen, und so viel Erdwälle auszuwerfen,<lb/>
auf dem, bei jedem Schritte, sich hebenden oder senkenden Boden.  Aber im<lb/>
Weze-Thal, und hauptsächlich jenseits Verviers, wo dieses große Werk mit<lb/>
einem eben so löblichen Eifer gefördert wird, ist es noch viel schlimmer be¬<lb/>
stellt. Dieß ganze reizende Land ist von oben bis unten umgewandt. Es<lb/>
hat hier die Eisenbahn den Kopf darauf gesetzt, nur nach vorgängigem<lb/>
Kampfe von der geraden Linie abzuweichen.  Alle Augenblicke sieht man sie<lb/>
unter einem Felsen verschwinden, oder auf Brücken über einen Waldstrom<lb/>
setzen, die eben so riesenhaft sind, als die Blöcke, die man zu ihrer Erbauung<lb/>
aus dem nämlichen Felsen gebrochen hat. Man stelle sich eine Nadel in einem<lb/>
Korkzieher vor, so hat man die Eisenbahn von Lüttich nach Verviers.</p><lb/>
        <p>Fenelon hat in seinem Telemach den Lärm und das Gewühl einer im Bau<lb/>
begriffenen Stadt geschildert. Ich wollte eine Feder, wie die seinige (wenn es<lb/>
noch eine solche gibt), versuchte es, den Anblick eines Thales, wie dieses, dar¬<lb/>
zustellen, wie es den Mardern und Bibern der Industrie Preis gegeben ist.<lb/>
Wenn die Marder ihr Loch gemacht haben, kommen die Biber und bauen Brük¬<lb/>
ken und ziehen Viaducte mit den Felsen-Brosamen, die sie so mühsam abgenagt<lb/>
und herausgeworfen haben. Man hört nichts als Hammerschläge, das Rollen<lb/>
von Eisen auf Eisen, den Knall sich entladender Minen in den Steinbrüchen<lb/>
und den völligen Umsturz aller dieser abgesonderten, und von der Natur zu einem<lb/>
so harmonischen Ganzen vereinten Linien. Das Thal wird vielleicht an maleri¬<lb/>
schem Reiz verlieren, aber welche entzückende Aussichten wird man von dieser<lb/>
Eisenbahn herab entdecken, die sich bald unter der Erde verliert, bald hoch über<lb/>
einem rauschenden Gewässer hängt und immer das Thal an seinen schönsten<lb/>
Puncten wieder erreicht! Man braucht solche Hindernisse nur anzuführen, um<lb/>
die Langsamkeit, womit dieser Theil der Belgisch-Rheinischen Eisenbahn vor¬<lb/>
rückt, begreiflich zu machen. Mehr als zwei Jahre werden noch verstreichen,<lb/>
ehe sie der Benutzung frei gegeben werden kann, aber welches Wunder, wenn<lb/>
sie vollendet ist, und wie trifft es sich für die Ingenieure, die bisher, so zu sa¬<lb/>
gen, auf dem ganz fertigen Boden von Flandern und einem Theile von Bra-<lb/>
bant die Schienen nur hinzulegen brauchten, daß sie am Ende dieser Linie ge¬<lb/>
rade ans den felsigsten, romantischsten und launischsten Landstrich gestoßen sind,<lb/>
den vielleicht noch je ein eisernes Wagengeleis zu durchschneiden hatte.</p><lb/>
        <bibl>
          <author> <hi rendition="#et">E. R.</hi> </author>
        </bibl>
      </div><lb/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <fw place="bottom" type="sig">11</fw><lb/>
    </body>
  </text>
</TEI>
[77/0085] Aachen mit Lüttich verbinden sollen, flüchtig zu besehen. Nach ersterer Stadt zu herrscht große Thätigkeit, aber die Arbeiten rücken nur langsam vorwärts, so viel Tunnel gibt es zu durchbrechen, und so viel Erdwälle auszuwerfen, auf dem, bei jedem Schritte, sich hebenden oder senkenden Boden. Aber im Weze-Thal, und hauptsächlich jenseits Verviers, wo dieses große Werk mit einem eben so löblichen Eifer gefördert wird, ist es noch viel schlimmer be¬ stellt. Dieß ganze reizende Land ist von oben bis unten umgewandt. Es hat hier die Eisenbahn den Kopf darauf gesetzt, nur nach vorgängigem Kampfe von der geraden Linie abzuweichen. Alle Augenblicke sieht man sie unter einem Felsen verschwinden, oder auf Brücken über einen Waldstrom setzen, die eben so riesenhaft sind, als die Blöcke, die man zu ihrer Erbauung aus dem nämlichen Felsen gebrochen hat. Man stelle sich eine Nadel in einem Korkzieher vor, so hat man die Eisenbahn von Lüttich nach Verviers. Fenelon hat in seinem Telemach den Lärm und das Gewühl einer im Bau begriffenen Stadt geschildert. Ich wollte eine Feder, wie die seinige (wenn es noch eine solche gibt), versuchte es, den Anblick eines Thales, wie dieses, dar¬ zustellen, wie es den Mardern und Bibern der Industrie Preis gegeben ist. Wenn die Marder ihr Loch gemacht haben, kommen die Biber und bauen Brük¬ ken und ziehen Viaducte mit den Felsen-Brosamen, die sie so mühsam abgenagt und herausgeworfen haben. Man hört nichts als Hammerschläge, das Rollen von Eisen auf Eisen, den Knall sich entladender Minen in den Steinbrüchen und den völligen Umsturz aller dieser abgesonderten, und von der Natur zu einem so harmonischen Ganzen vereinten Linien. Das Thal wird vielleicht an maleri¬ schem Reiz verlieren, aber welche entzückende Aussichten wird man von dieser Eisenbahn herab entdecken, die sich bald unter der Erde verliert, bald hoch über einem rauschenden Gewässer hängt und immer das Thal an seinen schönsten Puncten wieder erreicht! Man braucht solche Hindernisse nur anzuführen, um die Langsamkeit, womit dieser Theil der Belgisch-Rheinischen Eisenbahn vor¬ rückt, begreiflich zu machen. Mehr als zwei Jahre werden noch verstreichen, ehe sie der Benutzung frei gegeben werden kann, aber welches Wunder, wenn sie vollendet ist, und wie trifft es sich für die Ingenieure, die bisher, so zu sa¬ gen, auf dem ganz fertigen Boden von Flandern und einem Theile von Bra- bant die Schienen nur hinzulegen brauchten, daß sie am Ende dieser Linie ge¬ rade ans den felsigsten, romantischsten und launischsten Landstrich gestoßen sind, den vielleicht noch je ein eisernes Wagengeleis zu durchschneiden hatte. E. R. 11

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription. (2013-11-19T17:23:38Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Bayerische Staatbibliothek: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Signatur Per 61 k-1). (2013-11-19T17:23:38Z)

Weitere Informationen:

Art der Texterfassung: OCR.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/85
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Erster Jahrgang. Leipzig, 1841, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_179382_282158/85>, abgerufen am 29.04.2024.