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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Rußland scheint bemüht, den Marquis de Custine, den man li¬
terarisch nicht gut widerlegen kann, durch praktische Beweise lind durch
täglich sich wiederholende Beispiele -ni "I,"",dum zu führen. -- E6 ist
wahr, der den Nüssen eigenthümliche Pechgeruch rückt uns immer
näher; eben darum ist es aber hohe Zeit, zu beweisen, daß es eigent¬
lich kein Pech- sondern ein Ambra- und Wohlgeruch sei. Wozu gäbe
es sonst Objectivetät und Gründlichkeit in Deutschland? Custine
hat nicht übertrieben, aber er hat die Thatsachen falsch aufgefaßt.
Wir wollen an einigen neuern russischen Vorfällen, die wir den jüng-
sten Zeitungen entlehnen, dies nachweisen. Diese Vorfälle scheinen
crasser, als Alles, was Custine erzählt, doch braucht man sie nur
recht objectiv inS Auge zu fassen, und sie werfen ein ganz anderes,
ein verklärendes Licht auf das morgenländische Kaiserthum.

In der Petersburger Militärschule, wo die Kinder von Offizieren
und Adeligen großmüthiger Weise auf Kosten des Kaisers erzogen
werden, erfrechten sich die undankbaren Schüler, ihren Professor zu
verhöhnen. Warum? ist unbekannt, aber jedenfalls gleichgiltig. Der
Professor, der den Generalsrang hat, beklagt sich darüber höhern
Orts. Der Kaiser, empört über dies Jnsubordinationsverbrechen,
welches ein um so Schrecklicheres Symptom ist, weil von unreifen
Knaben begangen, verfügt sich selbst in die Anstalt und bedroht die
ganze aufrührerische Classe mit exemplarischer Bestrafung. Ein Cu¬
stine würde vielleicht schon dies kleinlich schelten und bespötteln, wäh¬
rend es doch wohlthuend zu sehen ist, wie der Selbstherrscher von
sechszig Millionen Seelen sich gleich einem Hausvater um die
gute Zucht der künftigen Staatsbürger kümmert und sein schweres
Weltzepter in Nebenstunden als Schulruthe gebraucht. Die Jugend
erstarrt bei dem Anblick des weißen Czaren, fünf Schüler treten frei-


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Rußland scheint bemüht, den Marquis de Custine, den man li¬
terarisch nicht gut widerlegen kann, durch praktische Beweise lind durch
täglich sich wiederholende Beispiele -ni »I,«»,dum zu führen. — E6 ist
wahr, der den Nüssen eigenthümliche Pechgeruch rückt uns immer
näher; eben darum ist es aber hohe Zeit, zu beweisen, daß es eigent¬
lich kein Pech- sondern ein Ambra- und Wohlgeruch sei. Wozu gäbe
es sonst Objectivetät und Gründlichkeit in Deutschland? Custine
hat nicht übertrieben, aber er hat die Thatsachen falsch aufgefaßt.
Wir wollen an einigen neuern russischen Vorfällen, die wir den jüng-
sten Zeitungen entlehnen, dies nachweisen. Diese Vorfälle scheinen
crasser, als Alles, was Custine erzählt, doch braucht man sie nur
recht objectiv inS Auge zu fassen, und sie werfen ein ganz anderes,
ein verklärendes Licht auf das morgenländische Kaiserthum.

In der Petersburger Militärschule, wo die Kinder von Offizieren
und Adeligen großmüthiger Weise auf Kosten des Kaisers erzogen
werden, erfrechten sich die undankbaren Schüler, ihren Professor zu
verhöhnen. Warum? ist unbekannt, aber jedenfalls gleichgiltig. Der
Professor, der den Generalsrang hat, beklagt sich darüber höhern
Orts. Der Kaiser, empört über dies Jnsubordinationsverbrechen,
welches ein um so Schrecklicheres Symptom ist, weil von unreifen
Knaben begangen, verfügt sich selbst in die Anstalt und bedroht die
ganze aufrührerische Classe mit exemplarischer Bestrafung. Ein Cu¬
stine würde vielleicht schon dies kleinlich schelten und bespötteln, wäh¬
rend es doch wohlthuend zu sehen ist, wie der Selbstherrscher von
sechszig Millionen Seelen sich gleich einem Hausvater um die
gute Zucht der künftigen Staatsbürger kümmert und sein schweres
Weltzepter in Nebenstunden als Schulruthe gebraucht. Die Jugend
erstarrt bei dem Anblick des weißen Czaren, fünf Schüler treten frei-


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[0220] K ü r n sxlaud! Rußland scheint bemüht, den Marquis de Custine, den man li¬ terarisch nicht gut widerlegen kann, durch praktische Beweise lind durch täglich sich wiederholende Beispiele -ni »I,«»,dum zu führen. — E6 ist wahr, der den Nüssen eigenthümliche Pechgeruch rückt uns immer näher; eben darum ist es aber hohe Zeit, zu beweisen, daß es eigent¬ lich kein Pech- sondern ein Ambra- und Wohlgeruch sei. Wozu gäbe es sonst Objectivetät und Gründlichkeit in Deutschland? Custine hat nicht übertrieben, aber er hat die Thatsachen falsch aufgefaßt. Wir wollen an einigen neuern russischen Vorfällen, die wir den jüng- sten Zeitungen entlehnen, dies nachweisen. Diese Vorfälle scheinen crasser, als Alles, was Custine erzählt, doch braucht man sie nur recht objectiv inS Auge zu fassen, und sie werfen ein ganz anderes, ein verklärendes Licht auf das morgenländische Kaiserthum. In der Petersburger Militärschule, wo die Kinder von Offizieren und Adeligen großmüthiger Weise auf Kosten des Kaisers erzogen werden, erfrechten sich die undankbaren Schüler, ihren Professor zu verhöhnen. Warum? ist unbekannt, aber jedenfalls gleichgiltig. Der Professor, der den Generalsrang hat, beklagt sich darüber höhern Orts. Der Kaiser, empört über dies Jnsubordinationsverbrechen, welches ein um so Schrecklicheres Symptom ist, weil von unreifen Knaben begangen, verfügt sich selbst in die Anstalt und bedroht die ganze aufrührerische Classe mit exemplarischer Bestrafung. Ein Cu¬ stine würde vielleicht schon dies kleinlich schelten und bespötteln, wäh¬ rend es doch wohlthuend zu sehen ist, wie der Selbstherrscher von sechszig Millionen Seelen sich gleich einem Hausvater um die gute Zucht der künftigen Staatsbürger kümmert und sein schweres Weltzepter in Nebenstunden als Schulruthe gebraucht. Die Jugend erstarrt bei dem Anblick des weißen Czaren, fünf Schüler treten frei-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/220>, abgerufen am 17.06.2024.