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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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verrathen hätten. Charlotte war das Orakel der Familie und, ob¬
wohl selbst erst im zweiundzwanzigsten Jahre, die strenge Wächterin
ihrer beiden Schwestern, von denen Therese mehr weltlustig, leichtern
Temperaments, eine witzige Blondine und der Liebling der Mutter
war. Auguste, ein ganz junges Kind von rührender Schönheit, sprach
nur selten und wenig, saß ewig still und zeigte nur in der durchsich¬
tigen Zartheit ihre" Gestalt so wie durch den sehnsüchtigen Blick ih¬
res großen blauen Auges die ungetrübte Reinheit eines weichen, et¬
was sentimentalen Herzens. Und da saßen denn die armen Mäd¬
chen fast den ganzen Winter über in der engen Stube und konnten
kaum einmal auf einem Geschäftsweg frische Luft schöpfen. Das
war dann aber auch ein ordentliches Fest, von dem man schon Tags
zuvor sprach. Da sie stets beschäftigt waren, mußten sie auch ihre
Freundinnen vernachlässigen und Monate lang ihre Jugend fast nur
in Gesellschaft der Mutter vertrauern, die ihre Liebe unter einer
griesgrämischen Strenge verbarg. Auch Herr Thümmel ging fast
nie, außer in Geschäften, aus; und hatte er dann gerade Geld ein^-
cassirt, so brachte er. auch wohl seiner Familie ein Paar frische Pfann¬
kuchen oder sonst was Gutes mit. Herr Thümmel war das Ideal
eines Ehemannes und liebte seine Töchter sehr. -- Was hilft es aber,
sagte er zu mir, ich habe kein Vermögen, daß ich meinen Töchtern
eine Aussteuer geben könnte, wir konnten Nichts thun, als sie gut
und brav erziehen. Wer will aber heutzutage ein armes Mädchen
heirathen? Einen rohen Tagelöhner können sie doch nicht nehmen,
und ein Anderer, der Vermögen hat oder welches braucht, der nimmt
sie nicht. Bei uns war es umgekehrt. Ich war ein armer Kerl
und meine Frau hatte ein Kapitälchen. Sie sollte mich darum auch
durchaus nicht heirathen und der deshalb eingetretene Bruch mit ih¬
ren Verwandten hat sich bis dato noch nicht zugezogen. Als wir
nun durch mancherlei Unglück gezwungen waren, die Paar Thaler
anzugreifen und aufzuzehren, denken Sie sich, da haben sie ihre ver¬
mögenden Brüder und Schwestern in der greulichsten Tinte sitzen
lassen. So sind die Menschen! --

Die meisten Abende in der Woche brachte ich nun bei Thüm-
mel'S zu; ich hatte noch einige Empfehlungsbriefe abgegeben, auch
manche angenehme Verbindung angeknüpft, fühlte mich aber immer
am wohlsten, wenn ich im Schlafrock, die Cigarre im Munde, in


verrathen hätten. Charlotte war das Orakel der Familie und, ob¬
wohl selbst erst im zweiundzwanzigsten Jahre, die strenge Wächterin
ihrer beiden Schwestern, von denen Therese mehr weltlustig, leichtern
Temperaments, eine witzige Blondine und der Liebling der Mutter
war. Auguste, ein ganz junges Kind von rührender Schönheit, sprach
nur selten und wenig, saß ewig still und zeigte nur in der durchsich¬
tigen Zartheit ihre» Gestalt so wie durch den sehnsüchtigen Blick ih¬
res großen blauen Auges die ungetrübte Reinheit eines weichen, et¬
was sentimentalen Herzens. Und da saßen denn die armen Mäd¬
chen fast den ganzen Winter über in der engen Stube und konnten
kaum einmal auf einem Geschäftsweg frische Luft schöpfen. Das
war dann aber auch ein ordentliches Fest, von dem man schon Tags
zuvor sprach. Da sie stets beschäftigt waren, mußten sie auch ihre
Freundinnen vernachlässigen und Monate lang ihre Jugend fast nur
in Gesellschaft der Mutter vertrauern, die ihre Liebe unter einer
griesgrämischen Strenge verbarg. Auch Herr Thümmel ging fast
nie, außer in Geschäften, aus; und hatte er dann gerade Geld ein^-
cassirt, so brachte er. auch wohl seiner Familie ein Paar frische Pfann¬
kuchen oder sonst was Gutes mit. Herr Thümmel war das Ideal
eines Ehemannes und liebte seine Töchter sehr. — Was hilft es aber,
sagte er zu mir, ich habe kein Vermögen, daß ich meinen Töchtern
eine Aussteuer geben könnte, wir konnten Nichts thun, als sie gut
und brav erziehen. Wer will aber heutzutage ein armes Mädchen
heirathen? Einen rohen Tagelöhner können sie doch nicht nehmen,
und ein Anderer, der Vermögen hat oder welches braucht, der nimmt
sie nicht. Bei uns war es umgekehrt. Ich war ein armer Kerl
und meine Frau hatte ein Kapitälchen. Sie sollte mich darum auch
durchaus nicht heirathen und der deshalb eingetretene Bruch mit ih¬
ren Verwandten hat sich bis dato noch nicht zugezogen. Als wir
nun durch mancherlei Unglück gezwungen waren, die Paar Thaler
anzugreifen und aufzuzehren, denken Sie sich, da haben sie ihre ver¬
mögenden Brüder und Schwestern in der greulichsten Tinte sitzen
lassen. So sind die Menschen! —

Die meisten Abende in der Woche brachte ich nun bei Thüm-
mel'S zu; ich hatte noch einige Empfehlungsbriefe abgegeben, auch
manche angenehme Verbindung angeknüpft, fühlte mich aber immer
am wohlsten, wenn ich im Schlafrock, die Cigarre im Munde, in


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[0244] verrathen hätten. Charlotte war das Orakel der Familie und, ob¬ wohl selbst erst im zweiundzwanzigsten Jahre, die strenge Wächterin ihrer beiden Schwestern, von denen Therese mehr weltlustig, leichtern Temperaments, eine witzige Blondine und der Liebling der Mutter war. Auguste, ein ganz junges Kind von rührender Schönheit, sprach nur selten und wenig, saß ewig still und zeigte nur in der durchsich¬ tigen Zartheit ihre» Gestalt so wie durch den sehnsüchtigen Blick ih¬ res großen blauen Auges die ungetrübte Reinheit eines weichen, et¬ was sentimentalen Herzens. Und da saßen denn die armen Mäd¬ chen fast den ganzen Winter über in der engen Stube und konnten kaum einmal auf einem Geschäftsweg frische Luft schöpfen. Das war dann aber auch ein ordentliches Fest, von dem man schon Tags zuvor sprach. Da sie stets beschäftigt waren, mußten sie auch ihre Freundinnen vernachlässigen und Monate lang ihre Jugend fast nur in Gesellschaft der Mutter vertrauern, die ihre Liebe unter einer griesgrämischen Strenge verbarg. Auch Herr Thümmel ging fast nie, außer in Geschäften, aus; und hatte er dann gerade Geld ein^- cassirt, so brachte er. auch wohl seiner Familie ein Paar frische Pfann¬ kuchen oder sonst was Gutes mit. Herr Thümmel war das Ideal eines Ehemannes und liebte seine Töchter sehr. — Was hilft es aber, sagte er zu mir, ich habe kein Vermögen, daß ich meinen Töchtern eine Aussteuer geben könnte, wir konnten Nichts thun, als sie gut und brav erziehen. Wer will aber heutzutage ein armes Mädchen heirathen? Einen rohen Tagelöhner können sie doch nicht nehmen, und ein Anderer, der Vermögen hat oder welches braucht, der nimmt sie nicht. Bei uns war es umgekehrt. Ich war ein armer Kerl und meine Frau hatte ein Kapitälchen. Sie sollte mich darum auch durchaus nicht heirathen und der deshalb eingetretene Bruch mit ih¬ ren Verwandten hat sich bis dato noch nicht zugezogen. Als wir nun durch mancherlei Unglück gezwungen waren, die Paar Thaler anzugreifen und aufzuzehren, denken Sie sich, da haben sie ihre ver¬ mögenden Brüder und Schwestern in der greulichsten Tinte sitzen lassen. So sind die Menschen! — Die meisten Abende in der Woche brachte ich nun bei Thüm- mel'S zu; ich hatte noch einige Empfehlungsbriefe abgegeben, auch manche angenehme Verbindung angeknüpft, fühlte mich aber immer am wohlsten, wenn ich im Schlafrock, die Cigarre im Munde, in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/244>, abgerufen am 17.06.2024.