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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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zähle", oder die Tiefe und Anmuth ihres schöpferischen Geistes zu
schildern; dazu bedürfte ich ihrer eigenen Feder und würde auch dann
nur ein schwaches Abbild der Genialität wiedergeben, welche voll
staubig darzustellen nur ihre persönliche Gegenwart vermag.

Genug, dies war das Bouquet des reichbelebten Abends, den
ich bei Frau von Varnhagen zubrachte, und mir ist nach diesem
Schlüsse Nichts weiter mehr erinnerlich, als daß wir uns spät ge¬
trennt und ich unter der Gewalt dieser letzten Eindrücke mich fröhliche
müde dem süßen Schlaf und den bilderhellcn Träumen überließ, die
wie ein Sternenhimmel sich immer gedrängter und glänzender über
mir ausbreiteten.




Ich sah Frau von Varnhagen noch öfters wieder, auch in an¬
dern Häusern, bei Reden's, bei Frau von Helvig, bei der Fürstin
von Hatzfeldt, und immer und überall war sie dieselbe heitre, er¬
freuende Erscheinung, belebt und belebend, aufrichtig, klar, freundlich,
immer und überall übte sie ihr angeborenes Talent des edelste"
Menschenumgangs, nicht vordringend, aber auch nie zurückgezogen,
sondern recht eigentlich gegenwärtig, mit gutem Willen und reger
Seele. Doch hatte sie bei sich zu Hause noch den Borzug, daß die
unbestrittene Verpflichtung der Fürsorge für alle Anwesenden ihren
wohlthuende", Eifer nur erhöhte und ihn auch in unscheinbaren Din-
gen wirksam eintreten ließ ; dagegen sie auf fremdem Boden sich mehr
enthielt, so lange nicht ein auffallender Anlaß ihr reizbares Gefühl
zum Besten des Ganzen oder Einzelner in lebhaftere Thätigkeit setzte.
Dann konnte auch sie mit aller Geistesmacht hervortreten und mit
schöner Leidenschaft und rücksichtslosem Muthe das Unrecht bekämpfe",
die Vcrk"drehen berichtigen und anmaßlichen Unsinn durch das volle
Licht der Wahrheit in seine Nichtigkeit auflösen. -- So war sie denn
freilich noch etwas mehr, als eine vortreffliche Dienerin der Ge¬
selligkeit, wozu meistens eine gebildete, feine, wohlmeinende Nega-
tivität ausreicht: sie war zugleich eine Meisterin der Gesell¬
schaft, welche derselben das Gute mit muthiger Entschlossenheit ge-
waltsam aufzuerlegen, ihr das Schlechte schonungslos abzustreifen nie
niüde wurde. --




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zähle», oder die Tiefe und Anmuth ihres schöpferischen Geistes zu
schildern; dazu bedürfte ich ihrer eigenen Feder und würde auch dann
nur ein schwaches Abbild der Genialität wiedergeben, welche voll
staubig darzustellen nur ihre persönliche Gegenwart vermag.

Genug, dies war das Bouquet des reichbelebten Abends, den
ich bei Frau von Varnhagen zubrachte, und mir ist nach diesem
Schlüsse Nichts weiter mehr erinnerlich, als daß wir uns spät ge¬
trennt und ich unter der Gewalt dieser letzten Eindrücke mich fröhliche
müde dem süßen Schlaf und den bilderhellcn Träumen überließ, die
wie ein Sternenhimmel sich immer gedrängter und glänzender über
mir ausbreiteten.




Ich sah Frau von Varnhagen noch öfters wieder, auch in an¬
dern Häusern, bei Reden's, bei Frau von Helvig, bei der Fürstin
von Hatzfeldt, und immer und überall war sie dieselbe heitre, er¬
freuende Erscheinung, belebt und belebend, aufrichtig, klar, freundlich,
immer und überall übte sie ihr angeborenes Talent des edelste»
Menschenumgangs, nicht vordringend, aber auch nie zurückgezogen,
sondern recht eigentlich gegenwärtig, mit gutem Willen und reger
Seele. Doch hatte sie bei sich zu Hause noch den Borzug, daß die
unbestrittene Verpflichtung der Fürsorge für alle Anwesenden ihren
wohlthuende», Eifer nur erhöhte und ihn auch in unscheinbaren Din-
gen wirksam eintreten ließ ; dagegen sie auf fremdem Boden sich mehr
enthielt, so lange nicht ein auffallender Anlaß ihr reizbares Gefühl
zum Besten des Ganzen oder Einzelner in lebhaftere Thätigkeit setzte.
Dann konnte auch sie mit aller Geistesmacht hervortreten und mit
schöner Leidenschaft und rücksichtslosem Muthe das Unrecht bekämpfe»,
die Vcrk»drehen berichtigen und anmaßlichen Unsinn durch das volle
Licht der Wahrheit in seine Nichtigkeit auflösen. — So war sie denn
freilich noch etwas mehr, als eine vortreffliche Dienerin der Ge¬
selligkeit, wozu meistens eine gebildete, feine, wohlmeinende Nega-
tivität ausreicht: sie war zugleich eine Meisterin der Gesell¬
schaft, welche derselben das Gute mit muthiger Entschlossenheit ge-
waltsam aufzuerlegen, ihr das Schlechte schonungslos abzustreifen nie
niüde wurde. —




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[0219] zähle», oder die Tiefe und Anmuth ihres schöpferischen Geistes zu schildern; dazu bedürfte ich ihrer eigenen Feder und würde auch dann nur ein schwaches Abbild der Genialität wiedergeben, welche voll staubig darzustellen nur ihre persönliche Gegenwart vermag. Genug, dies war das Bouquet des reichbelebten Abends, den ich bei Frau von Varnhagen zubrachte, und mir ist nach diesem Schlüsse Nichts weiter mehr erinnerlich, als daß wir uns spät ge¬ trennt und ich unter der Gewalt dieser letzten Eindrücke mich fröhliche müde dem süßen Schlaf und den bilderhellcn Träumen überließ, die wie ein Sternenhimmel sich immer gedrängter und glänzender über mir ausbreiteten. Ich sah Frau von Varnhagen noch öfters wieder, auch in an¬ dern Häusern, bei Reden's, bei Frau von Helvig, bei der Fürstin von Hatzfeldt, und immer und überall war sie dieselbe heitre, er¬ freuende Erscheinung, belebt und belebend, aufrichtig, klar, freundlich, immer und überall übte sie ihr angeborenes Talent des edelste» Menschenumgangs, nicht vordringend, aber auch nie zurückgezogen, sondern recht eigentlich gegenwärtig, mit gutem Willen und reger Seele. Doch hatte sie bei sich zu Hause noch den Borzug, daß die unbestrittene Verpflichtung der Fürsorge für alle Anwesenden ihren wohlthuende», Eifer nur erhöhte und ihn auch in unscheinbaren Din- gen wirksam eintreten ließ ; dagegen sie auf fremdem Boden sich mehr enthielt, so lange nicht ein auffallender Anlaß ihr reizbares Gefühl zum Besten des Ganzen oder Einzelner in lebhaftere Thätigkeit setzte. Dann konnte auch sie mit aller Geistesmacht hervortreten und mit schöner Leidenschaft und rücksichtslosem Muthe das Unrecht bekämpfe», die Vcrk»drehen berichtigen und anmaßlichen Unsinn durch das volle Licht der Wahrheit in seine Nichtigkeit auflösen. — So war sie denn freilich noch etwas mehr, als eine vortreffliche Dienerin der Ge¬ selligkeit, wozu meistens eine gebildete, feine, wohlmeinende Nega- tivität ausreicht: sie war zugleich eine Meisterin der Gesell¬ schaft, welche derselben das Gute mit muthiger Entschlossenheit ge- waltsam aufzuerlegen, ihr das Schlechte schonungslos abzustreifen nie niüde wurde. — 2^»

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/219>, abgerufen am 17.06.2024.