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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester.

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liebe Chor steht unter der Leitung des Chordirectors Fischer. Was
die hiesige Oper zu leisten vermag, sahen wir vor Allem bei der
Aufführung von Wagner's Rienzi, die nach des Komponisten neuer
Einrichtung nun wieder an einem Abend gegeben wird. Dieses
großartige Werk konnte wegen der Abwesenheit einiger Sänger wäh¬
rend deS Sommers nicht zur Aufführung gebracht werden; die Jn-
scenesetzung desselben erfordert außerordentliche Anstrengung. Endlich
wurde es gegeben und zwar dreimal in einer Woche bei überfülltem
Hause und mit wahrem Enthusiasmus aufgenommen. Es ist ein
deutscher Komponist. Die Oper Rienzi kann in der durchaus neuen
Bahn, welche der Komponist mit ihr eröffnet, Einfluß auf die Kunst
ausüben. Die Oper hat sich bisher großen Theils in einer gewissen
Form bewegt, in welcher die Musik als solche sich auf Kosten des
dramatischen Elements geltend machte; der Tert erschien da als
Nebensache und von dem Komponisten nur in so weit zu berücksichtigen,
als er ihm Gelegenheit gab, seine musikalischen Ideen auszuführen;
auf die vom Drama bedingte fortschreitende Handlung und Bewe¬
gung wurde dabei wenig gesehen. Wir wissen, wie Arien, Duetts,
Terzetts, Chöre?c. oft in entscheidenden Momenten hemmend und
störend, ganz gegen die eigentliche Natur des Dramas, gegeben
werden; darin zeichnen sich besonders die Italiener aus. Die Musik
hat so in der Uebermacht, die sie durch das Gefühl über die Dent-
und Thatkraft erhalten, einen entnervenden und verweichlichenden
Einfluß ausgeübt. Man denke ein Italien. Jetzt tritt ein deutscher
Komponist, ein Dichter auf mit genialer Begabung, der uns eine
Oper gibt, die ein wirkliches, echt künstlerisches Drama ist: die Musik
tritt nicht hemmend auf gegen den dramatischen Gedanken, gegen die
dramatische Handlung, sondern weiß sich so innig mit denselben zu
vereinigen, daß sie ihnen nur noch eine erhöhtere Bedeutung, ein
reicheres Leben verleiht. Die verschiedenen Gesangstücke sind ganz
naturgemäß gehalten; alle, Arien und Chöre wirken stets auf den
Fortschritt der Handlung hin. Ganz besonders eigenthümlich aber
ist drescr Oper Rienzi, daß das bewegte wandelbare Volk, der Chor,
wirklich mlthandelnde dramatische Person ist, und hierin zeigt sich
eine besondere Kraft des musikalischen Dramas, dem recitirendcn
gegenüber; in letzterem können nur einzelne Personen den Willen,
den Ausdruck der Masse bezeichnen und kundgeben; das Volk gibt


liebe Chor steht unter der Leitung des Chordirectors Fischer. Was
die hiesige Oper zu leisten vermag, sahen wir vor Allem bei der
Aufführung von Wagner's Rienzi, die nach des Komponisten neuer
Einrichtung nun wieder an einem Abend gegeben wird. Dieses
großartige Werk konnte wegen der Abwesenheit einiger Sänger wäh¬
rend deS Sommers nicht zur Aufführung gebracht werden; die Jn-
scenesetzung desselben erfordert außerordentliche Anstrengung. Endlich
wurde es gegeben und zwar dreimal in einer Woche bei überfülltem
Hause und mit wahrem Enthusiasmus aufgenommen. Es ist ein
deutscher Komponist. Die Oper Rienzi kann in der durchaus neuen
Bahn, welche der Komponist mit ihr eröffnet, Einfluß auf die Kunst
ausüben. Die Oper hat sich bisher großen Theils in einer gewissen
Form bewegt, in welcher die Musik als solche sich auf Kosten des
dramatischen Elements geltend machte; der Tert erschien da als
Nebensache und von dem Komponisten nur in so weit zu berücksichtigen,
als er ihm Gelegenheit gab, seine musikalischen Ideen auszuführen;
auf die vom Drama bedingte fortschreitende Handlung und Bewe¬
gung wurde dabei wenig gesehen. Wir wissen, wie Arien, Duetts,
Terzetts, Chöre?c. oft in entscheidenden Momenten hemmend und
störend, ganz gegen die eigentliche Natur des Dramas, gegeben
werden; darin zeichnen sich besonders die Italiener aus. Die Musik
hat so in der Uebermacht, die sie durch das Gefühl über die Dent-
und Thatkraft erhalten, einen entnervenden und verweichlichenden
Einfluß ausgeübt. Man denke ein Italien. Jetzt tritt ein deutscher
Komponist, ein Dichter auf mit genialer Begabung, der uns eine
Oper gibt, die ein wirkliches, echt künstlerisches Drama ist: die Musik
tritt nicht hemmend auf gegen den dramatischen Gedanken, gegen die
dramatische Handlung, sondern weiß sich so innig mit denselben zu
vereinigen, daß sie ihnen nur noch eine erhöhtere Bedeutung, ein
reicheres Leben verleiht. Die verschiedenen Gesangstücke sind ganz
naturgemäß gehalten; alle, Arien und Chöre wirken stets auf den
Fortschritt der Handlung hin. Ganz besonders eigenthümlich aber
ist drescr Oper Rienzi, daß das bewegte wandelbare Volk, der Chor,
wirklich mlthandelnde dramatische Person ist, und hierin zeigt sich
eine besondere Kraft des musikalischen Dramas, dem recitirendcn
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[0097] liebe Chor steht unter der Leitung des Chordirectors Fischer. Was die hiesige Oper zu leisten vermag, sahen wir vor Allem bei der Aufführung von Wagner's Rienzi, die nach des Komponisten neuer Einrichtung nun wieder an einem Abend gegeben wird. Dieses großartige Werk konnte wegen der Abwesenheit einiger Sänger wäh¬ rend deS Sommers nicht zur Aufführung gebracht werden; die Jn- scenesetzung desselben erfordert außerordentliche Anstrengung. Endlich wurde es gegeben und zwar dreimal in einer Woche bei überfülltem Hause und mit wahrem Enthusiasmus aufgenommen. Es ist ein deutscher Komponist. Die Oper Rienzi kann in der durchaus neuen Bahn, welche der Komponist mit ihr eröffnet, Einfluß auf die Kunst ausüben. Die Oper hat sich bisher großen Theils in einer gewissen Form bewegt, in welcher die Musik als solche sich auf Kosten des dramatischen Elements geltend machte; der Tert erschien da als Nebensache und von dem Komponisten nur in so weit zu berücksichtigen, als er ihm Gelegenheit gab, seine musikalischen Ideen auszuführen; auf die vom Drama bedingte fortschreitende Handlung und Bewe¬ gung wurde dabei wenig gesehen. Wir wissen, wie Arien, Duetts, Terzetts, Chöre?c. oft in entscheidenden Momenten hemmend und störend, ganz gegen die eigentliche Natur des Dramas, gegeben werden; darin zeichnen sich besonders die Italiener aus. Die Musik hat so in der Uebermacht, die sie durch das Gefühl über die Dent- und Thatkraft erhalten, einen entnervenden und verweichlichenden Einfluß ausgeübt. Man denke ein Italien. Jetzt tritt ein deutscher Komponist, ein Dichter auf mit genialer Begabung, der uns eine Oper gibt, die ein wirkliches, echt künstlerisches Drama ist: die Musik tritt nicht hemmend auf gegen den dramatischen Gedanken, gegen die dramatische Handlung, sondern weiß sich so innig mit denselben zu vereinigen, daß sie ihnen nur noch eine erhöhtere Bedeutung, ein reicheres Leben verleiht. Die verschiedenen Gesangstücke sind ganz naturgemäß gehalten; alle, Arien und Chöre wirken stets auf den Fortschritt der Handlung hin. Ganz besonders eigenthümlich aber ist drescr Oper Rienzi, daß das bewegte wandelbare Volk, der Chor, wirklich mlthandelnde dramatische Person ist, und hierin zeigt sich eine besondere Kraft des musikalischen Dramas, dem recitirendcn gegenüber; in letzterem können nur einzelne Personen den Willen, den Ausdruck der Masse bezeichnen und kundgeben; das Volk gibt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_179712/97>, abgerufen am 17.06.2024.