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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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da. Aber sie debattirten über die allerheiligsten Dinge. Ein kecker
Bursch, ein reformirter Theolog, mit einer doppelten Schmarre im
Gesicht, stellte den Satz ans: Luther sei in vielen Dingen gar sehr
"auf dem Holzwege" gewesen, er habe noch an die wirkliche Ver¬
wandlung beim Abendmahle geglaubt. Alsbald brach eine heftige
Parteiung aus, ob Brod und Weil? nur bildlich als Leib und Blut
des Herrn zu nehmen seien. Die "lutherischen Dickköpfe" stritten
heftig dagegen und während sie so von ihren Gegnern gescholten
wurden, schlugen sie auf den Tisch, daß die Bierkruge zitterten und
schwuren den,,reformirten Spitzköpfen" den leibhaftigen Tod. "Euer
Luther," schrie ein Gegner, "hatte noch den Augustinermönch im Leibe!
Hat er nicht auch mit dem Tintenfaß nach dem Teufel geworfen?"
Dies gab das Signal, den Teufel wirklich loszulassen. Jeder sah
jetzt in seinem Gegner den bösen Dämon und statt des DintenfasseS
dienten die Bierkruge zu Wurfgeschossen. Die Schläger waren blank,
Tische und Stühle wurden in Batterien verwandelt und mit wildem
Geheul fielen die Kämpfer über einander her. Es floß Blut in die¬
sem AbendmahlSstreit und wir hatten ein wunderbar burleskes Schau,
spiel von dem praktischen Ernst dieses religiösen Deutschlands. Nur
Wenige saßen am Ende des Saales ganz unbetheiligt am Vorfall;
sie schlürften ruhig ihr perlendes Bier, während daS Blut der Brüder
floß und bliesen gemächlich weite Dampfwolken aus ihren Nüstern.
"Wir sind Philosophen," sagte Einer von ihnen, mit dem sich Pater
Burkhardt einließ. "Wir wissen, daß die Wahrheit weder auf dieser,
noch auf jener Seite liegt; sie steht gleich weit entfernt über beiden
Parteien." -- "Sehr wahr," sagte Burkhardt mit verstecktem Lächeln
und drückte einem fremden geistlichen Herrn die Hand, dessen Be¬
kanntschaft er schon früher gemacht zu haben schien. "Laßt sie nur
kämpfen, bis sie athemlos am Boden liegen, dann ist auf beiden
Seiten die Erndte für uns um so sicherer."

Pastor Dreykorn, so nannte sich der Fremde, schüttelte wehmüthig
den Kopf, als wir uns vor dem Tumult auf die Gasse flüchteten.
Er ist evangelischer Prediger in der freien Reichsstadt Nürnberg.
Er rief sein Wehe über diese Zerwürfnisse des Christenthums, er
pries die römisch Gläubigen glücklich, die mitten im Sturm des Le^
dens nie ohne Steuermann und Kompaß seien. Als er schied, nahm
er auch mir das Versprechen ab, ihn in seiner guten freien Stadt


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da. Aber sie debattirten über die allerheiligsten Dinge. Ein kecker
Bursch, ein reformirter Theolog, mit einer doppelten Schmarre im
Gesicht, stellte den Satz ans: Luther sei in vielen Dingen gar sehr
„auf dem Holzwege" gewesen, er habe noch an die wirkliche Ver¬
wandlung beim Abendmahle geglaubt. Alsbald brach eine heftige
Parteiung aus, ob Brod und Weil? nur bildlich als Leib und Blut
des Herrn zu nehmen seien. Die „lutherischen Dickköpfe" stritten
heftig dagegen und während sie so von ihren Gegnern gescholten
wurden, schlugen sie auf den Tisch, daß die Bierkruge zitterten und
schwuren den,,reformirten Spitzköpfen" den leibhaftigen Tod. „Euer
Luther," schrie ein Gegner, „hatte noch den Augustinermönch im Leibe!
Hat er nicht auch mit dem Tintenfaß nach dem Teufel geworfen?"
Dies gab das Signal, den Teufel wirklich loszulassen. Jeder sah
jetzt in seinem Gegner den bösen Dämon und statt des DintenfasseS
dienten die Bierkruge zu Wurfgeschossen. Die Schläger waren blank,
Tische und Stühle wurden in Batterien verwandelt und mit wildem
Geheul fielen die Kämpfer über einander her. Es floß Blut in die¬
sem AbendmahlSstreit und wir hatten ein wunderbar burleskes Schau,
spiel von dem praktischen Ernst dieses religiösen Deutschlands. Nur
Wenige saßen am Ende des Saales ganz unbetheiligt am Vorfall;
sie schlürften ruhig ihr perlendes Bier, während daS Blut der Brüder
floß und bliesen gemächlich weite Dampfwolken aus ihren Nüstern.
„Wir sind Philosophen," sagte Einer von ihnen, mit dem sich Pater
Burkhardt einließ. „Wir wissen, daß die Wahrheit weder auf dieser,
noch auf jener Seite liegt; sie steht gleich weit entfernt über beiden
Parteien." — „Sehr wahr," sagte Burkhardt mit verstecktem Lächeln
und drückte einem fremden geistlichen Herrn die Hand, dessen Be¬
kanntschaft er schon früher gemacht zu haben schien. „Laßt sie nur
kämpfen, bis sie athemlos am Boden liegen, dann ist auf beiden
Seiten die Erndte für uns um so sicherer."

Pastor Dreykorn, so nannte sich der Fremde, schüttelte wehmüthig
den Kopf, als wir uns vor dem Tumult auf die Gasse flüchteten.
Er ist evangelischer Prediger in der freien Reichsstadt Nürnberg.
Er rief sein Wehe über diese Zerwürfnisse des Christenthums, er
pries die römisch Gläubigen glücklich, die mitten im Sturm des Le^
dens nie ohne Steuermann und Kompaß seien. Als er schied, nahm
er auch mir das Versprechen ab, ihn in seiner guten freien Stadt


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/259>, abgerufen am 27.05.2024.