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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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wickeln fähig ist. Dazu kommt noch, daß die französische Regierung,
welche für die Zukunft der neuen Dynastie besorgt ist, sich in neuester
Zeit eng an die englische angeschlossen hat, die wieder in anderer
Art für die innere Ruhe ihres Volkes besorgt sein muß. Durch so
wichtige Interessen fest an einander gekettet, wird es dem übrigen
Europa schwerlich gelingen, sie zu trennen. Sollte aber dennoch in
Folge irgend eines Ereignisses die Trennung beider gelingen, so
stände wast gar ein Bündniß der französischen Regierung mit Ruß^
land in Aussicht, und Deutschland würde dadurch in eine nach ge^
fährlichere Lage gerathen. Man hat zwar den Glauben, eine Allianz
zwischen Rußland und Frankreich sei wegen der Verschiedenheit ihrer
Prinzipien für immer unmöglich; allein die Vorgänge in Griechen^
land haben bewiesen, wie weit sich das Cabinet von Se. Petersburg
um Prinzipien kümmert, wenn es gilt, die russische Macht zu vergrö^
ßerr. Die Revoluiion von Athen wurde, wie kein Mensch mehr
zweifeli, von Rußland begünstigt, um den König Otto zu verdrängen.
Wie wenig auch die Ereignisse in Athen auf die deutschen Verhältnisse
influiren, so ist Deutschland mittelbar zu einem großen Resultate da^
bei gekommen, in so weit auch die deutschen Fürsten, die noch immer
zu Rußland seiner ,,legitimen"" Grundsätze wegen ein Vertrauen hat^
ten, die Augen geöffnet haben und erkennen, zu welchen Mitteln die
russische Poliiik im Rücken ihrer Freunde greisi. Die Ereignisse in
Serbien dienten ais Lehre für Oesterreich; die Begebenheiten in
Athen sind eine Lehre für ganz Deutschland geworden, daß Rußland
noch ein treuloserer Nachbar als Frankreich ist. Wie daher immer
die Ergebnisse der nächsten historischen Entwickelungen ausfallen ins^
gen, so viel steht fest, daß, wenn nicht eine freie und öffentliche Or^
ganisation in Deutschland bald verwirklicht und dadurch die ganze
innere Kraft der Nation entwickelt wird, die geistige und physische
Hegemonie auf Seiten des Westens sein wird.

Wir verkennen in keiner Art, wieviel, besonders in diesem Jahre,
für die Ausbildung der deutschen Heere und die Befestigungen im
südwestlichen und östlichen Deutschland, sa wie für die Herbeiführung
eines umfassenden Eisenbahnnetzes geschehen ist, wir behaupten aber,
daß solchen kolossalen Nachbarn gegenüber eine bloße materielle Ver^
Stärkung nicht ausreicht. Eine unbesiegbare Macht ist nur dann vor^
handen, wenn die geistige Kraft mit der materiellen Hand in Hand


wickeln fähig ist. Dazu kommt noch, daß die französische Regierung,
welche für die Zukunft der neuen Dynastie besorgt ist, sich in neuester
Zeit eng an die englische angeschlossen hat, die wieder in anderer
Art für die innere Ruhe ihres Volkes besorgt sein muß. Durch so
wichtige Interessen fest an einander gekettet, wird es dem übrigen
Europa schwerlich gelingen, sie zu trennen. Sollte aber dennoch in
Folge irgend eines Ereignisses die Trennung beider gelingen, so
stände wast gar ein Bündniß der französischen Regierung mit Ruß^
land in Aussicht, und Deutschland würde dadurch in eine nach ge^
fährlichere Lage gerathen. Man hat zwar den Glauben, eine Allianz
zwischen Rußland und Frankreich sei wegen der Verschiedenheit ihrer
Prinzipien für immer unmöglich; allein die Vorgänge in Griechen^
land haben bewiesen, wie weit sich das Cabinet von Se. Petersburg
um Prinzipien kümmert, wenn es gilt, die russische Macht zu vergrö^
ßerr. Die Revoluiion von Athen wurde, wie kein Mensch mehr
zweifeli, von Rußland begünstigt, um den König Otto zu verdrängen.
Wie wenig auch die Ereignisse in Athen auf die deutschen Verhältnisse
influiren, so ist Deutschland mittelbar zu einem großen Resultate da^
bei gekommen, in so weit auch die deutschen Fürsten, die noch immer
zu Rußland seiner ,,legitimen"" Grundsätze wegen ein Vertrauen hat^
ten, die Augen geöffnet haben und erkennen, zu welchen Mitteln die
russische Poliiik im Rücken ihrer Freunde greisi. Die Ereignisse in
Serbien dienten ais Lehre für Oesterreich; die Begebenheiten in
Athen sind eine Lehre für ganz Deutschland geworden, daß Rußland
noch ein treuloserer Nachbar als Frankreich ist. Wie daher immer
die Ergebnisse der nächsten historischen Entwickelungen ausfallen ins^
gen, so viel steht fest, daß, wenn nicht eine freie und öffentliche Or^
ganisation in Deutschland bald verwirklicht und dadurch die ganze
innere Kraft der Nation entwickelt wird, die geistige und physische
Hegemonie auf Seiten des Westens sein wird.

Wir verkennen in keiner Art, wieviel, besonders in diesem Jahre,
für die Ausbildung der deutschen Heere und die Befestigungen im
südwestlichen und östlichen Deutschland, sa wie für die Herbeiführung
eines umfassenden Eisenbahnnetzes geschehen ist, wir behaupten aber,
daß solchen kolossalen Nachbarn gegenüber eine bloße materielle Ver^
Stärkung nicht ausreicht. Eine unbesiegbare Macht ist nur dann vor^
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/10>, abgerufen am 26.05.2024.