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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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Sinn und wohl auch mit dem verschiedensten Erfolge. Ist diese selt¬
same Erscheinung noch Niemand aufgefallen? Wir meinen die Ge¬
brüder Brünnow, von denen einer deutscher Schriftsteller und Mit¬
glied des Leipziger Literatenvereins, der andere russischer Gesandter in
London ist. Jener hat einen Ulrich von Hütten geschrieben, der den
altgermanischen Freiheitsgeist im Herzen der Jugend anfachen soll;
dieser wird wohl weniger germanische Zwecke verfolgen und keine so
lebhaften Sympathien für deutsche Einheit und Größe hegen. Wir
möchten nur Eins wissen: welche von beiden Federn hat mehr Einfluß
auf unser Wohl oder Wehe? Die, welche politische Tendenzromane
zum Besten der deutschen Einheit, oder die, welche diplomatische No
ten im Interesse Rußlands schreibt?

-- Ein Berliner Denker, der einem literarischen Novizen "eine
Anleitung, den wahren philosophischen Styl zu schreiben", gab, sagt
unter Anderm: Von besonderer Wichtigkeit sind die Worte: Stand¬
punkt und Forschung, wissenschaftlich und unwissenschaftlich, frei und
unfrei, bewußt und unbewußt, beschränkt und unbeschränkt nebst
den davon abzuleitenden Haupt-, Zeit- und Kraftwörtern; ferner die
Worte: in sich und an sich, außerhalb und innerhalb, von Außen
und von Innen; nicht zu vergessen "das Wesen", "die Entwickelung",
das "sich verhalten" und "sich bewegen". In diesen wenigen Zau¬
berformeln steckt der Inhalt der ganzen modernen Weltideen. setzest
Du noch statt: "Ich", jedesmal: "Die entschiedene Kritik", so wird
kein Berliner anstehen, Dich für einen tiefen Philosophen zu halten.
Obige Wörter dürfen aber in keinem Satze fehlen, er mag noch so
groß oder klein sein; je öfter sie in einem und demselben Satze vor¬
kommen, desto besser. Zum Beispiel: Die entschiedene Kritik, die sich
auf dem vollkommen freien Standpunkt der wissenschaftlichen For¬
schung befindet, muß das Wesen des vernünftigen Menschen, das heißt
des bewußten Menschen, des Menschen an sich, darin sehen, daß er
außerhalb der Schranken der Unfreiheit, sich vielmehr innerhalb des
Bewußtseins der menschlichen Freiheit bewege und gegen die von Au¬
ßen gegebenen Resultate der unwissenschaftlichen Entwickelung mit un¬
bedingter Freiheit verhalte. -- Wie schlagend und wie schön zugleich!
Sagst Du dasselbe in gewöhnlichem unwissenschaftlichen Styl, so heißt
es: Ich glaube, ein gescheidter Kerl soll nicht dumm sein. -- Damit
lockst Du aber keinen Hund vom Ofen.




Verlag von Fr. Ludw. Herbig. -- Redacteur I. Kllranda.
Druck von Friedrich Andrä.

Sinn und wohl auch mit dem verschiedensten Erfolge. Ist diese selt¬
same Erscheinung noch Niemand aufgefallen? Wir meinen die Ge¬
brüder Brünnow, von denen einer deutscher Schriftsteller und Mit¬
glied des Leipziger Literatenvereins, der andere russischer Gesandter in
London ist. Jener hat einen Ulrich von Hütten geschrieben, der den
altgermanischen Freiheitsgeist im Herzen der Jugend anfachen soll;
dieser wird wohl weniger germanische Zwecke verfolgen und keine so
lebhaften Sympathien für deutsche Einheit und Größe hegen. Wir
möchten nur Eins wissen: welche von beiden Federn hat mehr Einfluß
auf unser Wohl oder Wehe? Die, welche politische Tendenzromane
zum Besten der deutschen Einheit, oder die, welche diplomatische No
ten im Interesse Rußlands schreibt?

— Ein Berliner Denker, der einem literarischen Novizen „eine
Anleitung, den wahren philosophischen Styl zu schreiben", gab, sagt
unter Anderm: Von besonderer Wichtigkeit sind die Worte: Stand¬
punkt und Forschung, wissenschaftlich und unwissenschaftlich, frei und
unfrei, bewußt und unbewußt, beschränkt und unbeschränkt nebst
den davon abzuleitenden Haupt-, Zeit- und Kraftwörtern; ferner die
Worte: in sich und an sich, außerhalb und innerhalb, von Außen
und von Innen; nicht zu vergessen „das Wesen", „die Entwickelung",
das „sich verhalten" und „sich bewegen". In diesen wenigen Zau¬
berformeln steckt der Inhalt der ganzen modernen Weltideen. setzest
Du noch statt: „Ich", jedesmal: „Die entschiedene Kritik", so wird
kein Berliner anstehen, Dich für einen tiefen Philosophen zu halten.
Obige Wörter dürfen aber in keinem Satze fehlen, er mag noch so
groß oder klein sein; je öfter sie in einem und demselben Satze vor¬
kommen, desto besser. Zum Beispiel: Die entschiedene Kritik, die sich
auf dem vollkommen freien Standpunkt der wissenschaftlichen For¬
schung befindet, muß das Wesen des vernünftigen Menschen, das heißt
des bewußten Menschen, des Menschen an sich, darin sehen, daß er
außerhalb der Schranken der Unfreiheit, sich vielmehr innerhalb des
Bewußtseins der menschlichen Freiheit bewege und gegen die von Au¬
ßen gegebenen Resultate der unwissenschaftlichen Entwickelung mit un¬
bedingter Freiheit verhalte. — Wie schlagend und wie schön zugleich!
Sagst Du dasselbe in gewöhnlichem unwissenschaftlichen Styl, so heißt
es: Ich glaube, ein gescheidter Kerl soll nicht dumm sein. — Damit
lockst Du aber keinen Hund vom Ofen.




Verlag von Fr. Ludw. Herbig. — Redacteur I. Kllranda.
Druck von Friedrich Andrä.
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[0840] Sinn und wohl auch mit dem verschiedensten Erfolge. Ist diese selt¬ same Erscheinung noch Niemand aufgefallen? Wir meinen die Ge¬ brüder Brünnow, von denen einer deutscher Schriftsteller und Mit¬ glied des Leipziger Literatenvereins, der andere russischer Gesandter in London ist. Jener hat einen Ulrich von Hütten geschrieben, der den altgermanischen Freiheitsgeist im Herzen der Jugend anfachen soll; dieser wird wohl weniger germanische Zwecke verfolgen und keine so lebhaften Sympathien für deutsche Einheit und Größe hegen. Wir möchten nur Eins wissen: welche von beiden Federn hat mehr Einfluß auf unser Wohl oder Wehe? Die, welche politische Tendenzromane zum Besten der deutschen Einheit, oder die, welche diplomatische No ten im Interesse Rußlands schreibt? — Ein Berliner Denker, der einem literarischen Novizen „eine Anleitung, den wahren philosophischen Styl zu schreiben", gab, sagt unter Anderm: Von besonderer Wichtigkeit sind die Worte: Stand¬ punkt und Forschung, wissenschaftlich und unwissenschaftlich, frei und unfrei, bewußt und unbewußt, beschränkt und unbeschränkt nebst den davon abzuleitenden Haupt-, Zeit- und Kraftwörtern; ferner die Worte: in sich und an sich, außerhalb und innerhalb, von Außen und von Innen; nicht zu vergessen „das Wesen", „die Entwickelung", das „sich verhalten" und „sich bewegen". In diesen wenigen Zau¬ berformeln steckt der Inhalt der ganzen modernen Weltideen. setzest Du noch statt: „Ich", jedesmal: „Die entschiedene Kritik", so wird kein Berliner anstehen, Dich für einen tiefen Philosophen zu halten. Obige Wörter dürfen aber in keinem Satze fehlen, er mag noch so groß oder klein sein; je öfter sie in einem und demselben Satze vor¬ kommen, desto besser. Zum Beispiel: Die entschiedene Kritik, die sich auf dem vollkommen freien Standpunkt der wissenschaftlichen For¬ schung befindet, muß das Wesen des vernünftigen Menschen, das heißt des bewußten Menschen, des Menschen an sich, darin sehen, daß er außerhalb der Schranken der Unfreiheit, sich vielmehr innerhalb des Bewußtseins der menschlichen Freiheit bewege und gegen die von Au¬ ßen gegebenen Resultate der unwissenschaftlichen Entwickelung mit un¬ bedingter Freiheit verhalte. — Wie schlagend und wie schön zugleich! Sagst Du dasselbe in gewöhnlichem unwissenschaftlichen Styl, so heißt es: Ich glaube, ein gescheidter Kerl soll nicht dumm sein. — Damit lockst Du aber keinen Hund vom Ofen. Verlag von Fr. Ludw. Herbig. — Redacteur I. Kllranda. Druck von Friedrich Andrä.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/840>, abgerufen am 17.06.2024.