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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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nicht aus Jesuiten besteht -- sonst wäre er schlauer -- eher, daß er
selber schon den Verdummungsproceß durchgemacht hat, den er mit
den Luzerncrn vornehmen lassen will.

^- Der heilige Rock in Trier war beinahe schon vergessen, als
die Ultramontanen so ungeschickt waren, die Sache wieder aufzurühren.
So hat denn sogar die Polizei als "radicale Kritik" auftreten müs¬
sen und mit sehr unsanfter Hand einige grobe Wunder, die der hei¬
lige Rock begangen, aufgedeckt. Auch das bekannte Schreiben Ronge's
hat eine erhöhte Wirkung bekommen durch den wunderlichen Brief
des Breslauer Domcapitels an den Bischof von Trier, worin es in
allem Ernste unter Anderm heißt, "der Lästerer und Frevler" (Ronge)
habe das heilige Kleid "mit allem Schmutz der Zeit beworfen", er
habe dieses Heiligthum in Stücke gerissen, "welches sogar die Henker
unter dem Kreuze aus frommer Ehrfurcht ungetheilt ließen." Diese
apodiktische Sprache ist den deutschen Katholiken doch zu stark; und
man hört von vielen Seiten, daß Ronge's Schreiben in katholischen
Gemeinden mit der größten Begeisterung gelesen werde. Wenn man
fast eine große Sonnenfinsterniß und einen neuen Religionskrieg fürch¬
ten möchte, weil die Deutschen bei aller Philosophie und Gelehrsam¬
keit noch so wenig aus den theologischen Windeln heraus sind, so
kann man sich mit der Bemerkung trösten, daß zwar der Protestan¬
tismus immer katholischer, aber der Katholicismus immer protestanti¬
scher wird. Die Jesuiten und ihre Propaganda werden dieser Zeit
noch einen schweren Stand bereiten, aber siegen gewiß nicht. Wenn
sie nur ordentlich zur Macht kommen, dann darf man einer gewalti¬
gen Reaction, die vom deutschen Katholicismus selbst ausgehen wird,
entgegensehen. Vielleicht braucht Deutschland eine solche Pferdekur,
und die schlecht verharrschte Narbe muß noch einmal aufgeschnit¬
ten werden, damit sie gründlich heilen kann. Aber wehe den Chi¬
rurgen!

-- Man liest in den Zeitungen, daß Sylvester Jordan's Sohn
auf dem Todtenbette lag, daß der gefangene Vater ihn noch einmal
zu sehen verlangte und daher, von Gensdarmen mit geladenen Geweh¬
ren bewacht, an das Sterbelager des Sohnes geführt ward. Schade,
daß dies nicht vor einigen Monaten vorfiel! vielleicht hätte irgend ein
deutscher Künstler die ergreifende Scene gemalt, und wir würden auf
der Berliner Ausstellung ein großes Kunstwerk mehr, ein Zeugniß mehr
von der weltbezwingenden Kraft des deutschen Genius bewundern kön¬
nen. Indeß würde der Gegenstand vielleicht noch mehr gewinnen, wenn
er, dramatisch behandelt, als Scene in einem modernen Lust-, Schau¬
oder Trauerspiel vorkäme. Das Stück würde freilich, aus Zartgefühl,


nicht aus Jesuiten besteht — sonst wäre er schlauer — eher, daß er
selber schon den Verdummungsproceß durchgemacht hat, den er mit
den Luzerncrn vornehmen lassen will.

^- Der heilige Rock in Trier war beinahe schon vergessen, als
die Ultramontanen so ungeschickt waren, die Sache wieder aufzurühren.
So hat denn sogar die Polizei als „radicale Kritik" auftreten müs¬
sen und mit sehr unsanfter Hand einige grobe Wunder, die der hei¬
lige Rock begangen, aufgedeckt. Auch das bekannte Schreiben Ronge's
hat eine erhöhte Wirkung bekommen durch den wunderlichen Brief
des Breslauer Domcapitels an den Bischof von Trier, worin es in
allem Ernste unter Anderm heißt, „der Lästerer und Frevler" (Ronge)
habe das heilige Kleid „mit allem Schmutz der Zeit beworfen", er
habe dieses Heiligthum in Stücke gerissen, "welches sogar die Henker
unter dem Kreuze aus frommer Ehrfurcht ungetheilt ließen." Diese
apodiktische Sprache ist den deutschen Katholiken doch zu stark; und
man hört von vielen Seiten, daß Ronge's Schreiben in katholischen
Gemeinden mit der größten Begeisterung gelesen werde. Wenn man
fast eine große Sonnenfinsterniß und einen neuen Religionskrieg fürch¬
ten möchte, weil die Deutschen bei aller Philosophie und Gelehrsam¬
keit noch so wenig aus den theologischen Windeln heraus sind, so
kann man sich mit der Bemerkung trösten, daß zwar der Protestan¬
tismus immer katholischer, aber der Katholicismus immer protestanti¬
scher wird. Die Jesuiten und ihre Propaganda werden dieser Zeit
noch einen schweren Stand bereiten, aber siegen gewiß nicht. Wenn
sie nur ordentlich zur Macht kommen, dann darf man einer gewalti¬
gen Reaction, die vom deutschen Katholicismus selbst ausgehen wird,
entgegensehen. Vielleicht braucht Deutschland eine solche Pferdekur,
und die schlecht verharrschte Narbe muß noch einmal aufgeschnit¬
ten werden, damit sie gründlich heilen kann. Aber wehe den Chi¬
rurgen!

— Man liest in den Zeitungen, daß Sylvester Jordan's Sohn
auf dem Todtenbette lag, daß der gefangene Vater ihn noch einmal
zu sehen verlangte und daher, von Gensdarmen mit geladenen Geweh¬
ren bewacht, an das Sterbelager des Sohnes geführt ward. Schade,
daß dies nicht vor einigen Monaten vorfiel! vielleicht hätte irgend ein
deutscher Künstler die ergreifende Scene gemalt, und wir würden auf
der Berliner Ausstellung ein großes Kunstwerk mehr, ein Zeugniß mehr
von der weltbezwingenden Kraft des deutschen Genius bewundern kön¬
nen. Indeß würde der Gegenstand vielleicht noch mehr gewinnen, wenn
er, dramatisch behandelt, als Scene in einem modernen Lust-, Schau¬
oder Trauerspiel vorkäme. Das Stück würde freilich, aus Zartgefühl,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/435>, abgerufen am 04.06.2024.