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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Trauerfälle gestörten Carneval, in der Fastenzeit ein regeres Leben.
Bei dem Grafen Flahaut werben von Dilettanten französische Stücke
aufgeführt. Unter den Mitwirkenden machen sich besonders Fürst H.
und Baron O. S. durch Feinheit und Sicherheit des Spiels bemerk¬
bar. Außerdem war die hiesige Societät vielfach mit den Tableaur
beschäftigt, die an zwei Abenden bei der Fürstin R. dargestellt wur¬
den. Die englische Aristokratie ausgenommen, wird man nicht leicht
unter irgend einer anderen so viele schöne Frauen finden wie unter
der hiesigen; wenn man nun unter diesen Schönen die Schönste
wählt, sie in der, ihrer Individualität am meisten zusagenden, mit
ihrem Ausdruck am treffendsten übereinstimmenden Gestalt erscheinen
läßt, so kann die Wirkung wohl nur eine zauberhafte sein. Ganz
bewunderungswürdig waren vornehmlich die Gräfin A. Sz., die mit
ihren dunklen Augen, nachtschwarzen Locken und fremdartig reizendem
Antlitz Stender's Judith darstellte, und die blendend schöne Fürstin
E. sah., der man als Vernet's Hagar nur den Vorwurf machen
konnte, daß die Wahrscheinlichkeit durch sie beeinträchtigt werde, da
es ja doch geradezu unmöglich wäre, eine solche Frau zu verstoßen.
Unter den Herren zogen besonders Graf E. Z. als Abraham, Graf
B. als greiser Bischof und Baron I. als Apostel Paulus die Blicke
auf sich. Nach dem Beifall, den diese Produktionen fanden, läßt sich
hoffen, daß man auch in anderen Salons ähnliche veranstalten
werde, und es wäre dies um so mehr zu wünschen, als es außer
dem momentanen Genuß auch noch den Vortheil brächte, daß unsere
Societät dadurch in Beziehungen zur Kunst geriethe und auf diesem
Weg wieder ein Interesse daran gewönne, dessen jetzt eben nicht allzu
Viele fähig sind.

Ich muß schließen. In meinem nächsten Briefe werde ich Ih¬
nen melden, welche Aufnahme Ponsard's Lucreria bei uns gefunden
haben wird. In ein Paar Tagen soll sie in Seidl's Uebersetzung
auf unserem Burgtheater gegeben werden. Am Ostermontage haben
wir die erste italienische Oper; man verspricht sich viel von der Spa¬
nierin Montenegro '). Was mich betrifft, so bin ich mißtrauisch ge¬
worden gegen Alles, was ich nicht kenne, und statt auf jene unbe¬
kannte Größe freue ich mich vor der Hand auf die frühlingsheitere
Tadolim und den genialen Ronconi, diesen Devrient unter den Sängern.
Francis.

(Von einem anderen Correspondenten.) Gestern wurde ein Mann
begraben, dessen Leiche die ganze medicinische Facultät, fast alle Aerzte
Wiens, viele Männer aus den höchsten aristokratischen Kreisen, Hof¬
bediente, welche die höchsten Herrschaften vertraten, folgten. Dieser
Mann wurde vor dreiundsiebzig Jahren in Wien geboren und als



*) Die ehemalige Geliebte Espartero's.
Grenjboten 184". I. 66

Trauerfälle gestörten Carneval, in der Fastenzeit ein regeres Leben.
Bei dem Grafen Flahaut werben von Dilettanten französische Stücke
aufgeführt. Unter den Mitwirkenden machen sich besonders Fürst H.
und Baron O. S. durch Feinheit und Sicherheit des Spiels bemerk¬
bar. Außerdem war die hiesige Societät vielfach mit den Tableaur
beschäftigt, die an zwei Abenden bei der Fürstin R. dargestellt wur¬
den. Die englische Aristokratie ausgenommen, wird man nicht leicht
unter irgend einer anderen so viele schöne Frauen finden wie unter
der hiesigen; wenn man nun unter diesen Schönen die Schönste
wählt, sie in der, ihrer Individualität am meisten zusagenden, mit
ihrem Ausdruck am treffendsten übereinstimmenden Gestalt erscheinen
läßt, so kann die Wirkung wohl nur eine zauberhafte sein. Ganz
bewunderungswürdig waren vornehmlich die Gräfin A. Sz., die mit
ihren dunklen Augen, nachtschwarzen Locken und fremdartig reizendem
Antlitz Stender's Judith darstellte, und die blendend schöne Fürstin
E. sah., der man als Vernet's Hagar nur den Vorwurf machen
konnte, daß die Wahrscheinlichkeit durch sie beeinträchtigt werde, da
es ja doch geradezu unmöglich wäre, eine solche Frau zu verstoßen.
Unter den Herren zogen besonders Graf E. Z. als Abraham, Graf
B. als greiser Bischof und Baron I. als Apostel Paulus die Blicke
auf sich. Nach dem Beifall, den diese Produktionen fanden, läßt sich
hoffen, daß man auch in anderen Salons ähnliche veranstalten
werde, und es wäre dies um so mehr zu wünschen, als es außer
dem momentanen Genuß auch noch den Vortheil brächte, daß unsere
Societät dadurch in Beziehungen zur Kunst geriethe und auf diesem
Weg wieder ein Interesse daran gewönne, dessen jetzt eben nicht allzu
Viele fähig sind.

Ich muß schließen. In meinem nächsten Briefe werde ich Ih¬
nen melden, welche Aufnahme Ponsard's Lucreria bei uns gefunden
haben wird. In ein Paar Tagen soll sie in Seidl's Uebersetzung
auf unserem Burgtheater gegeben werden. Am Ostermontage haben
wir die erste italienische Oper; man verspricht sich viel von der Spa¬
nierin Montenegro '). Was mich betrifft, so bin ich mißtrauisch ge¬
worden gegen Alles, was ich nicht kenne, und statt auf jene unbe¬
kannte Größe freue ich mich vor der Hand auf die frühlingsheitere
Tadolim und den genialen Ronconi, diesen Devrient unter den Sängern.
Francis.

(Von einem anderen Correspondenten.) Gestern wurde ein Mann
begraben, dessen Leiche die ganze medicinische Facultät, fast alle Aerzte
Wiens, viele Männer aus den höchsten aristokratischen Kreisen, Hof¬
bediente, welche die höchsten Herrschaften vertraten, folgten. Dieser
Mann wurde vor dreiundsiebzig Jahren in Wien geboren und als



*) Die ehemalige Geliebte Espartero's.
Grenjboten 184«. I. 66
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/513>, abgerufen am 17.06.2024.