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Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester.

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menschliche Geist sich ausspricht, wie Drama, Epos, Rede, Lied :c. in
Verbindung mit den Ideen, welche die Geschichte uns darstellet, als die
antike, die christliche, protestantisch: ze., so ergiebt sich die höhere ge¬
schichtliche Methode, - welche der Verfasser glücklich mit dem Namen der
eidolvgischen bezeichnet.*) Eine solche Geschichte hat ihre Schwierigkeiten,
sie erfordert, wie Herr Baron sagt, "ein mächtiges Genie"; und doch
ist sie längst auf mehr als Einem Felde angewandt; am ausgedehnte¬
sten noch von Hegel, welcher die Weltgeschichte als Entwicklung des zu
sich selbst kommenden Geistes betrachtet, unvollständig allerdings und
nach einseitigen Voraussetzungen, aber doch, vornehmlich für das Alter¬
thum, mit höchst bedeutenden Ergebnissen. ES kommt freilich vor
Allem darauf an, den Geist selbst und die Grundideen, die in ihm liegen,
wissenschaftlich zu erkennen; ohne diese Grundlage ist alle raisonnireude
Geschichtschreibung, in diesem Betracht, dem Ungefähr preisgegeben. Was
Herr Baron Ideen nennt, die antike, christliche, moderne, sind selbst
schon geschichtliche Erscheinungsformen, durch Zeiten und Völker bestimmt,
bei denen folglich die Forschung nach Gründen und Ursachen nicht stehen
bleiben kann. Und wenn es wahr ist, daß "allen Ideen Nothwendig¬
keit und Legitimität zukommt//, so müssen wir vor Allem fragen, we>S
sind Ideen, was nicht? Giebt es doch/"in Deutschland wenigstens, Li¬
teraturhistoriker, welche eben so gut von einer chinesischen, wie von einer
classischen, von einer arabischen, wie von einer romantischen Idee
zu reden wissen.

- Die Literaturgeschichte von Herrn Baron hält sich gänzlich auf der
Mitte der Reflexion. Denn nach dem Plane des Buches konnte der Verfas¬
ser, wie er bemerkt, die eidologische Methode nicht durchführen; der rein
wissenschaftliche Zweck mußte, wie es scheint, einem näherliegenden prakti¬
schen Bedürfnisse nachstehen. --

Von den bis jetzt erschienenen zwei Bänden der Baronschen Lite¬
raturgeschichte führt uns der erste von Anfang der, literarischen
Entwicklung bis zum sechszehnten Jahrhunderte. Der Verfasser
verfolgt zuerst die Wurzeln derselben, die in römischen, gallischen, ger¬
manischen *) und christlichen Elementen liegen; er geht sodann zu einer




Vergl. einen Aufsatz im ersten Oktobcrheft der GrcnKoten, wo Herr
Baron seine Prinzipien näher entwickelt hat.
.. Mo barbarisch waren, die,teHtyn,isch,en .Stämme, nicht,, wie eS der Verfasser
annimmt. Schon Tacitus, wenn er mich dichtet, fußt auf.Thatsachen, die
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menschliche Geist sich ausspricht, wie Drama, Epos, Rede, Lied :c. in
Verbindung mit den Ideen, welche die Geschichte uns darstellet, als die
antike, die christliche, protestantisch: ze., so ergiebt sich die höhere ge¬
schichtliche Methode, - welche der Verfasser glücklich mit dem Namen der
eidolvgischen bezeichnet.*) Eine solche Geschichte hat ihre Schwierigkeiten,
sie erfordert, wie Herr Baron sagt, „ein mächtiges Genie"; und doch
ist sie längst auf mehr als Einem Felde angewandt; am ausgedehnte¬
sten noch von Hegel, welcher die Weltgeschichte als Entwicklung des zu
sich selbst kommenden Geistes betrachtet, unvollständig allerdings und
nach einseitigen Voraussetzungen, aber doch, vornehmlich für das Alter¬
thum, mit höchst bedeutenden Ergebnissen. ES kommt freilich vor
Allem darauf an, den Geist selbst und die Grundideen, die in ihm liegen,
wissenschaftlich zu erkennen; ohne diese Grundlage ist alle raisonnireude
Geschichtschreibung, in diesem Betracht, dem Ungefähr preisgegeben. Was
Herr Baron Ideen nennt, die antike, christliche, moderne, sind selbst
schon geschichtliche Erscheinungsformen, durch Zeiten und Völker bestimmt,
bei denen folglich die Forschung nach Gründen und Ursachen nicht stehen
bleiben kann. Und wenn es wahr ist, daß „allen Ideen Nothwendig¬
keit und Legitimität zukommt//, so müssen wir vor Allem fragen, we>S
sind Ideen, was nicht? Giebt es doch/„in Deutschland wenigstens, Li¬
teraturhistoriker, welche eben so gut von einer chinesischen, wie von einer
classischen, von einer arabischen, wie von einer romantischen Idee
zu reden wissen.

- Die Literaturgeschichte von Herrn Baron hält sich gänzlich auf der
Mitte der Reflexion. Denn nach dem Plane des Buches konnte der Verfas¬
ser, wie er bemerkt, die eidologische Methode nicht durchführen; der rein
wissenschaftliche Zweck mußte, wie es scheint, einem näherliegenden prakti¬
schen Bedürfnisse nachstehen. —

Von den bis jetzt erschienenen zwei Bänden der Baronschen Lite¬
raturgeschichte führt uns der erste von Anfang der, literarischen
Entwicklung bis zum sechszehnten Jahrhunderte. Der Verfasser
verfolgt zuerst die Wurzeln derselben, die in römischen, gallischen, ger¬
manischen *) und christlichen Elementen liegen; er geht sodann zu einer




Vergl. einen Aufsatz im ersten Oktobcrheft der GrcnKoten, wo Herr
Baron seine Prinzipien näher entwickelt hat.
.. Mo barbarisch waren, die,teHtyn,isch,en .Stämme, nicht,, wie eS der Verfasser
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[0220] menschliche Geist sich ausspricht, wie Drama, Epos, Rede, Lied :c. in Verbindung mit den Ideen, welche die Geschichte uns darstellet, als die antike, die christliche, protestantisch: ze., so ergiebt sich die höhere ge¬ schichtliche Methode, - welche der Verfasser glücklich mit dem Namen der eidolvgischen bezeichnet.*) Eine solche Geschichte hat ihre Schwierigkeiten, sie erfordert, wie Herr Baron sagt, „ein mächtiges Genie"; und doch ist sie längst auf mehr als Einem Felde angewandt; am ausgedehnte¬ sten noch von Hegel, welcher die Weltgeschichte als Entwicklung des zu sich selbst kommenden Geistes betrachtet, unvollständig allerdings und nach einseitigen Voraussetzungen, aber doch, vornehmlich für das Alter¬ thum, mit höchst bedeutenden Ergebnissen. ES kommt freilich vor Allem darauf an, den Geist selbst und die Grundideen, die in ihm liegen, wissenschaftlich zu erkennen; ohne diese Grundlage ist alle raisonnireude Geschichtschreibung, in diesem Betracht, dem Ungefähr preisgegeben. Was Herr Baron Ideen nennt, die antike, christliche, moderne, sind selbst schon geschichtliche Erscheinungsformen, durch Zeiten und Völker bestimmt, bei denen folglich die Forschung nach Gründen und Ursachen nicht stehen bleiben kann. Und wenn es wahr ist, daß „allen Ideen Nothwendig¬ keit und Legitimität zukommt//, so müssen wir vor Allem fragen, we>S sind Ideen, was nicht? Giebt es doch/„in Deutschland wenigstens, Li¬ teraturhistoriker, welche eben so gut von einer chinesischen, wie von einer classischen, von einer arabischen, wie von einer romantischen Idee zu reden wissen. - Die Literaturgeschichte von Herrn Baron hält sich gänzlich auf der Mitte der Reflexion. Denn nach dem Plane des Buches konnte der Verfas¬ ser, wie er bemerkt, die eidologische Methode nicht durchführen; der rein wissenschaftliche Zweck mußte, wie es scheint, einem näherliegenden prakti¬ schen Bedürfnisse nachstehen. — Von den bis jetzt erschienenen zwei Bänden der Baronschen Lite¬ raturgeschichte führt uns der erste von Anfang der, literarischen Entwicklung bis zum sechszehnten Jahrhunderte. Der Verfasser verfolgt zuerst die Wurzeln derselben, die in römischen, gallischen, ger¬ manischen *) und christlichen Elementen liegen; er geht sodann zu einer Vergl. einen Aufsatz im ersten Oktobcrheft der GrcnKoten, wo Herr Baron seine Prinzipien näher entwickelt hat. .. Mo barbarisch waren, die,teHtyn,isch,en .Stämme, nicht,, wie eS der Verfasser annimmt. Schon Tacitus, wenn er mich dichtet, fußt auf.Thatsachen, die 31

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 2, 1842, Erstes Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_282160_267214/220>, abgerufen am 26.05.2024.