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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Aber mit der Bezeichnung ,,Roman'' wird er die Kritik nöthigen, die
Erfindung zu vermissen, den Faden seiner Geschichte verworren zu
nennen. Es kann nicht leicht etwas confuser verschwimmen, als der
Ablauf seiner Erzählung. Rank kommt mir vor wie Einex, dex die
Tage, die Gestalten und den Schauplatz seiner Kindheit beschreiben
will und noch keinen festen Standpunkt gesunden hat, um hintex sich
das schöne Thal seiner ersten Lebensidylle zu überblicken. Er hat
sich von dieser Jugendwelt noch nicht gelöst, und so gibt er wohl die
Musik der ersten Eindrücke wieder, fällt aber, wo er schildert, über
allerlei kleinen Kram der Gemüthswelt her und verliert sich ganz in
die sinnige Spielerei seiner kindlich schönen Empfindsamkeit. Welche
reizende Welt eröffnet er uns zu Anfang seiner Darstellung böhmischer
Landleute. Wie führt er uns ein in das seelenvolle Glück eines dörf-
lichen Familienlebens, das ganz abseits liegt vom großen Strom der
Welt! Die Oertlichkeit wird uns lebendig, wir athmen Feld und
Wald, die Räume des Hauses stehen vor uns, wir hören die Men-
schen reden, wir sehen sie schreiten, selbst das Schnarchen der Schläfer
beschleicht unser Ohr, und wir kriechen demPoeten überall nach, bis
in den Heuschober, bis aus die Hühnerstiege. Ich weiß nicht, weht
uns hier ein Anflug homerischer Einfalt an, oder ein Hauch von
Lorenz Sterne's weicher, humoristischer Schwermuth. Auch war der
Stoff nicht ohne Glück zu Anfang angelegt. Drei von den Brüdern
lieben des Nachbars Tochter. Jeder wittert im Bruder einen glück-
lichen Nebeubuh^ter und entsagt still und scheu, um dessen Glück nicht
zu stören. Jeder behütet den Andern und trägt sein Schicksal sest
und schweigend. Und so gehen sie Alle am Mißverständniß redlich
unter. Dieser Kampf der ehrlichen Burschen ist die ergreifendste Elegie.
Aber die Ausführung ist im Stoffe nicht sachlich erledigt und die
Darstellung, die sich mit der Lyrik des Stoffes begnügt, wird eine
manierirte Eintönigkeit. Die Prosa geht in dithyrambische Rhythmen
über und gefällt sich in Refrains, in Betheurungen, in Wiederholungen.
Dem erzählenden Styl wird zu viel Musik zugemuthet und aufge-
bürdet. Die Gestalten bleiben Conturen, Fedexstriche. Und zwischen-
durch fluthet die Stimmung des Verfassers, die alle Linien über-
schüttet, auflöst und chaotisch verwirrt. Es ist, als wenn Musik und
Zeichnenkunst ^ in Rank's Natur einen Kampf bestünden und jene
noch alle Gestaltung überströmte und vernichtete.


Aber mit der Bezeichnung ,,Roman'' wird er die Kritik nöthigen, die
Erfindung zu vermissen, den Faden seiner Geschichte verworren zu
nennen. Es kann nicht leicht etwas confuser verschwimmen, als der
Ablauf seiner Erzählung. Rank kommt mir vor wie Einex, dex die
Tage, die Gestalten und den Schauplatz seiner Kindheit beschreiben
will und noch keinen festen Standpunkt gesunden hat, um hintex sich
das schöne Thal seiner ersten Lebensidylle zu überblicken. Er hat
sich von dieser Jugendwelt noch nicht gelöst, und so gibt er wohl die
Musik der ersten Eindrücke wieder, fällt aber, wo er schildert, über
allerlei kleinen Kram der Gemüthswelt her und verliert sich ganz in
die sinnige Spielerei seiner kindlich schönen Empfindsamkeit. Welche
reizende Welt eröffnet er uns zu Anfang seiner Darstellung böhmischer
Landleute. Wie führt er uns ein in das seelenvolle Glück eines dörf-
lichen Familienlebens, das ganz abseits liegt vom großen Strom der
Welt! Die Oertlichkeit wird uns lebendig, wir athmen Feld und
Wald, die Räume des Hauses stehen vor uns, wir hören die Men-
schen reden, wir sehen sie schreiten, selbst das Schnarchen der Schläfer
beschleicht unser Ohr, und wir kriechen demPoeten überall nach, bis
in den Heuschober, bis aus die Hühnerstiege. Ich weiß nicht, weht
uns hier ein Anflug homerischer Einfalt an, oder ein Hauch von
Lorenz Sterne's weicher, humoristischer Schwermuth. Auch war der
Stoff nicht ohne Glück zu Anfang angelegt. Drei von den Brüdern
lieben des Nachbars Tochter. Jeder wittert im Bruder einen glück-
lichen Nebeubuh^ter und entsagt still und scheu, um dessen Glück nicht
zu stören. Jeder behütet den Andern und trägt sein Schicksal sest
und schweigend. Und so gehen sie Alle am Mißverständniß redlich
unter. Dieser Kampf der ehrlichen Burschen ist die ergreifendste Elegie.
Aber die Ausführung ist im Stoffe nicht sachlich erledigt und die
Darstellung, die sich mit der Lyrik des Stoffes begnügt, wird eine
manierirte Eintönigkeit. Die Prosa geht in dithyrambische Rhythmen
über und gefällt sich in Refrains, in Betheurungen, in Wiederholungen.
Dem erzählenden Styl wird zu viel Musik zugemuthet und aufge-
bürdet. Die Gestalten bleiben Conturen, Fedexstriche. Und zwischen-
durch fluthet die Stimmung des Verfassers, die alle Linien über-
schüttet, auflöst und chaotisch verwirrt. Es ist, als wenn Musik und
Zeichnenkunst ^ in Rank's Natur einen Kampf bestünden und jene
noch alle Gestaltung überströmte und vernichtete.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/74>, abgerufen am 17.06.2024.