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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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wurde sein Name von einer Suite junger adliger Elegants mit Ver-
ehrung genannt. Wir stiegen manchen Abend von den glänzendsten
Localen in die niedrigsten Kneipen, durch Kaffeehäuser, Weinstuben
und Restaurationen auf den Maskenball, in's Opernhaus, von da
noch in's Colosseum u. s. w. Ich stürzte mich mit jugendlicher Lust
in diese mir noch ungewohnten Vergnügungen, vergaß aber nie, mei¬
nen Begleiter zu beobachten. Doch so viele Mühe ich mir auch gab,
ich konnte nichts Näheres über ihn erfahren, als daß er früher Offi¬
zier gewesen, dann große Reisen gemacht und sich in den verschiede,
nen Hauptstädten Europas aufgehalten habe, auch daß er in Pom¬
mern geboren, altadligen Geschlechts, aber ohne Grundbesitz und von
Hause aus ganz ohne Vermögen sei. Dies stimmte freilich nicht zu
seiner Lebensweise. Manchmal war er mir wie unter der Hand
verschwunden, ich sah ihn dann oft mehrere Wochen nicht, dann er¬
schien er eben so plötzlich wieder bei Thümmel's, oder bei mir, um
mich abzuholen. Ueber sein Verhältniß zu der Schneiderfamilie sprach
er sich stets sehr kurz und oberflächlich aus. Was war eigentlich der
Zweck seiner Besuche? War es Ermüdung von einem wüsten Leben,
oder doch eine bestimmte Absicht auf eines der Mädchen? Er war
mit allen Dreien nur gleich freundlich und herzlich und die Eltern
schienen durchaus frei von jedem Argwohne dieser Art. Auch hielt
er sich ja nie lange bei ihnen auf. War er seines Fanges schon
sicher, oder lauerte er, wie ein geübter Jäger, nur noch auf seine
Beute? -- Zuletzt erschien mir das Verhältniß ganz unbefangen, etwa
wie das eines alten Onkels zu seinen Nichten. Alfred -- so hieß
der Baron -- dem Herr Thümmel wahrscheinlich seine traurigen
Verhältnisse entdeckt hatte, schien ihm etwas unter die Arme zu grei¬
fen und ich hatte im Stillen meine Freude daran, wie die Leute nach
und nach wieder aufzuathmen anfingen. Die Mädchen brauchten
nicht mehr ewig bis spät in die Nacht zu arbeiten, sie konnten mit
ihren Eltern am Sonntag Nachmittag im Thiergarten spazieren oder
einmal gegenüber in's Concert zu Faust gehen. Davon wußte dann
Therese immer eine ganze Woche zu erzählen. Auch Charlotte war
heitrer geworden und schenkte sogar manchmal Theresens Witzen ih¬
ren Beifall; beide sprachen oft und mit Interesse von dein Baron;
ob dies aber Dankbarkeit oder Neigung war, konnte ich nicht ent¬
decken, besonders da der Baron ihre unbefangenen Huldigungen im-


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wurde sein Name von einer Suite junger adliger Elegants mit Ver-
ehrung genannt. Wir stiegen manchen Abend von den glänzendsten
Localen in die niedrigsten Kneipen, durch Kaffeehäuser, Weinstuben
und Restaurationen auf den Maskenball, in's Opernhaus, von da
noch in's Colosseum u. s. w. Ich stürzte mich mit jugendlicher Lust
in diese mir noch ungewohnten Vergnügungen, vergaß aber nie, mei¬
nen Begleiter zu beobachten. Doch so viele Mühe ich mir auch gab,
ich konnte nichts Näheres über ihn erfahren, als daß er früher Offi¬
zier gewesen, dann große Reisen gemacht und sich in den verschiede,
nen Hauptstädten Europas aufgehalten habe, auch daß er in Pom¬
mern geboren, altadligen Geschlechts, aber ohne Grundbesitz und von
Hause aus ganz ohne Vermögen sei. Dies stimmte freilich nicht zu
seiner Lebensweise. Manchmal war er mir wie unter der Hand
verschwunden, ich sah ihn dann oft mehrere Wochen nicht, dann er¬
schien er eben so plötzlich wieder bei Thümmel's, oder bei mir, um
mich abzuholen. Ueber sein Verhältniß zu der Schneiderfamilie sprach
er sich stets sehr kurz und oberflächlich aus. Was war eigentlich der
Zweck seiner Besuche? War es Ermüdung von einem wüsten Leben,
oder doch eine bestimmte Absicht auf eines der Mädchen? Er war
mit allen Dreien nur gleich freundlich und herzlich und die Eltern
schienen durchaus frei von jedem Argwohne dieser Art. Auch hielt
er sich ja nie lange bei ihnen auf. War er seines Fanges schon
sicher, oder lauerte er, wie ein geübter Jäger, nur noch auf seine
Beute? — Zuletzt erschien mir das Verhältniß ganz unbefangen, etwa
wie das eines alten Onkels zu seinen Nichten. Alfred — so hieß
der Baron — dem Herr Thümmel wahrscheinlich seine traurigen
Verhältnisse entdeckt hatte, schien ihm etwas unter die Arme zu grei¬
fen und ich hatte im Stillen meine Freude daran, wie die Leute nach
und nach wieder aufzuathmen anfingen. Die Mädchen brauchten
nicht mehr ewig bis spät in die Nacht zu arbeiten, sie konnten mit
ihren Eltern am Sonntag Nachmittag im Thiergarten spazieren oder
einmal gegenüber in's Concert zu Faust gehen. Davon wußte dann
Therese immer eine ganze Woche zu erzählen. Auch Charlotte war
heitrer geworden und schenkte sogar manchmal Theresens Witzen ih¬
ren Beifall; beide sprachen oft und mit Interesse von dein Baron;
ob dies aber Dankbarkeit oder Neigung war, konnte ich nicht ent¬
decken, besonders da der Baron ihre unbefangenen Huldigungen im-


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[0247] wurde sein Name von einer Suite junger adliger Elegants mit Ver- ehrung genannt. Wir stiegen manchen Abend von den glänzendsten Localen in die niedrigsten Kneipen, durch Kaffeehäuser, Weinstuben und Restaurationen auf den Maskenball, in's Opernhaus, von da noch in's Colosseum u. s. w. Ich stürzte mich mit jugendlicher Lust in diese mir noch ungewohnten Vergnügungen, vergaß aber nie, mei¬ nen Begleiter zu beobachten. Doch so viele Mühe ich mir auch gab, ich konnte nichts Näheres über ihn erfahren, als daß er früher Offi¬ zier gewesen, dann große Reisen gemacht und sich in den verschiede, nen Hauptstädten Europas aufgehalten habe, auch daß er in Pom¬ mern geboren, altadligen Geschlechts, aber ohne Grundbesitz und von Hause aus ganz ohne Vermögen sei. Dies stimmte freilich nicht zu seiner Lebensweise. Manchmal war er mir wie unter der Hand verschwunden, ich sah ihn dann oft mehrere Wochen nicht, dann er¬ schien er eben so plötzlich wieder bei Thümmel's, oder bei mir, um mich abzuholen. Ueber sein Verhältniß zu der Schneiderfamilie sprach er sich stets sehr kurz und oberflächlich aus. Was war eigentlich der Zweck seiner Besuche? War es Ermüdung von einem wüsten Leben, oder doch eine bestimmte Absicht auf eines der Mädchen? Er war mit allen Dreien nur gleich freundlich und herzlich und die Eltern schienen durchaus frei von jedem Argwohne dieser Art. Auch hielt er sich ja nie lange bei ihnen auf. War er seines Fanges schon sicher, oder lauerte er, wie ein geübter Jäger, nur noch auf seine Beute? — Zuletzt erschien mir das Verhältniß ganz unbefangen, etwa wie das eines alten Onkels zu seinen Nichten. Alfred — so hieß der Baron — dem Herr Thümmel wahrscheinlich seine traurigen Verhältnisse entdeckt hatte, schien ihm etwas unter die Arme zu grei¬ fen und ich hatte im Stillen meine Freude daran, wie die Leute nach und nach wieder aufzuathmen anfingen. Die Mädchen brauchten nicht mehr ewig bis spät in die Nacht zu arbeiten, sie konnten mit ihren Eltern am Sonntag Nachmittag im Thiergarten spazieren oder einmal gegenüber in's Concert zu Faust gehen. Davon wußte dann Therese immer eine ganze Woche zu erzählen. Auch Charlotte war heitrer geworden und schenkte sogar manchmal Theresens Witzen ih¬ ren Beifall; beide sprachen oft und mit Interesse von dein Baron; ob dies aber Dankbarkeit oder Neigung war, konnte ich nicht ent¬ decken, besonders da der Baron ihre unbefangenen Huldigungen im- 32-5

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/247>, abgerufen am 17.06.2024.