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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Freilich, sagte Herr Thümmel in seiner reflectirenden Manier, habe
ich in den ganzen vier Jahren nichts Näheres über sein Leben und
Treiben erfahren können. Er war manchmal vierzehn Tage über
gar nicht zu Hause und kam dann mit einem Male mitten in der
Nacht an, um mehrere Wochen gar nicht aus dem Zimmer zu ge¬
hen. Da lag er dann den ganzen Tag über auf dem Sopha aus¬
gestreckt und sah so bleich und erschöpft aus, als habe er sich von
großen Strapazen auszuruhen. Dann hörte ich ihn wieder ganze
Zeiten hindurch erst dös Morgens um drei oder vier Uhr nach Hause
zurückkehren. Nie habe ich ihn schlecht wirthschaften sehen und doch
schien mir das Geld manchmal knapper, manchmal vollauf bei ihm
zu sein. Doch, dachte ich mir immer, und meine Frau hat dasselbe
gesagt, das Treiben solcher vornehmen Leute versteht Unsereins ein¬
mal nicht, die Herren haben alle ihren eigenen Zuschnitt. -- Welchen
vorurtheilsvoller Respect die sogenannte niedere Bürgerclasse Berlins
noch vor dem adligen Namen hat! Hätte Herr Thümmel dieses
Treiben bei einem Bürgerlichen gesehen, sein frommer Philistersinn
hätte sich empört, er würde schon näher nachgeforscht und den Mann
vielleicht einen reichen Faullenzer und Herumtreiber genannt haben.
So aber war es ja ein Herr Baron! Doch blieb mir der feine ad¬
lige Herr in seinem Verhältniß zu der armen Arbeiterfamilie eine
interessante Erscheinung und ich nahm mir vor, ihn und dieses Ver¬
hältniß in der Folge näher kennen zu lernen.. Nachdem ich ihn meh¬
rere Male bei Thümmel s gesehen, sprach er auf meine mehrmalige
Einladung auch eines Abends bei mir ein. Ich konnte eS mir nicht
verhehlen, der Mann hatte ein gewinnendes Wesen und wußte die
norddeutsche schroffe Verständigkeit mit dem Schein einer gewissen
Gemüthlichkeit zu umgeben, der mich, neben seiner geistreichen Ma¬
nier, zu erzählen, beinahe bestochen hätte, wenn mir nicht durch alle
diese Liebenswürdigkeit dennoch die aristokratische Barbarei, jene vor¬
nehme Lebensmanme des löblichen Junkerthums: "Alles zu meinem
Genuß und Vergnügen, zur Unterhaltung in meiner Langeweile!" hin¬
durchgeschienen hätte. Diese adlige Philosophie des Herrn Baron
sollte mir noch klarer werden, als ich später durch ihn in das öffent¬
liche Leben und Treiben Berlins eingeführt wurde. Hier sah ich ihn
bald in seinem eigentlichen Elemente, als raffinirten Weltmann und
Lüstling. Ueberall war er bewandert, wie der hinkende Teufel, überall


Freilich, sagte Herr Thümmel in seiner reflectirenden Manier, habe
ich in den ganzen vier Jahren nichts Näheres über sein Leben und
Treiben erfahren können. Er war manchmal vierzehn Tage über
gar nicht zu Hause und kam dann mit einem Male mitten in der
Nacht an, um mehrere Wochen gar nicht aus dem Zimmer zu ge¬
hen. Da lag er dann den ganzen Tag über auf dem Sopha aus¬
gestreckt und sah so bleich und erschöpft aus, als habe er sich von
großen Strapazen auszuruhen. Dann hörte ich ihn wieder ganze
Zeiten hindurch erst dös Morgens um drei oder vier Uhr nach Hause
zurückkehren. Nie habe ich ihn schlecht wirthschaften sehen und doch
schien mir das Geld manchmal knapper, manchmal vollauf bei ihm
zu sein. Doch, dachte ich mir immer, und meine Frau hat dasselbe
gesagt, das Treiben solcher vornehmen Leute versteht Unsereins ein¬
mal nicht, die Herren haben alle ihren eigenen Zuschnitt. — Welchen
vorurtheilsvoller Respect die sogenannte niedere Bürgerclasse Berlins
noch vor dem adligen Namen hat! Hätte Herr Thümmel dieses
Treiben bei einem Bürgerlichen gesehen, sein frommer Philistersinn
hätte sich empört, er würde schon näher nachgeforscht und den Mann
vielleicht einen reichen Faullenzer und Herumtreiber genannt haben.
So aber war es ja ein Herr Baron! Doch blieb mir der feine ad¬
lige Herr in seinem Verhältniß zu der armen Arbeiterfamilie eine
interessante Erscheinung und ich nahm mir vor, ihn und dieses Ver¬
hältniß in der Folge näher kennen zu lernen.. Nachdem ich ihn meh¬
rere Male bei Thümmel s gesehen, sprach er auf meine mehrmalige
Einladung auch eines Abends bei mir ein. Ich konnte eS mir nicht
verhehlen, der Mann hatte ein gewinnendes Wesen und wußte die
norddeutsche schroffe Verständigkeit mit dem Schein einer gewissen
Gemüthlichkeit zu umgeben, der mich, neben seiner geistreichen Ma¬
nier, zu erzählen, beinahe bestochen hätte, wenn mir nicht durch alle
diese Liebenswürdigkeit dennoch die aristokratische Barbarei, jene vor¬
nehme Lebensmanme des löblichen Junkerthums: „Alles zu meinem
Genuß und Vergnügen, zur Unterhaltung in meiner Langeweile!" hin¬
durchgeschienen hätte. Diese adlige Philosophie des Herrn Baron
sollte mir noch klarer werden, als ich später durch ihn in das öffent¬
liche Leben und Treiben Berlins eingeführt wurde. Hier sah ich ihn
bald in seinem eigentlichen Elemente, als raffinirten Weltmann und
Lüstling. Ueberall war er bewandert, wie der hinkende Teufel, überall


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[0246] Freilich, sagte Herr Thümmel in seiner reflectirenden Manier, habe ich in den ganzen vier Jahren nichts Näheres über sein Leben und Treiben erfahren können. Er war manchmal vierzehn Tage über gar nicht zu Hause und kam dann mit einem Male mitten in der Nacht an, um mehrere Wochen gar nicht aus dem Zimmer zu ge¬ hen. Da lag er dann den ganzen Tag über auf dem Sopha aus¬ gestreckt und sah so bleich und erschöpft aus, als habe er sich von großen Strapazen auszuruhen. Dann hörte ich ihn wieder ganze Zeiten hindurch erst dös Morgens um drei oder vier Uhr nach Hause zurückkehren. Nie habe ich ihn schlecht wirthschaften sehen und doch schien mir das Geld manchmal knapper, manchmal vollauf bei ihm zu sein. Doch, dachte ich mir immer, und meine Frau hat dasselbe gesagt, das Treiben solcher vornehmen Leute versteht Unsereins ein¬ mal nicht, die Herren haben alle ihren eigenen Zuschnitt. — Welchen vorurtheilsvoller Respect die sogenannte niedere Bürgerclasse Berlins noch vor dem adligen Namen hat! Hätte Herr Thümmel dieses Treiben bei einem Bürgerlichen gesehen, sein frommer Philistersinn hätte sich empört, er würde schon näher nachgeforscht und den Mann vielleicht einen reichen Faullenzer und Herumtreiber genannt haben. So aber war es ja ein Herr Baron! Doch blieb mir der feine ad¬ lige Herr in seinem Verhältniß zu der armen Arbeiterfamilie eine interessante Erscheinung und ich nahm mir vor, ihn und dieses Ver¬ hältniß in der Folge näher kennen zu lernen.. Nachdem ich ihn meh¬ rere Male bei Thümmel s gesehen, sprach er auf meine mehrmalige Einladung auch eines Abends bei mir ein. Ich konnte eS mir nicht verhehlen, der Mann hatte ein gewinnendes Wesen und wußte die norddeutsche schroffe Verständigkeit mit dem Schein einer gewissen Gemüthlichkeit zu umgeben, der mich, neben seiner geistreichen Ma¬ nier, zu erzählen, beinahe bestochen hätte, wenn mir nicht durch alle diese Liebenswürdigkeit dennoch die aristokratische Barbarei, jene vor¬ nehme Lebensmanme des löblichen Junkerthums: „Alles zu meinem Genuß und Vergnügen, zur Unterhaltung in meiner Langeweile!" hin¬ durchgeschienen hätte. Diese adlige Philosophie des Herrn Baron sollte mir noch klarer werden, als ich später durch ihn in das öffent¬ liche Leben und Treiben Berlins eingeführt wurde. Hier sah ich ihn bald in seinem eigentlichen Elemente, als raffinirten Weltmann und Lüstling. Ueberall war er bewandert, wie der hinkende Teufel, überall

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/246>, abgerufen am 17.06.2024.