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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Wichtigkeit wegen, welche die englische Fahrt haben mag, als wegen
des Schauspiels, das der Besuch des Alleinherrschers beim freiesten
Volk der alten Welt darbot. England bewies seine Gastfreundschaft
dem Czaren in glänzender, dem gleichzeitig anwesenden König von
Sachsen mehr in herzlicher Weise; die großartige Ungenirtheit der Na¬
tion aber spricht aus dem tausendstimmiger Concert, das die Londo¬
ner Jounialpresse anhob. Da machten sich alle Meinungen, Launen
und Eigenheiten John Bull's mit gleicher Freiheit Lust; die Tory-
vlattcr, welche die Honneurs machten, vergaben Nichts der Würde
Altenglands; es fehlte nicht an Bosheiten in den radikalen Zeitungen,
der große Chorus der populären Journalistik aber behandelte die Sache
mehr mit gesundem und lustigem Humor, als mit Aerger und Bit¬
terkeit. Es regnete Wortspiele und Karrikaturen; unter den charakte¬
ristischen Zügen, die man erzählt, wollen wir blos einen erwähnen.
Kaiser Nikolaus reichte dem Herzog (Wellington) die Hand zum
Kusse Wellington nahm die Hand und -- schüttelte sie. Während
dle fashionable Welt den hohen Gast mit der seiner Persönlichkeit und
Stellung gebührenden Achtung empfing, versäumte sie nicht den Polen¬
ball den Lord Dudley Stuart jährlich am W. Juni veranstaltet; ja
es wurden in diesem Jahre dreimal so viel Billets als im vorigen
verkauft, und Graf Ostrowski, der, eines Attentatsplanes beschuldigt,
tausend Pfund Caution hatte stellen müssen, wurde von den aristo¬
kratischen Damen, die an der Spitze des Ballcomites stehen, mit
besonderer Auszeichnung empfangen. Wie es scheint, glaubte der
Kaiser, durch einen eclatanten Zug die Demonstration pariren zu müs¬
sen. Man erzählt, er habe durch seinen Gesandten ein Billet zum
Polenball verlangen lassen und dafür fünfhundert Pfund dem Comitv
geschickt, welches, wie vorauszusehen, das Geld zurückwies. Wir kön¬
nen diesem Gerüchte keinen Glauben beimessen, denn die fünfhundert
Pfund würden weniger Grofimuth, als Unzarthcit verrathen. Kaiser
Nikolaus wird wohl wissen, das; es sich nicht blos darum handelt, das
materielle Elend der Polen zu lindern. Könnten diese eine Unter¬
stützung von ihrem Feinde annehmen, so dürften sie ja nur um Am¬
nestie und Anstellung bitten; und es ließ sich doch nicht erwarten, daß
die Flüchtlinge sich selbst zu mehr als gemeinen Bettlern erniedri¬
gen würden. Oder sollten die fünfhundert Pfund andeuten, daß der
Kaiser sie fürnichts Besseres halte?

-- Deutschland besitzt ein Gebrüderpaar, das in seiner Thätig¬
keit den merkwürdigsten und für unsere Verhältnisse bezeichnendsten
Gegensatz bildet. Beide Brüder sind öffentliche Charaktere und füh¬
ren die Feder, der eine öffentlich, der andere geheim; doch ist jener
nicht so allgemein bekannt, als dieser. Beide suchen politisch zu wir¬
ken, und thun dies auf die verschiedenste Weise, im verschiedensten


Wichtigkeit wegen, welche die englische Fahrt haben mag, als wegen
des Schauspiels, das der Besuch des Alleinherrschers beim freiesten
Volk der alten Welt darbot. England bewies seine Gastfreundschaft
dem Czaren in glänzender, dem gleichzeitig anwesenden König von
Sachsen mehr in herzlicher Weise; die großartige Ungenirtheit der Na¬
tion aber spricht aus dem tausendstimmiger Concert, das die Londo¬
ner Jounialpresse anhob. Da machten sich alle Meinungen, Launen
und Eigenheiten John Bull's mit gleicher Freiheit Lust; die Tory-
vlattcr, welche die Honneurs machten, vergaben Nichts der Würde
Altenglands; es fehlte nicht an Bosheiten in den radikalen Zeitungen,
der große Chorus der populären Journalistik aber behandelte die Sache
mehr mit gesundem und lustigem Humor, als mit Aerger und Bit¬
terkeit. Es regnete Wortspiele und Karrikaturen; unter den charakte¬
ristischen Zügen, die man erzählt, wollen wir blos einen erwähnen.
Kaiser Nikolaus reichte dem Herzog (Wellington) die Hand zum
Kusse Wellington nahm die Hand und — schüttelte sie. Während
dle fashionable Welt den hohen Gast mit der seiner Persönlichkeit und
Stellung gebührenden Achtung empfing, versäumte sie nicht den Polen¬
ball den Lord Dudley Stuart jährlich am W. Juni veranstaltet; ja
es wurden in diesem Jahre dreimal so viel Billets als im vorigen
verkauft, und Graf Ostrowski, der, eines Attentatsplanes beschuldigt,
tausend Pfund Caution hatte stellen müssen, wurde von den aristo¬
kratischen Damen, die an der Spitze des Ballcomites stehen, mit
besonderer Auszeichnung empfangen. Wie es scheint, glaubte der
Kaiser, durch einen eclatanten Zug die Demonstration pariren zu müs¬
sen. Man erzählt, er habe durch seinen Gesandten ein Billet zum
Polenball verlangen lassen und dafür fünfhundert Pfund dem Comitv
geschickt, welches, wie vorauszusehen, das Geld zurückwies. Wir kön¬
nen diesem Gerüchte keinen Glauben beimessen, denn die fünfhundert
Pfund würden weniger Grofimuth, als Unzarthcit verrathen. Kaiser
Nikolaus wird wohl wissen, das; es sich nicht blos darum handelt, das
materielle Elend der Polen zu lindern. Könnten diese eine Unter¬
stützung von ihrem Feinde annehmen, so dürften sie ja nur um Am¬
nestie und Anstellung bitten; und es ließ sich doch nicht erwarten, daß
die Flüchtlinge sich selbst zu mehr als gemeinen Bettlern erniedri¬
gen würden. Oder sollten die fünfhundert Pfund andeuten, daß der
Kaiser sie fürnichts Besseres halte?

— Deutschland besitzt ein Gebrüderpaar, das in seiner Thätig¬
keit den merkwürdigsten und für unsere Verhältnisse bezeichnendsten
Gegensatz bildet. Beide Brüder sind öffentliche Charaktere und füh¬
ren die Feder, der eine öffentlich, der andere geheim; doch ist jener
nicht so allgemein bekannt, als dieser. Beide suchen politisch zu wir¬
ken, und thun dies auf die verschiedenste Weise, im verschiedensten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/839>, abgerufen am 25.05.2024.