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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Nun, so sag' Er, es würde uns recht angenehm sein! -- Damit geht
der Bediente ab, ist aber kaum hinaus, so sagt ein kleiner Knabe
ganz unschuldig: Aber Mutter, Du lügst ja wieder! -- In solche
Klemme, sagte der Erzähler, geräth man, wenn man das Aeußerliche
zur Herrschaft erhebt und Wesen und Gehalt ihm unterordnet. --

H..., der die Gabe besitzt, den tiefsten Ernst in ein anmuthiges
Gewand zu kleiden und bald als beißende Anekdote, bald als wissen¬
schaftliche Erkenntniß, bald auch als erheiternden Witz vorzutragen,
war unerschöpflich in Angaben der mannichfachsten Art, aus denen
der Gegenstand in immer neuem Lichte sich abspiegelte; die verschie¬
denen Gattungen der Frömmigkeit, welche er in allen Sphären seiner
umfassenden Weltkunde beobachtet, bei Anglicanem, Quäkern und
Methodisten, in Paris unter Napoleons Concordat und am Hofe
Karl's X., bei spanischen Katholiken, unter Wilden am Orinoko und
am Mississippi, alle classificirte er, wie ein Botaniker seine Pflanzen,
nach bestimmten charakteristischen Zeichen und begehrte die des Ber¬
liner Frömmclns näher zu erfragen, um darnach Geschlecht und Ord¬
nung sicher auszufinden; aber am Ende schien er alle Sorten nur
für Spielarten, künstliche und verderbte, einer unscheinbaren Pflanze
zu halten, die in ihrer echten ursprünglichen Art nur an einsamen,
stillen Orten zu finden sei! --

Die Gesellschaft minderte sich; nach einer Weile sah ich auch
Herrn von H... nicht mehr, der doch sonst aller Orten fast immer
einer der Letzten wegging; um so lebhafter aber wurde nun sein
Ruhm verkündet; Frau von Varnhagen stellte seine edlen Eigen--
schaften, die man um seiner glänzenden willen zu oft übersehe, in das
hellste Licht; sie verbot geradezu, bei bedeutenden Menschen sich an
ihre Schwächen oder persönlichen Kleinigkeiten zu halten, die man
jedem Andern zu verzeihen bereit sei, nur grade einem großen Manne
nicht, dem doch allein sie zu verzeihen wären. --

Wir waren noch ungefähr sechs oder sieben Personen, und das
Gespräch zog sich mehr zusammen, indem es zugleich lebhafter und
traulicher wurde. Gans warf sich mehr und mehr als Beherrscher
desselben auf, aber auch Frau von Varnhagen ließ ihren Antheil nicht
vermissen. Ich betrachtete mit Wohlgefallen ihre Art einzuwirken und
zu beleben; erkannte darin ein wahrhaftes Talent und fragte mich im


Nun, so sag' Er, es würde uns recht angenehm sein! — Damit geht
der Bediente ab, ist aber kaum hinaus, so sagt ein kleiner Knabe
ganz unschuldig: Aber Mutter, Du lügst ja wieder! — In solche
Klemme, sagte der Erzähler, geräth man, wenn man das Aeußerliche
zur Herrschaft erhebt und Wesen und Gehalt ihm unterordnet. —

H..., der die Gabe besitzt, den tiefsten Ernst in ein anmuthiges
Gewand zu kleiden und bald als beißende Anekdote, bald als wissen¬
schaftliche Erkenntniß, bald auch als erheiternden Witz vorzutragen,
war unerschöpflich in Angaben der mannichfachsten Art, aus denen
der Gegenstand in immer neuem Lichte sich abspiegelte; die verschie¬
denen Gattungen der Frömmigkeit, welche er in allen Sphären seiner
umfassenden Weltkunde beobachtet, bei Anglicanem, Quäkern und
Methodisten, in Paris unter Napoleons Concordat und am Hofe
Karl's X., bei spanischen Katholiken, unter Wilden am Orinoko und
am Mississippi, alle classificirte er, wie ein Botaniker seine Pflanzen,
nach bestimmten charakteristischen Zeichen und begehrte die des Ber¬
liner Frömmclns näher zu erfragen, um darnach Geschlecht und Ord¬
nung sicher auszufinden; aber am Ende schien er alle Sorten nur
für Spielarten, künstliche und verderbte, einer unscheinbaren Pflanze
zu halten, die in ihrer echten ursprünglichen Art nur an einsamen,
stillen Orten zu finden sei! —

Die Gesellschaft minderte sich; nach einer Weile sah ich auch
Herrn von H... nicht mehr, der doch sonst aller Orten fast immer
einer der Letzten wegging; um so lebhafter aber wurde nun sein
Ruhm verkündet; Frau von Varnhagen stellte seine edlen Eigen--
schaften, die man um seiner glänzenden willen zu oft übersehe, in das
hellste Licht; sie verbot geradezu, bei bedeutenden Menschen sich an
ihre Schwächen oder persönlichen Kleinigkeiten zu halten, die man
jedem Andern zu verzeihen bereit sei, nur grade einem großen Manne
nicht, dem doch allein sie zu verzeihen wären. —

Wir waren noch ungefähr sechs oder sieben Personen, und das
Gespräch zog sich mehr zusammen, indem es zugleich lebhafter und
traulicher wurde. Gans warf sich mehr und mehr als Beherrscher
desselben auf, aber auch Frau von Varnhagen ließ ihren Antheil nicht
vermissen. Ich betrachtete mit Wohlgefallen ihre Art einzuwirken und
zu beleben; erkannte darin ein wahrhaftes Talent und fragte mich im


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[0214] Nun, so sag' Er, es würde uns recht angenehm sein! — Damit geht der Bediente ab, ist aber kaum hinaus, so sagt ein kleiner Knabe ganz unschuldig: Aber Mutter, Du lügst ja wieder! — In solche Klemme, sagte der Erzähler, geräth man, wenn man das Aeußerliche zur Herrschaft erhebt und Wesen und Gehalt ihm unterordnet. — H..., der die Gabe besitzt, den tiefsten Ernst in ein anmuthiges Gewand zu kleiden und bald als beißende Anekdote, bald als wissen¬ schaftliche Erkenntniß, bald auch als erheiternden Witz vorzutragen, war unerschöpflich in Angaben der mannichfachsten Art, aus denen der Gegenstand in immer neuem Lichte sich abspiegelte; die verschie¬ denen Gattungen der Frömmigkeit, welche er in allen Sphären seiner umfassenden Weltkunde beobachtet, bei Anglicanem, Quäkern und Methodisten, in Paris unter Napoleons Concordat und am Hofe Karl's X., bei spanischen Katholiken, unter Wilden am Orinoko und am Mississippi, alle classificirte er, wie ein Botaniker seine Pflanzen, nach bestimmten charakteristischen Zeichen und begehrte die des Ber¬ liner Frömmclns näher zu erfragen, um darnach Geschlecht und Ord¬ nung sicher auszufinden; aber am Ende schien er alle Sorten nur für Spielarten, künstliche und verderbte, einer unscheinbaren Pflanze zu halten, die in ihrer echten ursprünglichen Art nur an einsamen, stillen Orten zu finden sei! — Die Gesellschaft minderte sich; nach einer Weile sah ich auch Herrn von H... nicht mehr, der doch sonst aller Orten fast immer einer der Letzten wegging; um so lebhafter aber wurde nun sein Ruhm verkündet; Frau von Varnhagen stellte seine edlen Eigen-- schaften, die man um seiner glänzenden willen zu oft übersehe, in das hellste Licht; sie verbot geradezu, bei bedeutenden Menschen sich an ihre Schwächen oder persönlichen Kleinigkeiten zu halten, die man jedem Andern zu verzeihen bereit sei, nur grade einem großen Manne nicht, dem doch allein sie zu verzeihen wären. — Wir waren noch ungefähr sechs oder sieben Personen, und das Gespräch zog sich mehr zusammen, indem es zugleich lebhafter und traulicher wurde. Gans warf sich mehr und mehr als Beherrscher desselben auf, aber auch Frau von Varnhagen ließ ihren Antheil nicht vermissen. Ich betrachtete mit Wohlgefallen ihre Art einzuwirken und zu beleben; erkannte darin ein wahrhaftes Talent und fragte mich im

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/214>, abgerufen am 17.06.2024.