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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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zu verkennenden Einfluß gehabt. Eben so bezeichnend ist es, daß
man sich in Düsseldorf, der vorwaltenden Gefühlsrichtung gemäß,
mit einseitiger Vorliebe fast ganz auf die Malerei geworfen zu haben
scheint, während in München, außer der Architektur, auch die Bild-
Hauerei mit Inbegriff des Erzgusses, die Holzschnitzerei u. s. w. ihre
großen Repräsentanten aufzuweisen hat.

Diese neuere Münchner Kunstepoche ist jedoch an Schöpfungen,
Namen, ja Richtungen allzureich, als daß ich ein früher freiwillig
gegebenes Versprechen, mit dieser Skizze für jetzt zu schließen, halten
könnte, ohne in meinen Darstellungen aus München eine empfind¬
liche Lücke zu lassen ").

Ich weiß freilich, daß ich mich einer bedenklichen Aufgabe un¬
terziehe, da ich gar nicht gesonnen bin, der modernen Liebhaberei am
Kleinhacken und Metzeln Vorschub zu leisten. Allerdings mag es
unendlich leichter und bequemer sein, die Mängel und Gebrechen an
einer Person aufzudecken, als ihre Vorzüge in billiger und gerechter
Weise zu würdigen. Hierzu gehört, sich in die Seele eines Künstlers
hineinzuleben, in seine Eigenthümlichkeit hineinzudenken, seine Schöp¬
fungen gewissermaßen kritisch zu reproduciren und ihm die Stellung
anzuweisen, welche ihm innerhalb der geschichtlichen Entwickelung seiner
Kunst zukommt. Die entgegengesetzte Methode, nach kritischem Hand-
werksbrauch über Personen und Richtungen geringschätzig abzusprechen,
ist freilich viel leichter, aber auch bereits vergriffen und verbraucht
und in gewissem Sinne eine unehrliche Kunst, wie die des Hinrich-
tcrs, der eben nur das Beil zwischen Kopf und Rumpf fallen
läßt, um sein zur Vertheidigung unfähiges Opfer auf das geschwin¬
deste abzuthun. Man sollte endlich anfangen, sich einer solchen wohl¬
feilen Methode zu schämen. Hiermit ist nun freilich nicht der gerechte
und vernünftige Tadel gemeint - wozu hätte sonst wohl Gottsched
seine Zeitschrift "die vernünftigen Tadlerinnen" geschrieben? -- noch
der häufig so wohlthätige und heilsame Tadel, der aus moralischer
Entrüstung stammt und als bittre, stärkende Tropfen namentlich gegen
die verderbten Magensafte der Zeit anzuwenden ist) vielmehr erscheint
der herbste Tadel oft minder gefährlich, als das süßliche Lob, wel¬
ches von den Lippen eines höfischen Schmeichlers träufelt, wie der



Man sehe jedoch das Nachwort.

zu verkennenden Einfluß gehabt. Eben so bezeichnend ist es, daß
man sich in Düsseldorf, der vorwaltenden Gefühlsrichtung gemäß,
mit einseitiger Vorliebe fast ganz auf die Malerei geworfen zu haben
scheint, während in München, außer der Architektur, auch die Bild-
Hauerei mit Inbegriff des Erzgusses, die Holzschnitzerei u. s. w. ihre
großen Repräsentanten aufzuweisen hat.

Diese neuere Münchner Kunstepoche ist jedoch an Schöpfungen,
Namen, ja Richtungen allzureich, als daß ich ein früher freiwillig
gegebenes Versprechen, mit dieser Skizze für jetzt zu schließen, halten
könnte, ohne in meinen Darstellungen aus München eine empfind¬
liche Lücke zu lassen »).

Ich weiß freilich, daß ich mich einer bedenklichen Aufgabe un¬
terziehe, da ich gar nicht gesonnen bin, der modernen Liebhaberei am
Kleinhacken und Metzeln Vorschub zu leisten. Allerdings mag es
unendlich leichter und bequemer sein, die Mängel und Gebrechen an
einer Person aufzudecken, als ihre Vorzüge in billiger und gerechter
Weise zu würdigen. Hierzu gehört, sich in die Seele eines Künstlers
hineinzuleben, in seine Eigenthümlichkeit hineinzudenken, seine Schöp¬
fungen gewissermaßen kritisch zu reproduciren und ihm die Stellung
anzuweisen, welche ihm innerhalb der geschichtlichen Entwickelung seiner
Kunst zukommt. Die entgegengesetzte Methode, nach kritischem Hand-
werksbrauch über Personen und Richtungen geringschätzig abzusprechen,
ist freilich viel leichter, aber auch bereits vergriffen und verbraucht
und in gewissem Sinne eine unehrliche Kunst, wie die des Hinrich-
tcrs, der eben nur das Beil zwischen Kopf und Rumpf fallen
läßt, um sein zur Vertheidigung unfähiges Opfer auf das geschwin¬
deste abzuthun. Man sollte endlich anfangen, sich einer solchen wohl¬
feilen Methode zu schämen. Hiermit ist nun freilich nicht der gerechte
und vernünftige Tadel gemeint - wozu hätte sonst wohl Gottsched
seine Zeitschrift „die vernünftigen Tadlerinnen" geschrieben? — noch
der häufig so wohlthätige und heilsame Tadel, der aus moralischer
Entrüstung stammt und als bittre, stärkende Tropfen namentlich gegen
die verderbten Magensafte der Zeit anzuwenden ist) vielmehr erscheint
der herbste Tadel oft minder gefährlich, als das süßliche Lob, wel¬
ches von den Lippen eines höfischen Schmeichlers träufelt, wie der



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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/268>, abgerufen am 17.06.2024.