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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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hat also auch seine Inquisition, nur handhabt sie Jeder, Lutheraner
wie Katholik und Calvinist, wie er mag und kann, auf eigne Faust.
Es kann hier also, wie der König der Borussen sagt, Jeder "nach
seiner Fa^on" selig, aber auch nach der Fa"?on dessen, der die Ober¬
hand hat, die Treppe hinunter und zum Hause hinausgeworfen wer¬
den. Bricht er dabei den Hals, so ist das nur dieselbe Fa?on, in
der er Andern ihr leibliches und ewiges Wohl streitig macht. Die
tiefsinnige deutsche Freiheit, beruht sie vielleicht auf dem alten berühm¬
ten deutschen Faustrecht? -- --

Von Bamberg bis Erlangen macht man nur einen Weg von
vier bis fünf Meilen, und doch fühlt man sich plötzlich auf diesem
kleinen Raum in eine ganz andere Welt versetzt. In Bamberg fette
Triften, volle, runde Gesichter; im Wirthshause schwere Schüsseln,
daß der Tisch kracht; unter'in Krummstabe, sagen die Leute, ist gut
wohnen! Im protestantischen Erlangen auf magerem Sandboden
lauter helle Gesichter, eilige Füße, nie ruhende Hände. Dort das
satte Behagen des reichen Ackerbauers, hier die flinke Rührigkeit der
Gewerbe. In Bamberg hohe Häuser mit einer Architektur voller
Pomp und Stolz, aber schmutzig und Nachts ohne Erleuchtung. In
Erlangen niedrige, profane Häuser, aber reinlich und Nachts mit
Laternen erhellt. -- Man spricht mir viel von einem Gegensatze
zwischen Ober- und Niederdeutschland. Mir däucht, man hat diesen
Unterschied sast überall gleich bei der Hand und wenige Meilen ge¬
nügen, ihn zur Erscheinung zu bringen. Die ganze Natur dieses
Volkes und Landes scheint diese Mannichfaltigkeit zu bedingen. Hielte
nur irgend ein mächtiger Gedanke diese auseinandergesallene Welt
der Deutschen zusammen! Aber in diesem Hange zu Gegensätzen ze"
arbeiten sich alle Kräfte, und mit seltener Hartnäckigkeit besteht Jeder
um so eifriger auf seiner Meinung, je dunkler der Gegenstand schim¬
mert, den er mit gläubigem Auge in Hellem Lichte zu erblicken meint.

Wir saßen hier in Erlangen ganz harmlos in einer jener rauch¬
geschwärzten bierklebrigen Tavernen, in denen deutsche Studenten zechen
und singen. Es sind dies wilde, wüste Gesellen, in zerlumpten Rö¬
cken und zerrissenen Schuhen, in langen Bärten und mit nackter be¬
haarter Brust, den Schläger an der Seite und schnell fertig mit der
Faust. Ich dachte beim ersten Anblick an die Lazzaroni Neapels.
Wie eine Horde Räuber, die sich um ihre Beute streiten, saßen sie


hat also auch seine Inquisition, nur handhabt sie Jeder, Lutheraner
wie Katholik und Calvinist, wie er mag und kann, auf eigne Faust.
Es kann hier also, wie der König der Borussen sagt, Jeder „nach
seiner Fa^on" selig, aber auch nach der Fa«?on dessen, der die Ober¬
hand hat, die Treppe hinunter und zum Hause hinausgeworfen wer¬
den. Bricht er dabei den Hals, so ist das nur dieselbe Fa?on, in
der er Andern ihr leibliches und ewiges Wohl streitig macht. Die
tiefsinnige deutsche Freiheit, beruht sie vielleicht auf dem alten berühm¬
ten deutschen Faustrecht? — —

Von Bamberg bis Erlangen macht man nur einen Weg von
vier bis fünf Meilen, und doch fühlt man sich plötzlich auf diesem
kleinen Raum in eine ganz andere Welt versetzt. In Bamberg fette
Triften, volle, runde Gesichter; im Wirthshause schwere Schüsseln,
daß der Tisch kracht; unter'in Krummstabe, sagen die Leute, ist gut
wohnen! Im protestantischen Erlangen auf magerem Sandboden
lauter helle Gesichter, eilige Füße, nie ruhende Hände. Dort das
satte Behagen des reichen Ackerbauers, hier die flinke Rührigkeit der
Gewerbe. In Bamberg hohe Häuser mit einer Architektur voller
Pomp und Stolz, aber schmutzig und Nachts ohne Erleuchtung. In
Erlangen niedrige, profane Häuser, aber reinlich und Nachts mit
Laternen erhellt. — Man spricht mir viel von einem Gegensatze
zwischen Ober- und Niederdeutschland. Mir däucht, man hat diesen
Unterschied sast überall gleich bei der Hand und wenige Meilen ge¬
nügen, ihn zur Erscheinung zu bringen. Die ganze Natur dieses
Volkes und Landes scheint diese Mannichfaltigkeit zu bedingen. Hielte
nur irgend ein mächtiger Gedanke diese auseinandergesallene Welt
der Deutschen zusammen! Aber in diesem Hange zu Gegensätzen ze»
arbeiten sich alle Kräfte, und mit seltener Hartnäckigkeit besteht Jeder
um so eifriger auf seiner Meinung, je dunkler der Gegenstand schim¬
mert, den er mit gläubigem Auge in Hellem Lichte zu erblicken meint.

Wir saßen hier in Erlangen ganz harmlos in einer jener rauch¬
geschwärzten bierklebrigen Tavernen, in denen deutsche Studenten zechen
und singen. Es sind dies wilde, wüste Gesellen, in zerlumpten Rö¬
cken und zerrissenen Schuhen, in langen Bärten und mit nackter be¬
haarter Brust, den Schläger an der Seite und schnell fertig mit der
Faust. Ich dachte beim ersten Anblick an die Lazzaroni Neapels.
Wie eine Horde Räuber, die sich um ihre Beute streiten, saßen sie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/258>, abgerufen am 17.06.2024.