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Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band.

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proclamirt wurden. Dagegen hat allerdings ein anderer Geldbaron,
dessen Vorfahren vielleicht am Berge Sinai ihre Zelte aufschlugen,
der Baron v. Rothschild, Güter in Mähren erworben. Hoffentlich
wird die orientalische Frage in ihrem besonnenen Fortschritt dadurch
eben so wenig gestört werden, wie durch ein anderes tragikomisches
Ereigniß, welches die ungeheure Kluft zeigt zwischen den Kindern Israels
im Orient und den emancipationslustigen oder gar güterraufenden Juden
in Europa. Zwei jüdische Gelehrte haben große Geldsammlungen unter
ihren Glaubensgenossen in Europa veranstaltet, um den Juden in
Jerusalem spiraler und Schulen zu bauen. Die Kinder des gelobten
Landes aber, in ihrer Einfalt, fürchten diese europäischen Wohlthaten
und der Rabbi von Jerusalem hat, in der Angst seiner Seele, einen
BannstrM erlassen gegen die zwei gelehrten Geldsammler. Ist das
nicht wie eine Parodie auf die gewaltsamen theologischen Kämpfe in
unserer civilisirten Welt? Dieser Bannstrahl, von dem Niemand spricht,
an den Niemand denkt, der so spurlos verweht und verschalte, zwischen
den Donnerkeilen, die aus und nach Rom geschleudert werden! Man¬
cher lacht wohl über den armen einfältigen Rabbi von Jerusalem und
seinen ohnmächtigen Bannstrahl. Und doch, hat nicht Rom oft wegen
kleinerer Dinge seine prahlenden Donner losgelassen? Rom sehe nur
nicht zu stolz herab auf die Ruinen Jerusalems, auf die Stadt des
Erlösers, die dem verblaßten weltlichen Purpur der ewigen Stadt einst
neuen Glanz geben mußte. Es kann die Zeit kommen, wo Rom und
Jerusalem gleich ohnmächtige Schwestern sind.

-- Rußlands Regierung beginnt jetzt nicht blos an Polen, sondern
an seinen leiblichen Kindern politisch freisinnige Feinde zu finden. So
leben in Paris zwei junge russische Flüchtlinge, Golowin und Ba¬
turin, die, aller Aufforderungen von Se. Petersburg aus ungeachtet,
nicht mehr in die Heimath zurückkehren wollen und sich ganz der
Literatur gewidmet haben.

-- Die Wagen des Königs von Hannover, melden die Zeitungen,
wurden auf einer Fahrt nach Rothcnkirchen, "wo bei Ammensen der
bekannte schmale Strich braunschweigischen Gebiets passire werden muß,"
von braunschweigischen Zollbeamten streng untersucht. Seine Majestät
soll auch etwas von deutscher Einheit gemurmelt haben. -- Wir
wünschten, unsere Könige, Großherzoge in. reisten einmal alle unter
wirklichem Jncognito, mit Pässen als unbedeutende Privatmän¬
ner, durch das liebe einige Deutschland!




Bcrlag von Fr. Ludw. Herbig. -- Redacteur I. Kuranda
Druck von Friedrich Andrä.

proclamirt wurden. Dagegen hat allerdings ein anderer Geldbaron,
dessen Vorfahren vielleicht am Berge Sinai ihre Zelte aufschlugen,
der Baron v. Rothschild, Güter in Mähren erworben. Hoffentlich
wird die orientalische Frage in ihrem besonnenen Fortschritt dadurch
eben so wenig gestört werden, wie durch ein anderes tragikomisches
Ereigniß, welches die ungeheure Kluft zeigt zwischen den Kindern Israels
im Orient und den emancipationslustigen oder gar güterraufenden Juden
in Europa. Zwei jüdische Gelehrte haben große Geldsammlungen unter
ihren Glaubensgenossen in Europa veranstaltet, um den Juden in
Jerusalem spiraler und Schulen zu bauen. Die Kinder des gelobten
Landes aber, in ihrer Einfalt, fürchten diese europäischen Wohlthaten
und der Rabbi von Jerusalem hat, in der Angst seiner Seele, einen
BannstrM erlassen gegen die zwei gelehrten Geldsammler. Ist das
nicht wie eine Parodie auf die gewaltsamen theologischen Kämpfe in
unserer civilisirten Welt? Dieser Bannstrahl, von dem Niemand spricht,
an den Niemand denkt, der so spurlos verweht und verschalte, zwischen
den Donnerkeilen, die aus und nach Rom geschleudert werden! Man¬
cher lacht wohl über den armen einfältigen Rabbi von Jerusalem und
seinen ohnmächtigen Bannstrahl. Und doch, hat nicht Rom oft wegen
kleinerer Dinge seine prahlenden Donner losgelassen? Rom sehe nur
nicht zu stolz herab auf die Ruinen Jerusalems, auf die Stadt des
Erlösers, die dem verblaßten weltlichen Purpur der ewigen Stadt einst
neuen Glanz geben mußte. Es kann die Zeit kommen, wo Rom und
Jerusalem gleich ohnmächtige Schwestern sind.

— Rußlands Regierung beginnt jetzt nicht blos an Polen, sondern
an seinen leiblichen Kindern politisch freisinnige Feinde zu finden. So
leben in Paris zwei junge russische Flüchtlinge, Golowin und Ba¬
turin, die, aller Aufforderungen von Se. Petersburg aus ungeachtet,
nicht mehr in die Heimath zurückkehren wollen und sich ganz der
Literatur gewidmet haben.

— Die Wagen des Königs von Hannover, melden die Zeitungen,
wurden auf einer Fahrt nach Rothcnkirchen, „wo bei Ammensen der
bekannte schmale Strich braunschweigischen Gebiets passire werden muß,"
von braunschweigischen Zollbeamten streng untersucht. Seine Majestät
soll auch etwas von deutscher Einheit gemurmelt haben. — Wir
wünschten, unsere Könige, Großherzoge in. reisten einmal alle unter
wirklichem Jncognito, mit Pässen als unbedeutende Privatmän¬
ner, durch das liebe einige Deutschland!




Bcrlag von Fr. Ludw. Herbig. — Redacteur I. Kuranda
Druck von Friedrich Andrä.
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[0572] proclamirt wurden. Dagegen hat allerdings ein anderer Geldbaron, dessen Vorfahren vielleicht am Berge Sinai ihre Zelte aufschlugen, der Baron v. Rothschild, Güter in Mähren erworben. Hoffentlich wird die orientalische Frage in ihrem besonnenen Fortschritt dadurch eben so wenig gestört werden, wie durch ein anderes tragikomisches Ereigniß, welches die ungeheure Kluft zeigt zwischen den Kindern Israels im Orient und den emancipationslustigen oder gar güterraufenden Juden in Europa. Zwei jüdische Gelehrte haben große Geldsammlungen unter ihren Glaubensgenossen in Europa veranstaltet, um den Juden in Jerusalem spiraler und Schulen zu bauen. Die Kinder des gelobten Landes aber, in ihrer Einfalt, fürchten diese europäischen Wohlthaten und der Rabbi von Jerusalem hat, in der Angst seiner Seele, einen BannstrM erlassen gegen die zwei gelehrten Geldsammler. Ist das nicht wie eine Parodie auf die gewaltsamen theologischen Kämpfe in unserer civilisirten Welt? Dieser Bannstrahl, von dem Niemand spricht, an den Niemand denkt, der so spurlos verweht und verschalte, zwischen den Donnerkeilen, die aus und nach Rom geschleudert werden! Man¬ cher lacht wohl über den armen einfältigen Rabbi von Jerusalem und seinen ohnmächtigen Bannstrahl. Und doch, hat nicht Rom oft wegen kleinerer Dinge seine prahlenden Donner losgelassen? Rom sehe nur nicht zu stolz herab auf die Ruinen Jerusalems, auf die Stadt des Erlösers, die dem verblaßten weltlichen Purpur der ewigen Stadt einst neuen Glanz geben mußte. Es kann die Zeit kommen, wo Rom und Jerusalem gleich ohnmächtige Schwestern sind. — Rußlands Regierung beginnt jetzt nicht blos an Polen, sondern an seinen leiblichen Kindern politisch freisinnige Feinde zu finden. So leben in Paris zwei junge russische Flüchtlinge, Golowin und Ba¬ turin, die, aller Aufforderungen von Se. Petersburg aus ungeachtet, nicht mehr in die Heimath zurückkehren wollen und sich ganz der Literatur gewidmet haben. — Die Wagen des Königs von Hannover, melden die Zeitungen, wurden auf einer Fahrt nach Rothcnkirchen, „wo bei Ammensen der bekannte schmale Strich braunschweigischen Gebiets passire werden muß," von braunschweigischen Zollbeamten streng untersucht. Seine Majestät soll auch etwas von deutscher Einheit gemurmelt haben. — Wir wünschten, unsere Könige, Großherzoge in. reisten einmal alle unter wirklichem Jncognito, mit Pässen als unbedeutende Privatmän¬ ner, durch das liebe einige Deutschland! Bcrlag von Fr. Ludw. Herbig. — Redacteur I. Kuranda Druck von Friedrich Andrä.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 3, 1844, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341546_341790/572>, abgerufen am 16.05.2024.