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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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weiter, kommt zu einem Einsiedler und auch dessen, längst in frommen
Liedern eingewiegtes Herz erwacht bei ihrem Anblick und geräth mit
Gott und Welt in Streit. Während dessen aber zieht Herr Aechtex
auch in der Irre herum, sein Lieb zu suchen. Ex baut sich ein Schiff
und fährt den Rhein hinab.

,,O Rhein, was klingt dein Name hold,
Gleich einex Glocke hell von Gold.
O fließe fort in stolzer Ruh,
Taufwassex deutscheu Volkes du!"

Ex besteht dann alle Gefahren auf dem Rhein. sein Schiff
sinkt und unten auf dem Boden des Stroms betritt er die Niren^
stadt. Ueberall aber wahrt ex sein Herz und bleibt der ersten Liebe
treu, bis ein großes Turniex sie Beide vereinigt. Alle diese Scenen
sind eben so reizend wie kindlich schön. Ton und Inhalt, Stimmung
des Dichters und sein Stoff erscheinen hier in einer vollendeten Har--
moule. Es hat mich in der That überrascht, daß es einem Poeten
von heute möglich ist, einen mächtigen Zaubex dex Unschuld übex
uns walten zu lassen.

Sie sehen, meine Freundin, ich habe mich nicht wohlfeil
gefangen gegeben. Dem Dichter selbst, wiederhole ich, ist es
nicht leicht geworden, füx die schlichte Einfalt seiner kunstlosen Ro-
mantik den rechten Ton zu finden. Tieck rief für seine Märchen
die Mustik dex menschlichen Seele zu Hilfe, seine Romantik buhlte
mit den Dämonen des Gemüthes, seine tiefere Poesie schwelgte in
Himmel und Hölle, er versetzt uns, wie mit einem Zauberschlage, in
seine geheimnißreiche Märchenwelt. Zedlitz ist keuscher, er ist kind-
lich und naiv, und. das scheinbar Einfachere steht dem Sinne un-
seres Zeitalters ferner. Hat er aber die ersten Hemmnisse überwun-
den, dann athmet seine Dichtung eine Frische, eine Anmuth, die fein
,,Waldfräulein" den schönsten Werken deutscher Literatur anreiht.

Auch die Prosa von heute gibt uns Zeugniß von einer unge-
ahneten Unschuld des Geistes. Es ist wiederum ein Dichter aus
den österreichischen Landen, dem dies möglich war. Ich meine Jo-
seph Rank's ,,Vier Brüder aus dem Volk". Der Verfasser nennt
seine Darstellung einen Roman ans Oesterreichs jüngsten Tagen und
will damit andeuten, daß Alles, was er schildert, Erlebniß ist, daß seine
ganze Scenerie sich der Welt der Wirklichkeit getreulich anschließt.


weiter, kommt zu einem Einsiedler und auch dessen, längst in frommen
Liedern eingewiegtes Herz erwacht bei ihrem Anblick und geräth mit
Gott und Welt in Streit. Während dessen aber zieht Herr Aechtex
auch in der Irre herum, sein Lieb zu suchen. Ex baut sich ein Schiff
und fährt den Rhein hinab.

,,O Rhein, was klingt dein Name hold,
Gleich einex Glocke hell von Gold.
O fließe fort in stolzer Ruh,
Taufwassex deutscheu Volkes du!"

Ex besteht dann alle Gefahren auf dem Rhein. sein Schiff
sinkt und unten auf dem Boden des Stroms betritt er die Niren^
stadt. Ueberall aber wahrt ex sein Herz und bleibt der ersten Liebe
treu, bis ein großes Turniex sie Beide vereinigt. Alle diese Scenen
sind eben so reizend wie kindlich schön. Ton und Inhalt, Stimmung
des Dichters und sein Stoff erscheinen hier in einer vollendeten Har--
moule. Es hat mich in der That überrascht, daß es einem Poeten
von heute möglich ist, einen mächtigen Zaubex dex Unschuld übex
uns walten zu lassen.

Sie sehen, meine Freundin, ich habe mich nicht wohlfeil
gefangen gegeben. Dem Dichter selbst, wiederhole ich, ist es
nicht leicht geworden, füx die schlichte Einfalt seiner kunstlosen Ro-
mantik den rechten Ton zu finden. Tieck rief für seine Märchen
die Mustik dex menschlichen Seele zu Hilfe, seine Romantik buhlte
mit den Dämonen des Gemüthes, seine tiefere Poesie schwelgte in
Himmel und Hölle, er versetzt uns, wie mit einem Zauberschlage, in
seine geheimnißreiche Märchenwelt. Zedlitz ist keuscher, er ist kind-
lich und naiv, und. das scheinbar Einfachere steht dem Sinne un-
seres Zeitalters ferner. Hat er aber die ersten Hemmnisse überwun-
den, dann athmet seine Dichtung eine Frische, eine Anmuth, die fein
,,Waldfräulein" den schönsten Werken deutscher Literatur anreiht.

Auch die Prosa von heute gibt uns Zeugniß von einer unge-
ahneten Unschuld des Geistes. Es ist wiederum ein Dichter aus
den österreichischen Landen, dem dies möglich war. Ich meine Jo-
seph Rank's ,,Vier Brüder aus dem Volk". Der Verfasser nennt
seine Darstellung einen Roman ans Oesterreichs jüngsten Tagen und
will damit andeuten, daß Alles, was er schildert, Erlebniß ist, daß seine
ganze Scenerie sich der Welt der Wirklichkeit getreulich anschließt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/73>, abgerufen am 17.06.2024.