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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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schraubte und Gespreizte darin nicht lange verbergen können. Wir
sind Zeugen der Eitelkeit gewesen, mit welcher dieses neue Reich des
Verstandes sich ausposaunen ließ; wir haben seine Märtyrer großen-
theils persönlich kennen gelernt und deren reflectirten Enthusiasmus
für eine "Umbildung deS Studentenlebens im Wege der Wissenschaft"
oft genug zu beobachten Gelegenheit gehabt; wir haben dieses rheto¬
rische Pathos, das sich gewissen vulgären Stichwörtern der Zeit mit
einer bis zum Konuschen gehenden Aengstlichkeit anschloß, von seinem
Entstehen bis zu seinem Ende vor Augen gehabt, und wenn wir
anfangs, wie wir gern bekennen, selber davon bestochen waren, so
sind wir nunmehr seit geraumer Zeit davon geheilt.

Die ungeheuren Abstraktionen der neusten Theorien hatten einen
ziemlich erklärlichen Einfluß auf die Geister der Jugend erlangt.
Was reine Leere war, erhielt den Schein der Erhabenheit, und man
fand in dem Aufgeben aller Besonderheit, in dem allgemeinen Ni-
vellirer, das unternommen ward, ein ganz eigenthümliches Gefallen.
Dabei spielte auch dem Ehrlichsten die Eitelkeit einen Streich. Man
sah sich plötzlich auf gleiche Höhe mit den älteren und erfahrungs¬
reicheren Männern versetzt, man hörte immer nur Appellationen an
den vernünftigen -- "begriffsgemäßen Menschen" und man konnte
solches Prädicat durch ein Opfer erlangen, über dessen ganze Größe
man sich noch gar nicht einmal zum Bewußtsein gekommen war.
Recht bezeichnend ist es für die ganze Sache, daß diese Bestrebungen
in Berlin zuerst auftauchten. Von je ist dieses der Sitz eines Ver¬
standesdogmatismus gewesen, der mit seinen von der Oberfläche der
Dinge geschöpften Sätzen Alles und Jedes zu regeln unternimmt,
einer Geistesrichtung, welche die Welt und den Menschen zum Spiel¬
ball einer herz- und gemüthlosen Phrase herabsetzt. Das seiner Zeit
viel berufene Nikolaisehe Treiben herrscht noch heut zu Tage in Ber¬
lin, wenn eS auch in neuen Formen dem Zeitgeiste huldigt: es ist so we¬
nig ausgestorben, als die Witzhascherei seiner Bewohner bis in die höch¬
sten Regionen hinauf. Und diese neuen studentischen Bewegungen ent¬
sprechen dem Allen so genau, sind so echte Berliner Geburten, daß sie auch
nur an Ort und Stelle ihren Sinn hatten, aber in andere Kreise über¬
tragen, gar bald ihre Nichtigkeit blosgaben. Nichts desto we¬
niger vereinigte sich Alles, die andern Universitäten nach den Errungen¬
schaften der Berliner begierig zu machen Die politischen Zeitungen


schraubte und Gespreizte darin nicht lange verbergen können. Wir
sind Zeugen der Eitelkeit gewesen, mit welcher dieses neue Reich des
Verstandes sich ausposaunen ließ; wir haben seine Märtyrer großen-
theils persönlich kennen gelernt und deren reflectirten Enthusiasmus
für eine „Umbildung deS Studentenlebens im Wege der Wissenschaft"
oft genug zu beobachten Gelegenheit gehabt; wir haben dieses rheto¬
rische Pathos, das sich gewissen vulgären Stichwörtern der Zeit mit
einer bis zum Konuschen gehenden Aengstlichkeit anschloß, von seinem
Entstehen bis zu seinem Ende vor Augen gehabt, und wenn wir
anfangs, wie wir gern bekennen, selber davon bestochen waren, so
sind wir nunmehr seit geraumer Zeit davon geheilt.

Die ungeheuren Abstraktionen der neusten Theorien hatten einen
ziemlich erklärlichen Einfluß auf die Geister der Jugend erlangt.
Was reine Leere war, erhielt den Schein der Erhabenheit, und man
fand in dem Aufgeben aller Besonderheit, in dem allgemeinen Ni-
vellirer, das unternommen ward, ein ganz eigenthümliches Gefallen.
Dabei spielte auch dem Ehrlichsten die Eitelkeit einen Streich. Man
sah sich plötzlich auf gleiche Höhe mit den älteren und erfahrungs¬
reicheren Männern versetzt, man hörte immer nur Appellationen an
den vernünftigen — „begriffsgemäßen Menschen" und man konnte
solches Prädicat durch ein Opfer erlangen, über dessen ganze Größe
man sich noch gar nicht einmal zum Bewußtsein gekommen war.
Recht bezeichnend ist es für die ganze Sache, daß diese Bestrebungen
in Berlin zuerst auftauchten. Von je ist dieses der Sitz eines Ver¬
standesdogmatismus gewesen, der mit seinen von der Oberfläche der
Dinge geschöpften Sätzen Alles und Jedes zu regeln unternimmt,
einer Geistesrichtung, welche die Welt und den Menschen zum Spiel¬
ball einer herz- und gemüthlosen Phrase herabsetzt. Das seiner Zeit
viel berufene Nikolaisehe Treiben herrscht noch heut zu Tage in Ber¬
lin, wenn eS auch in neuen Formen dem Zeitgeiste huldigt: es ist so we¬
nig ausgestorben, als die Witzhascherei seiner Bewohner bis in die höch¬
sten Regionen hinauf. Und diese neuen studentischen Bewegungen ent¬
sprechen dem Allen so genau, sind so echte Berliner Geburten, daß sie auch
nur an Ort und Stelle ihren Sinn hatten, aber in andere Kreise über¬
tragen, gar bald ihre Nichtigkeit blosgaben. Nichts desto we¬
niger vereinigte sich Alles, die andern Universitäten nach den Errungen¬
schaften der Berliner begierig zu machen Die politischen Zeitungen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/121>, abgerufen am 27.05.2024.