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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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"Auferstehung''begrüßt uns eüvaö vom "Hoffnungsmorgenroth", welches
vielen gläubigen Herzen dieser Zeit aufgegangen ist. In den "Nächten"
der trunkene Weltschmerz, der, selbstgefällig im eigenen Blute schwel¬
gend, keinen Trost und keine Hoffnung mag; in der "Auferstehung"
hat sich aus der wilden Gährung des Zweifels, der stürmischen Zer¬
störungslust und des träumerisch dunklen Dranges nach einer un¬
nennbaren Zukunft, endlich eine reine Ueberzeugung erhoben und der
feste Glaube an eine große Bestimmung der Menschheit; ein Glaube,
den Viele gedankenlos nachbeten: aber dem Dichter und Denker, der
um ihn gerungen hat, ist er eine Wahrheit; eine Bestimmung, die
jeder Menschheitgläubige sich abstract denkt und mit großer Ruhe in
die weiteste Ferne verlegt: der Dichter aber rückt sie in zeitliche Nähe
und deutet wenigstens die Umrisse ihrer idealen Schönheit an. In
den "Nächten" wie in der "Auferstehung" hat -- im Gegensatz zu
den gewöhnlichen Zeitpoeten -- die Individualität des Dichters von
den Tendenzen der Periode sich nicht unterjochen lassen, sie hat viel¬
mehr sich ihrer bemächtigt und ihnen eigenthümliches Gepräge und
individuelle Färbung gegeben; die Nächte bleiben darum stets eine Er¬
scheinung, die aus der Sündfluth politischer Poesie des vorigen Jahr-
zehends hoch hervorragt und keiner Gattung unterzuordnen ist, und
eben so wird man die "Auferstehung" mit keinem Erzeugniß der li¬
terarisch-socialistischen oder politischen Richtungen dieser Tage verglei¬
chen können; gemeinsam aber ist beiden die "orientalische Bilderpracht";
ein Wort, das früher bei den Kritikern Beck's stereotyp geworden
war. Deutlicher ausgedrückt ist es ein unwillkürlicher Anklang an Ton
und Ausdrucksweise der Propheten. In den "Nächten" war Börne
das Instrument, um die modernen Ideen mit altprophetischer An¬
schauung zu vermitteln; in der "Auferstehung" ist es ein Engel. Man
muß gestehen, daß den Idealen der civilisirten Welt die Sprache des
Jesaias Nichts von ihrer Erhabenheit nimmt; eher gewinnen sie an
poetischer Sinnlichkeit und Energie. Die strenge Glurh des antiken
Spiritualismus, mit der Schwärmerei des modernen Gemüths ver¬
einigt, hat eine Romantik erzeugt, die bis jetzt Beck eigenthümlich
geblieben ist; denn der evangelische Socialismus des edlen Sattel ist
viel zu dialektisch-didaktisch gepanzert, um viel Fleisch und Blut, zu haben.

Im Ganzen wird man finden, daß der Dichter nach manchen
Abschweifungen und Umwegen in der Auferstehung wieder einmal


„Auferstehung''begrüßt uns eüvaö vom „Hoffnungsmorgenroth", welches
vielen gläubigen Herzen dieser Zeit aufgegangen ist. In den „Nächten"
der trunkene Weltschmerz, der, selbstgefällig im eigenen Blute schwel¬
gend, keinen Trost und keine Hoffnung mag; in der „Auferstehung"
hat sich aus der wilden Gährung des Zweifels, der stürmischen Zer¬
störungslust und des träumerisch dunklen Dranges nach einer un¬
nennbaren Zukunft, endlich eine reine Ueberzeugung erhoben und der
feste Glaube an eine große Bestimmung der Menschheit; ein Glaube,
den Viele gedankenlos nachbeten: aber dem Dichter und Denker, der
um ihn gerungen hat, ist er eine Wahrheit; eine Bestimmung, die
jeder Menschheitgläubige sich abstract denkt und mit großer Ruhe in
die weiteste Ferne verlegt: der Dichter aber rückt sie in zeitliche Nähe
und deutet wenigstens die Umrisse ihrer idealen Schönheit an. In
den „Nächten" wie in der „Auferstehung" hat — im Gegensatz zu
den gewöhnlichen Zeitpoeten — die Individualität des Dichters von
den Tendenzen der Periode sich nicht unterjochen lassen, sie hat viel¬
mehr sich ihrer bemächtigt und ihnen eigenthümliches Gepräge und
individuelle Färbung gegeben; die Nächte bleiben darum stets eine Er¬
scheinung, die aus der Sündfluth politischer Poesie des vorigen Jahr-
zehends hoch hervorragt und keiner Gattung unterzuordnen ist, und
eben so wird man die „Auferstehung" mit keinem Erzeugniß der li¬
terarisch-socialistischen oder politischen Richtungen dieser Tage verglei¬
chen können; gemeinsam aber ist beiden die „orientalische Bilderpracht";
ein Wort, das früher bei den Kritikern Beck's stereotyp geworden
war. Deutlicher ausgedrückt ist es ein unwillkürlicher Anklang an Ton
und Ausdrucksweise der Propheten. In den „Nächten" war Börne
das Instrument, um die modernen Ideen mit altprophetischer An¬
schauung zu vermitteln; in der „Auferstehung" ist es ein Engel. Man
muß gestehen, daß den Idealen der civilisirten Welt die Sprache des
Jesaias Nichts von ihrer Erhabenheit nimmt; eher gewinnen sie an
poetischer Sinnlichkeit und Energie. Die strenge Glurh des antiken
Spiritualismus, mit der Schwärmerei des modernen Gemüths ver¬
einigt, hat eine Romantik erzeugt, die bis jetzt Beck eigenthümlich
geblieben ist; denn der evangelische Socialismus des edlen Sattel ist
viel zu dialektisch-didaktisch gepanzert, um viel Fleisch und Blut, zu haben.

Im Ganzen wird man finden, daß der Dichter nach manchen
Abschweifungen und Umwegen in der Auferstehung wieder einmal


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[0036] „Auferstehung''begrüßt uns eüvaö vom „Hoffnungsmorgenroth", welches vielen gläubigen Herzen dieser Zeit aufgegangen ist. In den „Nächten" der trunkene Weltschmerz, der, selbstgefällig im eigenen Blute schwel¬ gend, keinen Trost und keine Hoffnung mag; in der „Auferstehung" hat sich aus der wilden Gährung des Zweifels, der stürmischen Zer¬ störungslust und des träumerisch dunklen Dranges nach einer un¬ nennbaren Zukunft, endlich eine reine Ueberzeugung erhoben und der feste Glaube an eine große Bestimmung der Menschheit; ein Glaube, den Viele gedankenlos nachbeten: aber dem Dichter und Denker, der um ihn gerungen hat, ist er eine Wahrheit; eine Bestimmung, die jeder Menschheitgläubige sich abstract denkt und mit großer Ruhe in die weiteste Ferne verlegt: der Dichter aber rückt sie in zeitliche Nähe und deutet wenigstens die Umrisse ihrer idealen Schönheit an. In den „Nächten" wie in der „Auferstehung" hat — im Gegensatz zu den gewöhnlichen Zeitpoeten — die Individualität des Dichters von den Tendenzen der Periode sich nicht unterjochen lassen, sie hat viel¬ mehr sich ihrer bemächtigt und ihnen eigenthümliches Gepräge und individuelle Färbung gegeben; die Nächte bleiben darum stets eine Er¬ scheinung, die aus der Sündfluth politischer Poesie des vorigen Jahr- zehends hoch hervorragt und keiner Gattung unterzuordnen ist, und eben so wird man die „Auferstehung" mit keinem Erzeugniß der li¬ terarisch-socialistischen oder politischen Richtungen dieser Tage verglei¬ chen können; gemeinsam aber ist beiden die „orientalische Bilderpracht"; ein Wort, das früher bei den Kritikern Beck's stereotyp geworden war. Deutlicher ausgedrückt ist es ein unwillkürlicher Anklang an Ton und Ausdrucksweise der Propheten. In den „Nächten" war Börne das Instrument, um die modernen Ideen mit altprophetischer An¬ schauung zu vermitteln; in der „Auferstehung" ist es ein Engel. Man muß gestehen, daß den Idealen der civilisirten Welt die Sprache des Jesaias Nichts von ihrer Erhabenheit nimmt; eher gewinnen sie an poetischer Sinnlichkeit und Energie. Die strenge Glurh des antiken Spiritualismus, mit der Schwärmerei des modernen Gemüths ver¬ einigt, hat eine Romantik erzeugt, die bis jetzt Beck eigenthümlich geblieben ist; denn der evangelische Socialismus des edlen Sattel ist viel zu dialektisch-didaktisch gepanzert, um viel Fleisch und Blut, zu haben. Im Ganzen wird man finden, daß der Dichter nach manchen Abschweifungen und Umwegen in der Auferstehung wieder einmal

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/36>, abgerufen am 17.06.2024.