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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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herzlich, mich wieder zu sehen, und sprach bald so viel lind so ha¬
stig, daß ich mit meinen Fragen nicht zu Worte kommen konnte. So
war ich mit ihr bis zur Schloßfreiheit gegangen, wo sie in eine
Droschke stieg und sagte: Sie werden so Manches verändert finden,
besuchen Sie uns einmal, wir wohnen in der Louisenstraße. Sie
nannte mir noch die Hausnummer und fuhr davon. Ueberrascht
stand ich da, die liebe Erscheinung hatte zu unerwartst vor mir ge¬
standen und war mir zu schnell wieder entschwunden. War es noch
dieselbe blühende Charlotte, oder täuschte mich der Abend, daß ich
in ihren Zügen den Ausdruck geheimen Leidens las? Am anderen
Morgen machte ich mich auf den Weg nach der Louisenstraße. Ich
fand Charlotte allein in elegantem Neglige in einem prächtig einge¬
richteten Zimmer. Sie empfing mich, ganz nach ihrer früheren Weise,
ich mußte mich ihr gegenllbersetzen und konnte nun auch beim hellen
Tageslichte den Vergleich anstellen. Sie war noch dieselbe, ihr
Gesicht hatte nur seine blühende Frische und ihr Auge den blenden¬
den Glanz nicht mehr, sie war bleicher, und fast möchte ich sagen,
schöner geworden; ihre Haltung ernst und stolz, aber in ihrem Wesen
etwas Gebrochenes, Wehmüthiges, das mit ihrer reichen Umgebung
auffallend contrastirte. Ich saß ihr zerstreut und fast stumm gegen¬
über und betrachtete sie nur. Sie bemerkte meine Verlegenheit und
hob endlich nach einem langen tiefen Seufzer an: "Sie fragen mich
nicht nach meinen, nach meiner Familie Verhältnissen. Sie wollen
nicht zudringlich scheinen und ich ehre Ihr Schweigen. Doch weiß
ich, daß Sie früher ein aufrichtiges Interesse an uns genommen,
unser treuer Hausfreund waren. Nun, so nehme ich auch gar keinen
Anstand, Ihnen ohne Hehl mein und mein"r Familie Schicksal zu
erzählen. Bald nachdem Sie fort waren, traten bedeutende Verän¬
derungen bei uns ein. Der Baron war wieder zu uns gezogen und
eine Neigung, die ich schon seit Jahren für ihn gefühlt, aber immer
unterdrückt und tief in mir verschlossen hatte, fing mit einem Male
an, zu so Heller leidenschaftlicher Flamme aufzuschlagen, daß ich sie
nicht mehr bemeistern konnte. So viele und schreckliche Dinge gegen
ihn sprechen mögen, ich kann sagen, <r hat mich aufrichtig geliebt
und das nahe Beisammenwohnen ließ bald ein festes Einverständnis;
entstehen. In dem engen Stübchen meiner Eltern auferzogen, hatte
ich die Leidenschaft nicht gekannt und mich stark gegen sie geglaubt,


herzlich, mich wieder zu sehen, und sprach bald so viel lind so ha¬
stig, daß ich mit meinen Fragen nicht zu Worte kommen konnte. So
war ich mit ihr bis zur Schloßfreiheit gegangen, wo sie in eine
Droschke stieg und sagte: Sie werden so Manches verändert finden,
besuchen Sie uns einmal, wir wohnen in der Louisenstraße. Sie
nannte mir noch die Hausnummer und fuhr davon. Ueberrascht
stand ich da, die liebe Erscheinung hatte zu unerwartst vor mir ge¬
standen und war mir zu schnell wieder entschwunden. War es noch
dieselbe blühende Charlotte, oder täuschte mich der Abend, daß ich
in ihren Zügen den Ausdruck geheimen Leidens las? Am anderen
Morgen machte ich mich auf den Weg nach der Louisenstraße. Ich
fand Charlotte allein in elegantem Neglige in einem prächtig einge¬
richteten Zimmer. Sie empfing mich, ganz nach ihrer früheren Weise,
ich mußte mich ihr gegenllbersetzen und konnte nun auch beim hellen
Tageslichte den Vergleich anstellen. Sie war noch dieselbe, ihr
Gesicht hatte nur seine blühende Frische und ihr Auge den blenden¬
den Glanz nicht mehr, sie war bleicher, und fast möchte ich sagen,
schöner geworden; ihre Haltung ernst und stolz, aber in ihrem Wesen
etwas Gebrochenes, Wehmüthiges, das mit ihrer reichen Umgebung
auffallend contrastirte. Ich saß ihr zerstreut und fast stumm gegen¬
über und betrachtete sie nur. Sie bemerkte meine Verlegenheit und
hob endlich nach einem langen tiefen Seufzer an: „Sie fragen mich
nicht nach meinen, nach meiner Familie Verhältnissen. Sie wollen
nicht zudringlich scheinen und ich ehre Ihr Schweigen. Doch weiß
ich, daß Sie früher ein aufrichtiges Interesse an uns genommen,
unser treuer Hausfreund waren. Nun, so nehme ich auch gar keinen
Anstand, Ihnen ohne Hehl mein und mein»r Familie Schicksal zu
erzählen. Bald nachdem Sie fort waren, traten bedeutende Verän¬
derungen bei uns ein. Der Baron war wieder zu uns gezogen und
eine Neigung, die ich schon seit Jahren für ihn gefühlt, aber immer
unterdrückt und tief in mir verschlossen hatte, fing mit einem Male
an, zu so Heller leidenschaftlicher Flamme aufzuschlagen, daß ich sie
nicht mehr bemeistern konnte. So viele und schreckliche Dinge gegen
ihn sprechen mögen, ich kann sagen, <r hat mich aufrichtig geliebt
und das nahe Beisammenwohnen ließ bald ein festes Einverständnis;
entstehen. In dem engen Stübchen meiner Eltern auferzogen, hatte
ich die Leidenschaft nicht gekannt und mich stark gegen sie geglaubt,


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[0249] herzlich, mich wieder zu sehen, und sprach bald so viel lind so ha¬ stig, daß ich mit meinen Fragen nicht zu Worte kommen konnte. So war ich mit ihr bis zur Schloßfreiheit gegangen, wo sie in eine Droschke stieg und sagte: Sie werden so Manches verändert finden, besuchen Sie uns einmal, wir wohnen in der Louisenstraße. Sie nannte mir noch die Hausnummer und fuhr davon. Ueberrascht stand ich da, die liebe Erscheinung hatte zu unerwartst vor mir ge¬ standen und war mir zu schnell wieder entschwunden. War es noch dieselbe blühende Charlotte, oder täuschte mich der Abend, daß ich in ihren Zügen den Ausdruck geheimen Leidens las? Am anderen Morgen machte ich mich auf den Weg nach der Louisenstraße. Ich fand Charlotte allein in elegantem Neglige in einem prächtig einge¬ richteten Zimmer. Sie empfing mich, ganz nach ihrer früheren Weise, ich mußte mich ihr gegenllbersetzen und konnte nun auch beim hellen Tageslichte den Vergleich anstellen. Sie war noch dieselbe, ihr Gesicht hatte nur seine blühende Frische und ihr Auge den blenden¬ den Glanz nicht mehr, sie war bleicher, und fast möchte ich sagen, schöner geworden; ihre Haltung ernst und stolz, aber in ihrem Wesen etwas Gebrochenes, Wehmüthiges, das mit ihrer reichen Umgebung auffallend contrastirte. Ich saß ihr zerstreut und fast stumm gegen¬ über und betrachtete sie nur. Sie bemerkte meine Verlegenheit und hob endlich nach einem langen tiefen Seufzer an: „Sie fragen mich nicht nach meinen, nach meiner Familie Verhältnissen. Sie wollen nicht zudringlich scheinen und ich ehre Ihr Schweigen. Doch weiß ich, daß Sie früher ein aufrichtiges Interesse an uns genommen, unser treuer Hausfreund waren. Nun, so nehme ich auch gar keinen Anstand, Ihnen ohne Hehl mein und mein»r Familie Schicksal zu erzählen. Bald nachdem Sie fort waren, traten bedeutende Verän¬ derungen bei uns ein. Der Baron war wieder zu uns gezogen und eine Neigung, die ich schon seit Jahren für ihn gefühlt, aber immer unterdrückt und tief in mir verschlossen hatte, fing mit einem Male an, zu so Heller leidenschaftlicher Flamme aufzuschlagen, daß ich sie nicht mehr bemeistern konnte. So viele und schreckliche Dinge gegen ihn sprechen mögen, ich kann sagen, <r hat mich aufrichtig geliebt und das nahe Beisammenwohnen ließ bald ein festes Einverständnis; entstehen. In dem engen Stübchen meiner Eltern auferzogen, hatte ich die Leidenschaft nicht gekannt und mich stark gegen sie geglaubt,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/249>, abgerufen am 17.06.2024.