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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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Aristophanes in"d ein Wiener Localdichter. *)
Von
Lud. Aug. Fränkl und Ad. Schmidt.
V.
Notizen.

Fichte über die französische Revolution. -- Hartmann und die Czechen. --
Prutz, ein Hochverräther. -- Ein Wort von David Strauß. -- Gegen das
Tschechenthum. -- Wie man eine Konstitution macht? -- Herr Negrclli. --
Narrhaila.

-- Fichte schrieb im Jahre 1794 "Beiträge zur Berichtigung
der Urtheile des Publicums über die französische Revolution" ein
Werkchen, das im Strome der Zeiten vergessen, nur von Wenigen
noch gekannt, von den Wenigsten gelesen wurde, indem es ganz ver¬
griffen und aus dem Buchhandel verschwunden war. Ein neuer Ab¬
druck dieses Buchs, der vor uns liegt, war um so mehr ein Bedürf¬
niß, da es -- wenn wir einzelne Andeutungen Hegel's ausnehmen --
bis aus den heutigen Tag das Bedeutendste, das Gründlichste ist, was
je ein Deutscher über die französische Revolution geschrieben hat. Die
Kühnheit und Energie des Gedankens und der Gesinnung dieses charak¬
tervollsten deutschen Philosophen ziehen den Leser mit unwiderstehlicher
Kraft an. Ein heiliger Eifer für Wahrheit glüht in Fichte, ein ge¬
waltiger Grimm gegen die entsetzlichen Mißbräuche der guten alten
Zeit, gegen schnöde Willkür und Unterdrückung, gegen die Feigheit
und Halbheit eines in Selbstsucht untergegangenen Geschlechts. Der
neue Abdruck dieser Schrift ist um so zeitgemäßer, da der durch die
französische Revolution angeregte Prinzipienkampf noch nicht beendigt,
da eben jetzt mehr als früher ein Streben nach seiner politischen Ent¬
wicklung in Deutschland ist. Was Fichte vor mehr als fünfzig Jah¬
ren geschrieben, es ist auch heute noch lesenswerth. "Gewaltsame Re¬
volutionen zu verhindern," sagt er, "gibt es ein sehr sicheres Mittel,
aber es ist das einzige: das Volk gründlich über seine Pflichten und
Rechte zu unterrichten." An einer andern Stelle sagt er: "Es gibt
kein Drittes; man muß sich entweder in den Schooß der allein selig-
machenden römischen Kirche werfen, oder man muß entschlossen ein
L. Freigeist werden."

-- Der Deutschen Allgemeinen wird aus Prag geschrieben, daß
"die unter dem hussttischen Titel Kelch und Schwert erschienenen Ge¬
dichte Moritz Hartmann's dort außerordentliche Sensation machen."
Besondere Begeisterung riefen die "böhmischen Elegien" hervor. Eine
Schaar von Studenten feierte den Dichter kurz nach Ankunft seines
Buches in Prag bei einem rasch improvisieren Festmahl mit Gläser¬
klang, Toasten und Hussitenliedern. "Daß die Czechen," fügt der
Corresp. hinzu, "nicht so fanatische Germanophagen sind, als die man
sie aufschreit, beweist (der Umstand), daß auch viel Czechen mit beim


Aristophanes in»d ein Wiener Localdichter. *)
Von
Lud. Aug. Fränkl und Ad. Schmidt.
V.
Notizen.

Fichte über die französische Revolution. — Hartmann und die Czechen. —
Prutz, ein Hochverräther. — Ein Wort von David Strauß. — Gegen das
Tschechenthum. — Wie man eine Konstitution macht? — Herr Negrclli. —
Narrhaila.

— Fichte schrieb im Jahre 1794 „Beiträge zur Berichtigung
der Urtheile des Publicums über die französische Revolution" ein
Werkchen, das im Strome der Zeiten vergessen, nur von Wenigen
noch gekannt, von den Wenigsten gelesen wurde, indem es ganz ver¬
griffen und aus dem Buchhandel verschwunden war. Ein neuer Ab¬
druck dieses Buchs, der vor uns liegt, war um so mehr ein Bedürf¬
niß, da es — wenn wir einzelne Andeutungen Hegel's ausnehmen —
bis aus den heutigen Tag das Bedeutendste, das Gründlichste ist, was
je ein Deutscher über die französische Revolution geschrieben hat. Die
Kühnheit und Energie des Gedankens und der Gesinnung dieses charak¬
tervollsten deutschen Philosophen ziehen den Leser mit unwiderstehlicher
Kraft an. Ein heiliger Eifer für Wahrheit glüht in Fichte, ein ge¬
waltiger Grimm gegen die entsetzlichen Mißbräuche der guten alten
Zeit, gegen schnöde Willkür und Unterdrückung, gegen die Feigheit
und Halbheit eines in Selbstsucht untergegangenen Geschlechts. Der
neue Abdruck dieser Schrift ist um so zeitgemäßer, da der durch die
französische Revolution angeregte Prinzipienkampf noch nicht beendigt,
da eben jetzt mehr als früher ein Streben nach seiner politischen Ent¬
wicklung in Deutschland ist. Was Fichte vor mehr als fünfzig Jah¬
ren geschrieben, es ist auch heute noch lesenswerth. „Gewaltsame Re¬
volutionen zu verhindern," sagt er, „gibt es ein sehr sicheres Mittel,
aber es ist das einzige: das Volk gründlich über seine Pflichten und
Rechte zu unterrichten." An einer andern Stelle sagt er: „Es gibt
kein Drittes; man muß sich entweder in den Schooß der allein selig-
machenden römischen Kirche werfen, oder man muß entschlossen ein
L. Freigeist werden."

— Der Deutschen Allgemeinen wird aus Prag geschrieben, daß
„die unter dem hussttischen Titel Kelch und Schwert erschienenen Ge¬
dichte Moritz Hartmann's dort außerordentliche Sensation machen."
Besondere Begeisterung riefen die „böhmischen Elegien" hervor. Eine
Schaar von Studenten feierte den Dichter kurz nach Ankunft seines
Buches in Prag bei einem rasch improvisieren Festmahl mit Gläser¬
klang, Toasten und Hussitenliedern. „Daß die Czechen," fügt der
Corresp. hinzu, „nicht so fanatische Germanophagen sind, als die man
sie aufschreit, beweist (der Umstand), daß auch viel Czechen mit beim


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[0294] Aristophanes in»d ein Wiener Localdichter. *) Von Lud. Aug. Fränkl und Ad. Schmidt. V. Notizen. Fichte über die französische Revolution. — Hartmann und die Czechen. — Prutz, ein Hochverräther. — Ein Wort von David Strauß. — Gegen das Tschechenthum. — Wie man eine Konstitution macht? — Herr Negrclli. — Narrhaila. — Fichte schrieb im Jahre 1794 „Beiträge zur Berichtigung der Urtheile des Publicums über die französische Revolution" ein Werkchen, das im Strome der Zeiten vergessen, nur von Wenigen noch gekannt, von den Wenigsten gelesen wurde, indem es ganz ver¬ griffen und aus dem Buchhandel verschwunden war. Ein neuer Ab¬ druck dieses Buchs, der vor uns liegt, war um so mehr ein Bedürf¬ niß, da es — wenn wir einzelne Andeutungen Hegel's ausnehmen — bis aus den heutigen Tag das Bedeutendste, das Gründlichste ist, was je ein Deutscher über die französische Revolution geschrieben hat. Die Kühnheit und Energie des Gedankens und der Gesinnung dieses charak¬ tervollsten deutschen Philosophen ziehen den Leser mit unwiderstehlicher Kraft an. Ein heiliger Eifer für Wahrheit glüht in Fichte, ein ge¬ waltiger Grimm gegen die entsetzlichen Mißbräuche der guten alten Zeit, gegen schnöde Willkür und Unterdrückung, gegen die Feigheit und Halbheit eines in Selbstsucht untergegangenen Geschlechts. Der neue Abdruck dieser Schrift ist um so zeitgemäßer, da der durch die französische Revolution angeregte Prinzipienkampf noch nicht beendigt, da eben jetzt mehr als früher ein Streben nach seiner politischen Ent¬ wicklung in Deutschland ist. Was Fichte vor mehr als fünfzig Jah¬ ren geschrieben, es ist auch heute noch lesenswerth. „Gewaltsame Re¬ volutionen zu verhindern," sagt er, „gibt es ein sehr sicheres Mittel, aber es ist das einzige: das Volk gründlich über seine Pflichten und Rechte zu unterrichten." An einer andern Stelle sagt er: „Es gibt kein Drittes; man muß sich entweder in den Schooß der allein selig- machenden römischen Kirche werfen, oder man muß entschlossen ein L. Freigeist werden." — Der Deutschen Allgemeinen wird aus Prag geschrieben, daß „die unter dem hussttischen Titel Kelch und Schwert erschienenen Ge¬ dichte Moritz Hartmann's dort außerordentliche Sensation machen." Besondere Begeisterung riefen die „böhmischen Elegien" hervor. Eine Schaar von Studenten feierte den Dichter kurz nach Ankunft seines Buches in Prag bei einem rasch improvisieren Festmahl mit Gläser¬ klang, Toasten und Hussitenliedern. „Daß die Czechen," fügt der Corresp. hinzu, „nicht so fanatische Germanophagen sind, als die man sie aufschreit, beweist (der Umstand), daß auch viel Czechen mit beim

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/294>, abgerufen am 17.06.2024.