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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Noch vieles Musikalische wurde besprochen; die Verdienste
Spontini's kamen zur Erörterung; von ihm wurde gesagt, er sei der
Komponist der Zeiten Napoleons, und je weiter uns die Kaiserzeit
entschwinde, desto fremder werde uns Spontini, bis er endlich mit
ihren Erinnerungen werde zur Ruhe gesetzt werden. Ueber Rell-
stab's feindselige, grausame Kritik wurde geklagt, daneben im Allge¬
meinen sein Talent der Auffassung und Charakterisirung gerühmt,
wie er eS namentlich in den Artikeln über Paganini bewiesen habe,
ferner seine rüstige Tapferkeit, seine rasche Entschlossenheit, denn er
horche nicht erst ängstlich umher nach andern Urtheilen, sondern das
seinige trete gleich entschieden hervor und sei geschrieben und gedruckt,
ehe andere Kritiker sich noch besonnen hätten, was sie sagen wollten.
Von Zelter sagte Robert, er sei mehr Berliner, als Musiker, und da¬
durch eben der rechte Berliner Musiker! Der Geschmack Berlins in
der Musik, ja in Künsten überhaupt, wurde heftig angegriffen und
eben so vertheidigt, es kam bis zu der Behauptung, die Scheinheilig-
keit sei tief in die Musik eingedrungen; es gebe viele Leute, die sich
für Händel, Sebastian Bach und auch noch für Gluck und Haydn
in derselben Art passionirten, wie für Goßner und Hengstenberg, und
sich oft genug für ihre doppelte Heuchelei durch doppelte Langeweile
straften! Genug, über diejenige Kunst, deren Wesen am meisten Zu¬
sammenstimmung und Eintracht fordert, sielen die Meinungen gerade
am verschiedensten und feindseligsten aus, und in der That, keine an¬
dere hat jemals so erbitterte, so hartnäckige Streitigkeiten gehegt!

Von den musikalischen Parteien hatte man nicht weit zu den
politischen; sie fanden sich in der kleinen Gesellschaft hinlänglich ver¬
treten, vom äußersten Ultra durch viele Mittelglieder bis zum äußer¬
sten Liberalen. Da seit vierzig Jahren der Zustand von Frankreich
Stoff und Maß und Ton für alle politischen Erörterungen gibt, und
alles sonstige politische Interesse seiner Natur nach in diesen Wirbel
fällt, so war bald von dem Fürsten Polignac die Rede. Fast ein¬
stimmig hatte man große Befürchtungen. Frau von Varnhagen er¬
zählte, wie ihr den Sommer vorher in Baden-Baden der kluge Ben¬
jamin Constant den Gang dieser Dinge vorausgesagt, und wie bis¬
her noch Alles so ziemlich nach seiner Verkündigung eingetroffen, der
letzte Entscheidungskampf aber noch bevorstehe. Jemand sagte, der
Fürst von Polignac werde dreist genug sein, denn er sei kurzsichtig


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Noch vieles Musikalische wurde besprochen; die Verdienste
Spontini's kamen zur Erörterung; von ihm wurde gesagt, er sei der
Komponist der Zeiten Napoleons, und je weiter uns die Kaiserzeit
entschwinde, desto fremder werde uns Spontini, bis er endlich mit
ihren Erinnerungen werde zur Ruhe gesetzt werden. Ueber Rell-
stab's feindselige, grausame Kritik wurde geklagt, daneben im Allge¬
meinen sein Talent der Auffassung und Charakterisirung gerühmt,
wie er eS namentlich in den Artikeln über Paganini bewiesen habe,
ferner seine rüstige Tapferkeit, seine rasche Entschlossenheit, denn er
horche nicht erst ängstlich umher nach andern Urtheilen, sondern das
seinige trete gleich entschieden hervor und sei geschrieben und gedruckt,
ehe andere Kritiker sich noch besonnen hätten, was sie sagen wollten.
Von Zelter sagte Robert, er sei mehr Berliner, als Musiker, und da¬
durch eben der rechte Berliner Musiker! Der Geschmack Berlins in
der Musik, ja in Künsten überhaupt, wurde heftig angegriffen und
eben so vertheidigt, es kam bis zu der Behauptung, die Scheinheilig-
keit sei tief in die Musik eingedrungen; es gebe viele Leute, die sich
für Händel, Sebastian Bach und auch noch für Gluck und Haydn
in derselben Art passionirten, wie für Goßner und Hengstenberg, und
sich oft genug für ihre doppelte Heuchelei durch doppelte Langeweile
straften! Genug, über diejenige Kunst, deren Wesen am meisten Zu¬
sammenstimmung und Eintracht fordert, sielen die Meinungen gerade
am verschiedensten und feindseligsten aus, und in der That, keine an¬
dere hat jemals so erbitterte, so hartnäckige Streitigkeiten gehegt!

Von den musikalischen Parteien hatte man nicht weit zu den
politischen; sie fanden sich in der kleinen Gesellschaft hinlänglich ver¬
treten, vom äußersten Ultra durch viele Mittelglieder bis zum äußer¬
sten Liberalen. Da seit vierzig Jahren der Zustand von Frankreich
Stoff und Maß und Ton für alle politischen Erörterungen gibt, und
alles sonstige politische Interesse seiner Natur nach in diesen Wirbel
fällt, so war bald von dem Fürsten Polignac die Rede. Fast ein¬
stimmig hatte man große Befürchtungen. Frau von Varnhagen er¬
zählte, wie ihr den Sommer vorher in Baden-Baden der kluge Ben¬
jamin Constant den Gang dieser Dinge vorausgesagt, und wie bis¬
her noch Alles so ziemlich nach seiner Verkündigung eingetroffen, der
letzte Entscheidungskampf aber noch bevorstehe. Jemand sagte, der
Fürst von Polignac werde dreist genug sein, denn er sei kurzsichtig


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[0211] Noch vieles Musikalische wurde besprochen; die Verdienste Spontini's kamen zur Erörterung; von ihm wurde gesagt, er sei der Komponist der Zeiten Napoleons, und je weiter uns die Kaiserzeit entschwinde, desto fremder werde uns Spontini, bis er endlich mit ihren Erinnerungen werde zur Ruhe gesetzt werden. Ueber Rell- stab's feindselige, grausame Kritik wurde geklagt, daneben im Allge¬ meinen sein Talent der Auffassung und Charakterisirung gerühmt, wie er eS namentlich in den Artikeln über Paganini bewiesen habe, ferner seine rüstige Tapferkeit, seine rasche Entschlossenheit, denn er horche nicht erst ängstlich umher nach andern Urtheilen, sondern das seinige trete gleich entschieden hervor und sei geschrieben und gedruckt, ehe andere Kritiker sich noch besonnen hätten, was sie sagen wollten. Von Zelter sagte Robert, er sei mehr Berliner, als Musiker, und da¬ durch eben der rechte Berliner Musiker! Der Geschmack Berlins in der Musik, ja in Künsten überhaupt, wurde heftig angegriffen und eben so vertheidigt, es kam bis zu der Behauptung, die Scheinheilig- keit sei tief in die Musik eingedrungen; es gebe viele Leute, die sich für Händel, Sebastian Bach und auch noch für Gluck und Haydn in derselben Art passionirten, wie für Goßner und Hengstenberg, und sich oft genug für ihre doppelte Heuchelei durch doppelte Langeweile straften! Genug, über diejenige Kunst, deren Wesen am meisten Zu¬ sammenstimmung und Eintracht fordert, sielen die Meinungen gerade am verschiedensten und feindseligsten aus, und in der That, keine an¬ dere hat jemals so erbitterte, so hartnäckige Streitigkeiten gehegt! Von den musikalischen Parteien hatte man nicht weit zu den politischen; sie fanden sich in der kleinen Gesellschaft hinlänglich ver¬ treten, vom äußersten Ultra durch viele Mittelglieder bis zum äußer¬ sten Liberalen. Da seit vierzig Jahren der Zustand von Frankreich Stoff und Maß und Ton für alle politischen Erörterungen gibt, und alles sonstige politische Interesse seiner Natur nach in diesen Wirbel fällt, so war bald von dem Fürsten Polignac die Rede. Fast ein¬ stimmig hatte man große Befürchtungen. Frau von Varnhagen er¬ zählte, wie ihr den Sommer vorher in Baden-Baden der kluge Ben¬ jamin Constant den Gang dieser Dinge vorausgesagt, und wie bis¬ her noch Alles so ziemlich nach seiner Verkündigung eingetroffen, der letzte Entscheidungskampf aber noch bevorstehe. Jemand sagte, der Fürst von Polignac werde dreist genug sein, denn er sei kurzsichtig 27»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/211>, abgerufen am 17.06.2024.