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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band.

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immer verlieren könnte. -- Wohl aber ist mit solch fleisch- und
blutlosen Schemen gar leicht umzuspringen. Hat man sie erst ein¬
mal aus der Mitte deS Lebens herausgerissen und in eine Hegelsche
Kategorie verflüchtigt, so leisten sie keinen Widerstand mehr, und der
allmächtige Meister treibt sein launenhaftes Spiel mit ihnen. Da
entwickelt sich der an und für sich seiende Gedanke zum Außersichsein
der Natur, da faßt sich dieses wieder in die Individualität zusam¬
men, und diese wieder geht in den absoluten Geist aus, das Ende,
das seinen Anfang wieder setzt und verwickelt. Ein ganz allerlieb¬
stes naives Selbstgeständniß. Ein solcher Fortschritt heißt denn doch
auf gut Deutsch Nichts andres, als sich im Kreise herumdrehn und
dabei ewig und immer auf dem alten Flecke bleiben. Das ist denn
aber in der That auch die letzte und ganze Wahrheit der Hegelei.
Denken ist Denken, und wer denkt, der lügt, sagt ein allbekann¬
tes Sprüchwort der gefunden Vernunft. Hegel hat das Denken
aus dem Kopfe des Subjectes durch eine Operation, wie sie ihm der
geschickteste Chirurg nicht nachmachen wird, herausgeschnitten, ihm
also seine Grundlage, diese Person, weggezogen. Da ist kein Ich,
kein du mehr, waS da denkt, das Denken denkt selbst. Aber weil es
neu durch die Ohren und Augen und übrigen Sinne des Menschen
seinen Stoff, an dem es seine Thätigkeit entwickelte, erhalten konnte,
so hat es keinen andern Inhalt mehr, denn sich selbst. Da sprudelt
es seine Erinnerungen aus dem frühern Leibesleben heraus -- un¬
natürlich, gewaltsam. -- Weil von der ganzen Welt getrennt und
in den kleinen eignen Kreis gebannt, wird ihm dieser zur Welt, und
neu sind seine Gedanken, -- Thaten, Leben, Sein. Denn sein Sein,
sein Leben, sein Thun ist natürlich genug! eben Nichts weiter als Denken.
Wenn einer, so hat Kant mit seiner Frage nach der Möglichkeit syn¬
thetischer Urtheile rirwr! den Nagel auf den Kopf getroffen. Ist
diese Frage zu bejahen, so ist freilich ein Fortschritt im sogenannten
reinen Denken möglich. Sie ist aber unbedingt zu verneinen. Das
Denken kann doch wohl nie über sich selbst hinaus kommen, so
oft es auch den Zuruf no sutor- "in-a, crepiänm unbeachtet gelassen
hat. Wo es sich ein Sein zugeschrieben, so ist dies Nichts weiter
als eine Selbstbezeichnung, also eine Tautologie, d. h. sein Sein ist



*) Es ist wohl kaum nöthig, darauf aufmerksam zu machen, daji hier im^
,mer nur das, abstracte sogenannte reine Denken gemeint wird.

immer verlieren könnte. — Wohl aber ist mit solch fleisch- und
blutlosen Schemen gar leicht umzuspringen. Hat man sie erst ein¬
mal aus der Mitte deS Lebens herausgerissen und in eine Hegelsche
Kategorie verflüchtigt, so leisten sie keinen Widerstand mehr, und der
allmächtige Meister treibt sein launenhaftes Spiel mit ihnen. Da
entwickelt sich der an und für sich seiende Gedanke zum Außersichsein
der Natur, da faßt sich dieses wieder in die Individualität zusam¬
men, und diese wieder geht in den absoluten Geist aus, das Ende,
das seinen Anfang wieder setzt und verwickelt. Ein ganz allerlieb¬
stes naives Selbstgeständniß. Ein solcher Fortschritt heißt denn doch
auf gut Deutsch Nichts andres, als sich im Kreise herumdrehn und
dabei ewig und immer auf dem alten Flecke bleiben. Das ist denn
aber in der That auch die letzte und ganze Wahrheit der Hegelei.
Denken ist Denken, und wer denkt, der lügt, sagt ein allbekann¬
tes Sprüchwort der gefunden Vernunft. Hegel hat das Denken
aus dem Kopfe des Subjectes durch eine Operation, wie sie ihm der
geschickteste Chirurg nicht nachmachen wird, herausgeschnitten, ihm
also seine Grundlage, diese Person, weggezogen. Da ist kein Ich,
kein du mehr, waS da denkt, das Denken denkt selbst. Aber weil es
neu durch die Ohren und Augen und übrigen Sinne des Menschen
seinen Stoff, an dem es seine Thätigkeit entwickelte, erhalten konnte,
so hat es keinen andern Inhalt mehr, denn sich selbst. Da sprudelt
es seine Erinnerungen aus dem frühern Leibesleben heraus — un¬
natürlich, gewaltsam. — Weil von der ganzen Welt getrennt und
in den kleinen eignen Kreis gebannt, wird ihm dieser zur Welt, und
neu sind seine Gedanken, — Thaten, Leben, Sein. Denn sein Sein,
sein Leben, sein Thun ist natürlich genug! eben Nichts weiter als Denken.
Wenn einer, so hat Kant mit seiner Frage nach der Möglichkeit syn¬
thetischer Urtheile rirwr! den Nagel auf den Kopf getroffen. Ist
diese Frage zu bejahen, so ist freilich ein Fortschritt im sogenannten
reinen Denken möglich. Sie ist aber unbedingt zu verneinen. Das
Denken kann doch wohl nie über sich selbst hinaus kommen, so
oft es auch den Zuruf no sutor- »in-a, crepiänm unbeachtet gelassen
hat. Wo es sich ein Sein zugeschrieben, so ist dies Nichts weiter
als eine Selbstbezeichnung, also eine Tautologie, d. h. sein Sein ist



*) Es ist wohl kaum nöthig, darauf aufmerksam zu machen, daji hier im^
,mer nur das, abstracte sogenannte reine Denken gemeint wird.
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[0044] immer verlieren könnte. — Wohl aber ist mit solch fleisch- und blutlosen Schemen gar leicht umzuspringen. Hat man sie erst ein¬ mal aus der Mitte deS Lebens herausgerissen und in eine Hegelsche Kategorie verflüchtigt, so leisten sie keinen Widerstand mehr, und der allmächtige Meister treibt sein launenhaftes Spiel mit ihnen. Da entwickelt sich der an und für sich seiende Gedanke zum Außersichsein der Natur, da faßt sich dieses wieder in die Individualität zusam¬ men, und diese wieder geht in den absoluten Geist aus, das Ende, das seinen Anfang wieder setzt und verwickelt. Ein ganz allerlieb¬ stes naives Selbstgeständniß. Ein solcher Fortschritt heißt denn doch auf gut Deutsch Nichts andres, als sich im Kreise herumdrehn und dabei ewig und immer auf dem alten Flecke bleiben. Das ist denn aber in der That auch die letzte und ganze Wahrheit der Hegelei. Denken ist Denken, und wer denkt, der lügt, sagt ein allbekann¬ tes Sprüchwort der gefunden Vernunft. Hegel hat das Denken aus dem Kopfe des Subjectes durch eine Operation, wie sie ihm der geschickteste Chirurg nicht nachmachen wird, herausgeschnitten, ihm also seine Grundlage, diese Person, weggezogen. Da ist kein Ich, kein du mehr, waS da denkt, das Denken denkt selbst. Aber weil es neu durch die Ohren und Augen und übrigen Sinne des Menschen seinen Stoff, an dem es seine Thätigkeit entwickelte, erhalten konnte, so hat es keinen andern Inhalt mehr, denn sich selbst. Da sprudelt es seine Erinnerungen aus dem frühern Leibesleben heraus — un¬ natürlich, gewaltsam. — Weil von der ganzen Welt getrennt und in den kleinen eignen Kreis gebannt, wird ihm dieser zur Welt, und neu sind seine Gedanken, — Thaten, Leben, Sein. Denn sein Sein, sein Leben, sein Thun ist natürlich genug! eben Nichts weiter als Denken. Wenn einer, so hat Kant mit seiner Frage nach der Möglichkeit syn¬ thetischer Urtheile rirwr! den Nagel auf den Kopf getroffen. Ist diese Frage zu bejahen, so ist freilich ein Fortschritt im sogenannten reinen Denken möglich. Sie ist aber unbedingt zu verneinen. Das Denken kann doch wohl nie über sich selbst hinaus kommen, so oft es auch den Zuruf no sutor- »in-a, crepiänm unbeachtet gelassen hat. Wo es sich ein Sein zugeschrieben, so ist dies Nichts weiter als eine Selbstbezeichnung, also eine Tautologie, d. h. sein Sein ist *) Es ist wohl kaum nöthig, darauf aufmerksam zu machen, daji hier im^ ,mer nur das, abstracte sogenannte reine Denken gemeint wird.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_180558/44>, abgerufen am 28.05.2024.