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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester.

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Di" deutschen Bühnen und die Th-atcrd ichttr.

Wenige Tage nach der Aufführung eines neuen Stückes in Paris erscheint
das Buch im Druck; für wenige Sous steht es dem Publikum an allen Stra¬
ßenecken feil. In Deutschland kommt das Buch erst nach einem Jahre, oft¬
mals noch später zum Vorschein. Mittlerweile streiten darüber die Recensenten
aus allen Winkeln, wie die Hähne um die Henne. Jeder meldet etwas An.
teres; jeder erzählt den Inhalt auf eine andere Weise. Das Publikum kann
nicht selbst urtheilen, denn das Stück liegt nicht vor. Der Dichter wird zcv
setzt, zerbissen, und wenn nach einem Jahre der Druck des Drama's beginnt,
hat er bereits tausend Wunden in der öffentlichen Meinung erhalten. Woher
dieser Mißbcstand! fragt man die Dichter, so antworten sie: Wir können nicht
anders; sobald wir das Drama drucken lassen, sind die Bühnen nicht mehr
verpflichtet, uns zu zahlen. Dieses Argument scheint einer honnetten Theater-
direction gegenüber unbegründet. Was für moralischen Grund kann eine an¬
ständige Bühncnleitung haben, dem Dichter sein ihm gebührendes Honorar
vorzuenthalten, weil sein Stück gedruckt ist? Wird ihre Einnahme dadurch
geschmälert? Im Gegentheile erhält sie bei grossen Stücken das Ersparniß und
die Erleichterung, daß sie die Hauptrollen nicht kostspieliger Weise copiren zu
lassen braucht, sondern das ganze Buch den Schauspielern in die Hände giebt.
Da an manchen Bühnen das Honorar des Dichters kaum so viel beträgt, als
der Lohn, den der Theatcrcopist für das Ausschreiben der Rollen und des Souf-
flirvuches erhält (dieß ist keine Uebertreibung -- nicht nur an fast allen Pro"
vinzialtheatcrn, sondern auch an mehreren Hostheatern ist dies der Fall, der
Copist gewinnt an dem Stücke mehr als der Dichter!) so ist eine Honorarent¬
ziehung in solchen Fällen doppelt ungerecht. Und doch lassen sich so mäkler¬
artige Ungerechtigkeiten selbst vielen Hofbühnen nachweisen. Ja, oft wenn
Jemand aus dem Publikum bei einem Regisseur sich erkundigt, warum denn
dieses oder jenes Drama nicht gegeben werde, hört man die Antwort: Wir
warten, bis es gedruckt erscheint! -- So wartet auch die Katze, bis das Mäus¬
chen aus dem Loche herausschlüpft -- husch, ist es hinter ihm her, um es als
gute Prise zu verspeisen. Wenn die Schriftsteller ernstlicher zusammenhielten
und Knausereien dieser Art gehörig controllirten und züchtigten -- so würde
dieses und "och manches Andere -- ganz anders werden!




Russische Zustände.

Rußland ist mächtig. Polen, der Kaukasus und die preußischen Grenzlande
fühlen seine schwere Hand. Aber im Herzen Rußlands wuchert das Unkraut


Di« deutschen Bühnen und die Th-atcrd ichttr.

Wenige Tage nach der Aufführung eines neuen Stückes in Paris erscheint
das Buch im Druck; für wenige Sous steht es dem Publikum an allen Stra¬
ßenecken feil. In Deutschland kommt das Buch erst nach einem Jahre, oft¬
mals noch später zum Vorschein. Mittlerweile streiten darüber die Recensenten
aus allen Winkeln, wie die Hähne um die Henne. Jeder meldet etwas An.
teres; jeder erzählt den Inhalt auf eine andere Weise. Das Publikum kann
nicht selbst urtheilen, denn das Stück liegt nicht vor. Der Dichter wird zcv
setzt, zerbissen, und wenn nach einem Jahre der Druck des Drama's beginnt,
hat er bereits tausend Wunden in der öffentlichen Meinung erhalten. Woher
dieser Mißbcstand! fragt man die Dichter, so antworten sie: Wir können nicht
anders; sobald wir das Drama drucken lassen, sind die Bühnen nicht mehr
verpflichtet, uns zu zahlen. Dieses Argument scheint einer honnetten Theater-
direction gegenüber unbegründet. Was für moralischen Grund kann eine an¬
ständige Bühncnleitung haben, dem Dichter sein ihm gebührendes Honorar
vorzuenthalten, weil sein Stück gedruckt ist? Wird ihre Einnahme dadurch
geschmälert? Im Gegentheile erhält sie bei grossen Stücken das Ersparniß und
die Erleichterung, daß sie die Hauptrollen nicht kostspieliger Weise copiren zu
lassen braucht, sondern das ganze Buch den Schauspielern in die Hände giebt.
Da an manchen Bühnen das Honorar des Dichters kaum so viel beträgt, als
der Lohn, den der Theatcrcopist für das Ausschreiben der Rollen und des Souf-
flirvuches erhält (dieß ist keine Uebertreibung — nicht nur an fast allen Pro«
vinzialtheatcrn, sondern auch an mehreren Hostheatern ist dies der Fall, der
Copist gewinnt an dem Stücke mehr als der Dichter!) so ist eine Honorarent¬
ziehung in solchen Fällen doppelt ungerecht. Und doch lassen sich so mäkler¬
artige Ungerechtigkeiten selbst vielen Hofbühnen nachweisen. Ja, oft wenn
Jemand aus dem Publikum bei einem Regisseur sich erkundigt, warum denn
dieses oder jenes Drama nicht gegeben werde, hört man die Antwort: Wir
warten, bis es gedruckt erscheint! — So wartet auch die Katze, bis das Mäus¬
chen aus dem Loche herausschlüpft — husch, ist es hinter ihm her, um es als
gute Prise zu verspeisen. Wenn die Schriftsteller ernstlicher zusammenhielten
und Knausereien dieser Art gehörig controllirten und züchtigten — so würde
dieses und »och manches Andere — ganz anders werden!




Russische Zustände.

Rußland ist mächtig. Polen, der Kaukasus und die preußischen Grenzlande
fühlen seine schwere Hand. Aber im Herzen Rußlands wuchert das Unkraut


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[0055] Di« deutschen Bühnen und die Th-atcrd ichttr. Wenige Tage nach der Aufführung eines neuen Stückes in Paris erscheint das Buch im Druck; für wenige Sous steht es dem Publikum an allen Stra¬ ßenecken feil. In Deutschland kommt das Buch erst nach einem Jahre, oft¬ mals noch später zum Vorschein. Mittlerweile streiten darüber die Recensenten aus allen Winkeln, wie die Hähne um die Henne. Jeder meldet etwas An. teres; jeder erzählt den Inhalt auf eine andere Weise. Das Publikum kann nicht selbst urtheilen, denn das Stück liegt nicht vor. Der Dichter wird zcv setzt, zerbissen, und wenn nach einem Jahre der Druck des Drama's beginnt, hat er bereits tausend Wunden in der öffentlichen Meinung erhalten. Woher dieser Mißbcstand! fragt man die Dichter, so antworten sie: Wir können nicht anders; sobald wir das Drama drucken lassen, sind die Bühnen nicht mehr verpflichtet, uns zu zahlen. Dieses Argument scheint einer honnetten Theater- direction gegenüber unbegründet. Was für moralischen Grund kann eine an¬ ständige Bühncnleitung haben, dem Dichter sein ihm gebührendes Honorar vorzuenthalten, weil sein Stück gedruckt ist? Wird ihre Einnahme dadurch geschmälert? Im Gegentheile erhält sie bei grossen Stücken das Ersparniß und die Erleichterung, daß sie die Hauptrollen nicht kostspieliger Weise copiren zu lassen braucht, sondern das ganze Buch den Schauspielern in die Hände giebt. Da an manchen Bühnen das Honorar des Dichters kaum so viel beträgt, als der Lohn, den der Theatcrcopist für das Ausschreiben der Rollen und des Souf- flirvuches erhält (dieß ist keine Uebertreibung — nicht nur an fast allen Pro« vinzialtheatcrn, sondern auch an mehreren Hostheatern ist dies der Fall, der Copist gewinnt an dem Stücke mehr als der Dichter!) so ist eine Honorarent¬ ziehung in solchen Fällen doppelt ungerecht. Und doch lassen sich so mäkler¬ artige Ungerechtigkeiten selbst vielen Hofbühnen nachweisen. Ja, oft wenn Jemand aus dem Publikum bei einem Regisseur sich erkundigt, warum denn dieses oder jenes Drama nicht gegeben werde, hört man die Antwort: Wir warten, bis es gedruckt erscheint! — So wartet auch die Katze, bis das Mäus¬ chen aus dem Loche herausschlüpft — husch, ist es hinter ihm her, um es als gute Prise zu verspeisen. Wenn die Schriftsteller ernstlicher zusammenhielten und Knausereien dieser Art gehörig controllirten und züchtigten — so würde dieses und »och manches Andere — ganz anders werden! Russische Zustände. Rußland ist mächtig. Polen, der Kaukasus und die preußischen Grenzlande fühlen seine schwere Hand. Aber im Herzen Rußlands wuchert das Unkraut

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Zweites Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_266616/55>, abgerufen am 21.05.2024.