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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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ser für Vernunft begeisterten und von Freiheitssinn durchdrungenen
Jugend; es schien, als habe sich das ganze politische Leben Deutsch¬
lands in der Studcntemvelt concentrirt, mit solcher Wichtigkeit wurde
diese behandelt. Jedes Relegat. jedes Cvnsil wurde weitläufig und
mit genauester Angabe aller Vor- und Nachgänge erörtert, und das
hätte nicht reizen, nicht anregen sollen? Dazu von vomehcrein einige
unklare Ideen von Privilegienwesen, eine gewisse natürliche Groß-
muth und, wie gesagt, viel Eitelkeit, siehe da die Faktoren einer leich¬
ten Entzündung der Geister. Wir sagen einer leichten, und in der
That war sie oberflächlich genug, um nie zur Wahrheit zu werde".
Das Gemüth war unberücksichtigt geblieben und verfehlte nicht, jeden
Augenblick die verständigen Auseinandersetzungen des Kopfes zu inter-
pelliren. Wer in jenen Tagen in Kreisen von Studirenden unbe¬
fangener Beobachter gewesen, der hat einer ziemlich spaßhaften Ko¬
mödie zuschauen können, dem gar ergötzlichen Widerspiele von Rai-
sonnement und Gemüth. Während mit altkluger Weisheit und glei¬
ßender Schönrednerei Versicherungen über die Unvernunft des Duells
und der damit zusammenhängenden ganzen alten Studentenweihe aus¬
getauscht wurden, hatte man sein inniges Ergötzen an den Erzäh-
lungen von Duellen und dem Benehmen der Einzelnen dabei, man
empfand eine gewisse Genugthuung darin, mit solchen noch umzu¬
gehen, die auf der Mensur ihre Bravour bewiesen; man war gradezu
schwach genug, der verschrienen Unvernunft selber zu huldigen, na¬
türlich, wie man protestirend sagte, nur um von dem eigne" Princip
den Vorwurf der Feigheit abzuwehren, ja man war noch schwächer
und verhehlte gar nicht sein großes Behagen, auch einmal "gepaukt'
zu haben. Mit einem Worte, während der Kopf längst bekehrt war^
opferte das Herz noch den alten verschenken Göttern. Und das sind
Thatsachen, Thatsachen, deren Kenntniß wir keiner einmaligen Wahr¬
nehmung, sondern einer andauernden Erfahrung verdanken. Mögen
es die Berliner hören! DaS Studentenleben ist ein so eigenthümli¬
ches Gewächs der deutschen Zone, daß es selbst von seiner Stam¬
mesgenossin, der deutschen Philosophie, nicht beurtheilt werden kann,
es ist etwas so Unverständiges, daß der Verstand dabei nicht aus¬
reicht, etwas so unmittelbar Gemüthliches, daß es eines jeden Sy¬
stems spottet -- und doch ist seine Narrheit nicht ohne Methode.


brachten fast Tag um Tag Artikel über den lobenswerthen Geist die¬
ser für Vernunft begeisterten und von Freiheitssinn durchdrungenen
Jugend; es schien, als habe sich das ganze politische Leben Deutsch¬
lands in der Studcntemvelt concentrirt, mit solcher Wichtigkeit wurde
diese behandelt. Jedes Relegat. jedes Cvnsil wurde weitläufig und
mit genauester Angabe aller Vor- und Nachgänge erörtert, und das
hätte nicht reizen, nicht anregen sollen? Dazu von vomehcrein einige
unklare Ideen von Privilegienwesen, eine gewisse natürliche Groß-
muth und, wie gesagt, viel Eitelkeit, siehe da die Faktoren einer leich¬
ten Entzündung der Geister. Wir sagen einer leichten, und in der
That war sie oberflächlich genug, um nie zur Wahrheit zu werde».
Das Gemüth war unberücksichtigt geblieben und verfehlte nicht, jeden
Augenblick die verständigen Auseinandersetzungen des Kopfes zu inter-
pelliren. Wer in jenen Tagen in Kreisen von Studirenden unbe¬
fangener Beobachter gewesen, der hat einer ziemlich spaßhaften Ko¬
mödie zuschauen können, dem gar ergötzlichen Widerspiele von Rai-
sonnement und Gemüth. Während mit altkluger Weisheit und glei¬
ßender Schönrednerei Versicherungen über die Unvernunft des Duells
und der damit zusammenhängenden ganzen alten Studentenweihe aus¬
getauscht wurden, hatte man sein inniges Ergötzen an den Erzäh-
lungen von Duellen und dem Benehmen der Einzelnen dabei, man
empfand eine gewisse Genugthuung darin, mit solchen noch umzu¬
gehen, die auf der Mensur ihre Bravour bewiesen; man war gradezu
schwach genug, der verschrienen Unvernunft selber zu huldigen, na¬
türlich, wie man protestirend sagte, nur um von dem eigne» Princip
den Vorwurf der Feigheit abzuwehren, ja man war noch schwächer
und verhehlte gar nicht sein großes Behagen, auch einmal „gepaukt'
zu haben. Mit einem Worte, während der Kopf längst bekehrt war^
opferte das Herz noch den alten verschenken Göttern. Und das sind
Thatsachen, Thatsachen, deren Kenntniß wir keiner einmaligen Wahr¬
nehmung, sondern einer andauernden Erfahrung verdanken. Mögen
es die Berliner hören! DaS Studentenleben ist ein so eigenthümli¬
ches Gewächs der deutschen Zone, daß es selbst von seiner Stam¬
mesgenossin, der deutschen Philosophie, nicht beurtheilt werden kann,
es ist etwas so Unverständiges, daß der Verstand dabei nicht aus¬
reicht, etwas so unmittelbar Gemüthliches, daß es eines jeden Sy¬
stems spottet — und doch ist seine Narrheit nicht ohne Methode.


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[0122] brachten fast Tag um Tag Artikel über den lobenswerthen Geist die¬ ser für Vernunft begeisterten und von Freiheitssinn durchdrungenen Jugend; es schien, als habe sich das ganze politische Leben Deutsch¬ lands in der Studcntemvelt concentrirt, mit solcher Wichtigkeit wurde diese behandelt. Jedes Relegat. jedes Cvnsil wurde weitläufig und mit genauester Angabe aller Vor- und Nachgänge erörtert, und das hätte nicht reizen, nicht anregen sollen? Dazu von vomehcrein einige unklare Ideen von Privilegienwesen, eine gewisse natürliche Groß- muth und, wie gesagt, viel Eitelkeit, siehe da die Faktoren einer leich¬ ten Entzündung der Geister. Wir sagen einer leichten, und in der That war sie oberflächlich genug, um nie zur Wahrheit zu werde». Das Gemüth war unberücksichtigt geblieben und verfehlte nicht, jeden Augenblick die verständigen Auseinandersetzungen des Kopfes zu inter- pelliren. Wer in jenen Tagen in Kreisen von Studirenden unbe¬ fangener Beobachter gewesen, der hat einer ziemlich spaßhaften Ko¬ mödie zuschauen können, dem gar ergötzlichen Widerspiele von Rai- sonnement und Gemüth. Während mit altkluger Weisheit und glei¬ ßender Schönrednerei Versicherungen über die Unvernunft des Duells und der damit zusammenhängenden ganzen alten Studentenweihe aus¬ getauscht wurden, hatte man sein inniges Ergötzen an den Erzäh- lungen von Duellen und dem Benehmen der Einzelnen dabei, man empfand eine gewisse Genugthuung darin, mit solchen noch umzu¬ gehen, die auf der Mensur ihre Bravour bewiesen; man war gradezu schwach genug, der verschrienen Unvernunft selber zu huldigen, na¬ türlich, wie man protestirend sagte, nur um von dem eigne» Princip den Vorwurf der Feigheit abzuwehren, ja man war noch schwächer und verhehlte gar nicht sein großes Behagen, auch einmal „gepaukt' zu haben. Mit einem Worte, während der Kopf längst bekehrt war^ opferte das Herz noch den alten verschenken Göttern. Und das sind Thatsachen, Thatsachen, deren Kenntniß wir keiner einmaligen Wahr¬ nehmung, sondern einer andauernden Erfahrung verdanken. Mögen es die Berliner hören! DaS Studentenleben ist ein so eigenthümli¬ ches Gewächs der deutschen Zone, daß es selbst von seiner Stam¬ mesgenossin, der deutschen Philosophie, nicht beurtheilt werden kann, es ist etwas so Unverständiges, daß der Verstand dabei nicht aus¬ reicht, etwas so unmittelbar Gemüthliches, daß es eines jeden Sy¬ stems spottet — und doch ist seine Narrheit nicht ohne Methode.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/122>, abgerufen am 17.06.2024.