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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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geht. Dies ist in Deutschland nicht der Fall; es kränkelt vielmehr
an einem mehrfachen höchst verderblichen Dualismus. Im südlichen
Deutschland hat das constitutionelle Staatsleben tiefe Wurzel geschla^
gen und noch neuerlich in Baden einen dem geheimen Regierungs^
system ergebenen Minister zum Rücktritt gezwungen, während in den
östlichen Staaten das Repräsentativsystem noch nicht volle Geltung
hat erlangen können. In den meisten Staaten besteht außerdem eine
nicht zu erkennende Kälte und Mißstimmung zwischen den Regierung
gen und den gebildeten Classen, die um so bedauernswerther is^ als
diese sowohlimKriege als im Frieden die^Führer der Massen zusein pfke^
gen. So war es in den Freiheitskriegen, so wird es immer^sein, weil
nur die Gebildeten, abgesehen von der Ueberlegenheit ihrer Kennt^^
nisse, ein klares Bewußtsein haben und nur daraus und nicht aus
einer mechanischen Befolgung gegebener Befehle in der Stunde der
Noth für die angestammten Dynastien und für die Unabhängigkeit
des Vaterlandes tiefe und wahre Begeisterung geschöpft werden kann.

Ist nun in dieser Lage der Dinge eine größere National Ent^
wickelung, besonders von der geistigen Seite, die man bisher offenbar
zu sehr vernachlässigthat, nothwendig, so kann es auch keinem Zweifel un^^
terworfen sein, daß die größern deutschen Mächte, schon ihrer größern
Wichtigkeit und Ausdehnung wegen, die Führung in einem für das
künftige Wohl Deutschlands und für den europäischen Frieden uner^
läßlichen Beschlusse übernehmen müssen.

Wir erkennen die befondere Lage Oesterreichs, das aus mehre^^
^en ungleichartigen Nationalitäten besteht, gerne an und sind weit
entfernt, dieselbe Regierungsform, wie für Preußen, zu verlangen,
das, mit Ausschluß des Großherzogthums Posen, nur aus deutschen
Stämmen zusammengesetzt ist. Der Kaiserstaat muß sich daher höher,
als die Rationalitäten stellen, und wird, auch ohne eine directe Re^
präsentation, diesen Standpunkt sicherlich auch in der Zukunft behaupt
ten, wenn er allmälig die Freiheit der Presse, so wie Oeffentlichkeit
des Gerichtsverfahrens und der Administration einführt. Man hat
gefragt, ob Oesterreich deutsch, ob es slavisch sei; wir glauben, seine
Operations^ Basis kann nicht irgend eine Nationalität, die es vor^
zugsweise begünstigt, sein, sondern der einzelne Bürger, dem sein Recht
in der revidirten Gesetzgebung klar, mit freigebiger Hand, ohne
Aengstlichkeit ges^insere fein muß. Um den einfachen Bürger dem


geht. Dies ist in Deutschland nicht der Fall; es kränkelt vielmehr
an einem mehrfachen höchst verderblichen Dualismus. Im südlichen
Deutschland hat das constitutionelle Staatsleben tiefe Wurzel geschla^
gen und noch neuerlich in Baden einen dem geheimen Regierungs^
system ergebenen Minister zum Rücktritt gezwungen, während in den
östlichen Staaten das Repräsentativsystem noch nicht volle Geltung
hat erlangen können. In den meisten Staaten besteht außerdem eine
nicht zu erkennende Kälte und Mißstimmung zwischen den Regierung
gen und den gebildeten Classen, die um so bedauernswerther is^ als
diese sowohlimKriege als im Frieden die^Führer der Massen zusein pfke^
gen. So war es in den Freiheitskriegen, so wird es immer^sein, weil
nur die Gebildeten, abgesehen von der Ueberlegenheit ihrer Kennt^^
nisse, ein klares Bewußtsein haben und nur daraus und nicht aus
einer mechanischen Befolgung gegebener Befehle in der Stunde der
Noth für die angestammten Dynastien und für die Unabhängigkeit
des Vaterlandes tiefe und wahre Begeisterung geschöpft werden kann.

Ist nun in dieser Lage der Dinge eine größere National Ent^
wickelung, besonders von der geistigen Seite, die man bisher offenbar
zu sehr vernachlässigthat, nothwendig, so kann es auch keinem Zweifel un^^
terworfen sein, daß die größern deutschen Mächte, schon ihrer größern
Wichtigkeit und Ausdehnung wegen, die Führung in einem für das
künftige Wohl Deutschlands und für den europäischen Frieden uner^
läßlichen Beschlusse übernehmen müssen.

Wir erkennen die befondere Lage Oesterreichs, das aus mehre^^
^en ungleichartigen Nationalitäten besteht, gerne an und sind weit
entfernt, dieselbe Regierungsform, wie für Preußen, zu verlangen,
das, mit Ausschluß des Großherzogthums Posen, nur aus deutschen
Stämmen zusammengesetzt ist. Der Kaiserstaat muß sich daher höher,
als die Rationalitäten stellen, und wird, auch ohne eine directe Re^
präsentation, diesen Standpunkt sicherlich auch in der Zukunft behaupt
ten, wenn er allmälig die Freiheit der Presse, so wie Oeffentlichkeit
des Gerichtsverfahrens und der Administration einführt. Man hat
gefragt, ob Oesterreich deutsch, ob es slavisch sei; wir glauben, seine
Operations^ Basis kann nicht irgend eine Nationalität, die es vor^
zugsweise begünstigt, sein, sondern der einzelne Bürger, dem sein Recht
in der revidirten Gesetzgebung klar, mit freigebiger Hand, ohne
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/11>, abgerufen am 19.05.2024.