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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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frißt; übrigens vergleiche man nur nicht unser armes, vereinzeltes,
mel)r widerwärtiges als gefährliches Frönunlerwesen mit dem furcht¬
baren, allverzweigten, nachhaltigen Vordringen römischer Hierarchie!
Jenes hat gar keinen eigenen Boden; indem es anwächst, fällt es aus
einander und wird höchstens dadurch etwas, daß es zu dem alten
Stamm hinübergeht, wozu alles protestantische Frömmeln von je¬
her Neigung hat, -- zum Katholischen. Herr von Varnhagen
stimmte der letzten Meinung bei, nicht aber der ersteren ; er hielt die
römische Hierarchie nicht für gefährlich, oder höchstens in protestan¬
tischen Ländern, in katholischen sei ihre Macht gebrochen, und in
Frankreich selbst, wo sie jetzt am mächtigsten scheine, habe sie blos
den Hof, aber nicht Staat noch Volk für sich. -- Man wandte das
Umsichgreifen der Jesuiten ein, die nicht blos in Frankreich, sondern
in den Niederlanden, in der Schweiz, in Oesterreich und sogar in
England geheim und offen stets mehr Boden gewännen; aber dem
wurde entgegengesetzt, daß die Jesuiten selbst nicht mehr das seien,
noch werden könnten, was sie einst gewesen; diese Behauptung
wurde durch ein Wort erhärtet, das ein alter Erjcsuit in Rom gegen
Wesfenberg geäußert ; dieser nämlich hatte gefragt, ob eS ihn denn nicht
freue, die Erneuerung des Ordens erlebt zu haben, und ob er nicht
dadurch zu frischer Thätigkeit ermuntert worden? Da sei der Gneis,
hieß es, wie verjüngt aufgefahren und habe feurig ausgerufen: Blut
und Leben für unsern alten Orden! Aber für dieses alberne Nach-
gebild keinen Pfifferling! -- Min erzählte darauf mancherlei Scherz¬
haftes, um die Unschuld des hiesigen Pietismus zu bezeichnen; als
ganz kürzlich vorgefallen, wurde folgendes Geschichtchen verbürgt: In
der Familie eines angesehenen Frommen wollte man alles Lügen,
auch das blos formelle und eigentlich nichtssagende, auf das strengste
abschaffen, und hatte zu diesem Zweck auch die Kinder und besonders
die Dienerschaft genau verständigt; eines Abends sitzt man beim
Thee und spricht erbaulich oder schweigt auch, da wird ein störender
Besuch angemeldet, doppelt störend, weil er als ein weltlichgesinnter
bekannt ist, und die Dame des Hauses entschließt sich kurz und flü¬
stert dem Bedienten zu: Sag' Er, wir seien nicht zu Hause! Der
kluge Diener aber, schon gut eingelernt, versetzt demüthig: Verzeihen
Ew. Gnaden, da würde ich ja lügen! Die Dame, betroffen und
ihres Mißgriffs eingeständig, faßt sich und sagt mit sanftem Tone:


frißt; übrigens vergleiche man nur nicht unser armes, vereinzeltes,
mel)r widerwärtiges als gefährliches Frönunlerwesen mit dem furcht¬
baren, allverzweigten, nachhaltigen Vordringen römischer Hierarchie!
Jenes hat gar keinen eigenen Boden; indem es anwächst, fällt es aus
einander und wird höchstens dadurch etwas, daß es zu dem alten
Stamm hinübergeht, wozu alles protestantische Frömmeln von je¬
her Neigung hat, — zum Katholischen. Herr von Varnhagen
stimmte der letzten Meinung bei, nicht aber der ersteren ; er hielt die
römische Hierarchie nicht für gefährlich, oder höchstens in protestan¬
tischen Ländern, in katholischen sei ihre Macht gebrochen, und in
Frankreich selbst, wo sie jetzt am mächtigsten scheine, habe sie blos
den Hof, aber nicht Staat noch Volk für sich. -- Man wandte das
Umsichgreifen der Jesuiten ein, die nicht blos in Frankreich, sondern
in den Niederlanden, in der Schweiz, in Oesterreich und sogar in
England geheim und offen stets mehr Boden gewännen; aber dem
wurde entgegengesetzt, daß die Jesuiten selbst nicht mehr das seien,
noch werden könnten, was sie einst gewesen; diese Behauptung
wurde durch ein Wort erhärtet, das ein alter Erjcsuit in Rom gegen
Wesfenberg geäußert ; dieser nämlich hatte gefragt, ob eS ihn denn nicht
freue, die Erneuerung des Ordens erlebt zu haben, und ob er nicht
dadurch zu frischer Thätigkeit ermuntert worden? Da sei der Gneis,
hieß es, wie verjüngt aufgefahren und habe feurig ausgerufen: Blut
und Leben für unsern alten Orden! Aber für dieses alberne Nach-
gebild keinen Pfifferling! — Min erzählte darauf mancherlei Scherz¬
haftes, um die Unschuld des hiesigen Pietismus zu bezeichnen; als
ganz kürzlich vorgefallen, wurde folgendes Geschichtchen verbürgt: In
der Familie eines angesehenen Frommen wollte man alles Lügen,
auch das blos formelle und eigentlich nichtssagende, auf das strengste
abschaffen, und hatte zu diesem Zweck auch die Kinder und besonders
die Dienerschaft genau verständigt; eines Abends sitzt man beim
Thee und spricht erbaulich oder schweigt auch, da wird ein störender
Besuch angemeldet, doppelt störend, weil er als ein weltlichgesinnter
bekannt ist, und die Dame des Hauses entschließt sich kurz und flü¬
stert dem Bedienten zu: Sag' Er, wir seien nicht zu Hause! Der
kluge Diener aber, schon gut eingelernt, versetzt demüthig: Verzeihen
Ew. Gnaden, da würde ich ja lügen! Die Dame, betroffen und
ihres Mißgriffs eingeständig, faßt sich und sagt mit sanftem Tone:


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[0213] frißt; übrigens vergleiche man nur nicht unser armes, vereinzeltes, mel)r widerwärtiges als gefährliches Frönunlerwesen mit dem furcht¬ baren, allverzweigten, nachhaltigen Vordringen römischer Hierarchie! Jenes hat gar keinen eigenen Boden; indem es anwächst, fällt es aus einander und wird höchstens dadurch etwas, daß es zu dem alten Stamm hinübergeht, wozu alles protestantische Frömmeln von je¬ her Neigung hat, — zum Katholischen. Herr von Varnhagen stimmte der letzten Meinung bei, nicht aber der ersteren ; er hielt die römische Hierarchie nicht für gefährlich, oder höchstens in protestan¬ tischen Ländern, in katholischen sei ihre Macht gebrochen, und in Frankreich selbst, wo sie jetzt am mächtigsten scheine, habe sie blos den Hof, aber nicht Staat noch Volk für sich. -- Man wandte das Umsichgreifen der Jesuiten ein, die nicht blos in Frankreich, sondern in den Niederlanden, in der Schweiz, in Oesterreich und sogar in England geheim und offen stets mehr Boden gewännen; aber dem wurde entgegengesetzt, daß die Jesuiten selbst nicht mehr das seien, noch werden könnten, was sie einst gewesen; diese Behauptung wurde durch ein Wort erhärtet, das ein alter Erjcsuit in Rom gegen Wesfenberg geäußert ; dieser nämlich hatte gefragt, ob eS ihn denn nicht freue, die Erneuerung des Ordens erlebt zu haben, und ob er nicht dadurch zu frischer Thätigkeit ermuntert worden? Da sei der Gneis, hieß es, wie verjüngt aufgefahren und habe feurig ausgerufen: Blut und Leben für unsern alten Orden! Aber für dieses alberne Nach- gebild keinen Pfifferling! — Min erzählte darauf mancherlei Scherz¬ haftes, um die Unschuld des hiesigen Pietismus zu bezeichnen; als ganz kürzlich vorgefallen, wurde folgendes Geschichtchen verbürgt: In der Familie eines angesehenen Frommen wollte man alles Lügen, auch das blos formelle und eigentlich nichtssagende, auf das strengste abschaffen, und hatte zu diesem Zweck auch die Kinder und besonders die Dienerschaft genau verständigt; eines Abends sitzt man beim Thee und spricht erbaulich oder schweigt auch, da wird ein störender Besuch angemeldet, doppelt störend, weil er als ein weltlichgesinnter bekannt ist, und die Dame des Hauses entschließt sich kurz und flü¬ stert dem Bedienten zu: Sag' Er, wir seien nicht zu Hause! Der kluge Diener aber, schon gut eingelernt, versetzt demüthig: Verzeihen Ew. Gnaden, da würde ich ja lügen! Die Dame, betroffen und ihres Mißgriffs eingeständig, faßt sich und sagt mit sanftem Tone:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/213>, abgerufen am 17.06.2024.