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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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reichs nur geringe Bestellungen in Ungarn machen können, weil die
Tuchfabriken Böhmens und Mährens in der sichern Erwartung, für
dieses Jahr nur wenig Tücher dahin ausführen zu können, sehr ge¬
ringen Bedarf haben und sich auf ihre Vorrathe stützen.

Inzwischen haben, wie die neuesten Privatbriefe melden, die auf¬
geregten Leidenschaften der brausenden Jugend in Pesth bereits zu sehr
ernsthaften Borfällen geführt, welche durch das Einschreiten der be¬
waffneten Macht geschlichtet werden mußten. Die Kaufleute befolgten
nämlich aus Klugheit die leicht vorauszusehende Taktik, den vom Aus¬
land bezogenen Waaren die Aufschrift "Nein vaterländisch" auszuhef¬
ten und machten anfangs mit Hilfe des patriotischen Fanatismus die
glänzendsten Geschäfte. Doch bald kamen die Consumenten auf den
Betrug und geriethen, von den Spottreden und höhnischen Glossen
der deutschen Presse, welche ihnen unaufhörlich zurief, man gönne
ihnen das unschuldige Vergnügen, sich für ein Fabrikvolk zu halten,
aufgestachelt, gegen die Söhne Merkurs in Harnisch. Die Folge
waren die Erstürmung und Plünderung mehrerer Kaufläden und die
Verwundung vieler Tumultuanten, als zuletzt das Militär gegen diese
merkantilische Emeutc aufgeboten ward.


Von der Frciung. --
A u s M u " es e n.

Karneval. -- Der Metzgersprung. -- Die historisch-politischen Blätter für
Preßfreiheit und gegen das preußische Obcrccnsurgericht. -- Mozart's Ido-
meneo. -- Antigone und Laube's Steuensee. --

Der Carneval ist in München angekommen, das heißt, die Lange¬
weile, die sich das ganze Jahr hindurch in unserer Stadt breit macht,
hat jetzt die Maske vorgenommen, wir Münchner aber, die sie
genau kennen, wir lassen uns durch diese Maske nicht täuschen, wir
wagen es, trotz dieser "juiu,! offiziellen Lustigkeit zu gähnen, so recht
aus vollem Herzen zu gähnen. Wir haben maskirte Akademien und
Redouten, abonniren Bälle und Künstlerbälle. Von einer Volksbelusti¬
gung aber, von einer Belustigung, wie sie die Städte am Rhein bie¬
ten, keine Spur. Für dergleichen Vergnügungen herrscht aber auch
hier kein Sinn; die Bockhalle, das ist des Münchners Narrhalle. Die
cwzige unserer Carnevalsbelustigungen, an der das eigentliche Volk
Antheil nimmt, ist der jeden Faschingsmontag wiederkehrende Metzger¬
sprung. An diesem Tage nämlich versammeln sich Nachmittags zwei
Uhr im hiesigen Rathhause alle Lehrlinge der ehrsamen Metzgerzunft
und begeben sich von da aus, in Bärenfelle gehüllt, auf den Schran-
nenplatz, woselbst sie von den Tausenden, die schon seit dem frühen
Morgen den Platz füllen, mit donnerndem Jubel begrüßt werden. Sie
springen hierauf in den sogenannten Fischbrunnen, der zur Hälfte mit
Wasser gefüllt ist. Von diesem ihrem wässerigen Standpunkte aus


reichs nur geringe Bestellungen in Ungarn machen können, weil die
Tuchfabriken Böhmens und Mährens in der sichern Erwartung, für
dieses Jahr nur wenig Tücher dahin ausführen zu können, sehr ge¬
ringen Bedarf haben und sich auf ihre Vorrathe stützen.

Inzwischen haben, wie die neuesten Privatbriefe melden, die auf¬
geregten Leidenschaften der brausenden Jugend in Pesth bereits zu sehr
ernsthaften Borfällen geführt, welche durch das Einschreiten der be¬
waffneten Macht geschlichtet werden mußten. Die Kaufleute befolgten
nämlich aus Klugheit die leicht vorauszusehende Taktik, den vom Aus¬
land bezogenen Waaren die Aufschrift „Nein vaterländisch" auszuhef¬
ten und machten anfangs mit Hilfe des patriotischen Fanatismus die
glänzendsten Geschäfte. Doch bald kamen die Consumenten auf den
Betrug und geriethen, von den Spottreden und höhnischen Glossen
der deutschen Presse, welche ihnen unaufhörlich zurief, man gönne
ihnen das unschuldige Vergnügen, sich für ein Fabrikvolk zu halten,
aufgestachelt, gegen die Söhne Merkurs in Harnisch. Die Folge
waren die Erstürmung und Plünderung mehrerer Kaufläden und die
Verwundung vieler Tumultuanten, als zuletzt das Militär gegen diese
merkantilische Emeutc aufgeboten ward.


Von der Frciung. —
A u s M u » es e n.

Karneval. — Der Metzgersprung. — Die historisch-politischen Blätter für
Preßfreiheit und gegen das preußische Obcrccnsurgericht. — Mozart's Ido-
meneo. — Antigone und Laube's Steuensee. —

Der Carneval ist in München angekommen, das heißt, die Lange¬
weile, die sich das ganze Jahr hindurch in unserer Stadt breit macht,
hat jetzt die Maske vorgenommen, wir Münchner aber, die sie
genau kennen, wir lassen uns durch diese Maske nicht täuschen, wir
wagen es, trotz dieser «juiu,! offiziellen Lustigkeit zu gähnen, so recht
aus vollem Herzen zu gähnen. Wir haben maskirte Akademien und
Redouten, abonniren Bälle und Künstlerbälle. Von einer Volksbelusti¬
gung aber, von einer Belustigung, wie sie die Städte am Rhein bie¬
ten, keine Spur. Für dergleichen Vergnügungen herrscht aber auch
hier kein Sinn; die Bockhalle, das ist des Münchners Narrhalle. Die
cwzige unserer Carnevalsbelustigungen, an der das eigentliche Volk
Antheil nimmt, ist der jeden Faschingsmontag wiederkehrende Metzger¬
sprung. An diesem Tage nämlich versammeln sich Nachmittags zwei
Uhr im hiesigen Rathhause alle Lehrlinge der ehrsamen Metzgerzunft
und begeben sich von da aus, in Bärenfelle gehüllt, auf den Schran-
nenplatz, woselbst sie von den Tausenden, die schon seit dem frühen
Morgen den Platz füllen, mit donnerndem Jubel begrüßt werden. Sie
springen hierauf in den sogenannten Fischbrunnen, der zur Hälfte mit
Wasser gefüllt ist. Von diesem ihrem wässerigen Standpunkte aus


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[0345] reichs nur geringe Bestellungen in Ungarn machen können, weil die Tuchfabriken Böhmens und Mährens in der sichern Erwartung, für dieses Jahr nur wenig Tücher dahin ausführen zu können, sehr ge¬ ringen Bedarf haben und sich auf ihre Vorrathe stützen. Inzwischen haben, wie die neuesten Privatbriefe melden, die auf¬ geregten Leidenschaften der brausenden Jugend in Pesth bereits zu sehr ernsthaften Borfällen geführt, welche durch das Einschreiten der be¬ waffneten Macht geschlichtet werden mußten. Die Kaufleute befolgten nämlich aus Klugheit die leicht vorauszusehende Taktik, den vom Aus¬ land bezogenen Waaren die Aufschrift „Nein vaterländisch" auszuhef¬ ten und machten anfangs mit Hilfe des patriotischen Fanatismus die glänzendsten Geschäfte. Doch bald kamen die Consumenten auf den Betrug und geriethen, von den Spottreden und höhnischen Glossen der deutschen Presse, welche ihnen unaufhörlich zurief, man gönne ihnen das unschuldige Vergnügen, sich für ein Fabrikvolk zu halten, aufgestachelt, gegen die Söhne Merkurs in Harnisch. Die Folge waren die Erstürmung und Plünderung mehrerer Kaufläden und die Verwundung vieler Tumultuanten, als zuletzt das Militär gegen diese merkantilische Emeutc aufgeboten ward. Von der Frciung. — A u s M u » es e n. Karneval. — Der Metzgersprung. — Die historisch-politischen Blätter für Preßfreiheit und gegen das preußische Obcrccnsurgericht. — Mozart's Ido- meneo. — Antigone und Laube's Steuensee. — Der Carneval ist in München angekommen, das heißt, die Lange¬ weile, die sich das ganze Jahr hindurch in unserer Stadt breit macht, hat jetzt die Maske vorgenommen, wir Münchner aber, die sie genau kennen, wir lassen uns durch diese Maske nicht täuschen, wir wagen es, trotz dieser «juiu,! offiziellen Lustigkeit zu gähnen, so recht aus vollem Herzen zu gähnen. Wir haben maskirte Akademien und Redouten, abonniren Bälle und Künstlerbälle. Von einer Volksbelusti¬ gung aber, von einer Belustigung, wie sie die Städte am Rhein bie¬ ten, keine Spur. Für dergleichen Vergnügungen herrscht aber auch hier kein Sinn; die Bockhalle, das ist des Münchners Narrhalle. Die cwzige unserer Carnevalsbelustigungen, an der das eigentliche Volk Antheil nimmt, ist der jeden Faschingsmontag wiederkehrende Metzger¬ sprung. An diesem Tage nämlich versammeln sich Nachmittags zwei Uhr im hiesigen Rathhause alle Lehrlinge der ehrsamen Metzgerzunft und begeben sich von da aus, in Bärenfelle gehüllt, auf den Schran- nenplatz, woselbst sie von den Tausenden, die schon seit dem frühen Morgen den Platz füllen, mit donnerndem Jubel begrüßt werden. Sie springen hierauf in den sogenannten Fischbrunnen, der zur Hälfte mit Wasser gefüllt ist. Von diesem ihrem wässerigen Standpunkte aus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/345>, abgerufen am 17.06.2024.