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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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garda, meint er, wisse recht gut, daß sie über hundert Familien nutz¬
loses Unglück bringe, aber sie "schiebe einzelne Tirailleurs vor, als Opfer,"
deren Untergang den Haß gegen Rußland nähren muß. Eine feine
jesuitische Auslegung! Liegt denn die Erklärung nicht naher, daß die
Propaganda eben auch aus Polen besteht, die nach polnischer Weise
eben so tollkühn wie sanguinisch in ihren Hoffnungen sind? Grade so
reden die Philister, wenn sie sagen: Die Polen hätten 1830 nicht so
verrückt fechten sollen, dann wäre nicht so viel Blut geflossen.

-- Jetzt haben wir die Augsb. Allg. wirklich auf einem Anlauf
zum Radikalismus ertappt; Herr Huber hat so Unrecht nicht. Die
Augsburger wagt es, sich über die Reuß-Ebersdorsischcn Staaten ver¬
steckter Weise lustig zu machen; indem sie einen idyllischen nrei"i< r
Ebersdorf aus dem offiziellen Tageblatt dieser Residenz nachdruckt, be¬
merkt sie, es sei ein "denkwürdiges Actenstück." Was ist da Denk¬
würdiges? Darf der Fürst von Ebersdorf nicht ebenso gut sein 25jäh-
riges Jubiläum stillschweigend feiern lassen, wie ein König von Bai¬
ern oder Hannover? Noch ersichtlicher wird die böswillige Tendenz der
Augsb. Allgemeinen, wo sie mit gesperrter Schrift von den sämmt¬
lichen reuß sehen Militärcorps spricht. Die reußsche Armee gehört
eben so gut zum Bundcscontingcnt, wie die preußische, die Nation der
Reußen gehört zum einigen Deutschland so gut, wie die der Preußen,
und der Fürst der Reußen ist durch den deutschen Bund eben so un¬
verletzlich, wie der König von Preußen. Auch in den Reußschen Staa¬
ten kann man wegen Majestätsbeleidigung angeklagt werden. Wer
aber ein Mitglied des deutschen Fürstenbundes beleidigen kann oder
irgend eine der Institutionen des deutschen Bundes umstürzen will, der
rüttelt am Bestehenden, der muß nothwendig radical sein. Die Augsb.
hüte sich, daß sie nicht in den Reußschen Staaten verboten werde.

"Weiße Sklaven oder die Leiden des Volkes,"
heißt ein neuer Roman von E. Willkomm, von dem sich der erste
Band bereits unter der Presse befindet. Der Verfasser führt in die¬
sem Werke dasselbe Thema weiter und umfassender aus, das er kürz¬
lich in der Erzählung aus dem Volke "Der Lohnwcber," (in H. Pütt-
mann's deutschem Bürgerbuche) leise angeschlagen hat.

-- Im 5. Heft der Grenzboten (siehe Eorrcspondenz aus Wien)
soll es in dem "Toast" von M. Löwenthal, im dritten Vers der
dritten Strophe statt "Und" "Doch" heißen; eben so sollen die zwei ersten
Zeilen der fünften Strophe lauten: "Und ,etes Herz ist unsres Gastes
"

Und seiner wackern Thaten voll,
Der Setzer hatte dafür das indifferentere: "andern" gesetzt.




Verlag von Fr. Ludw. Herbig. -- Redacteur I. Kuranda.
Druck von Friedrich Andrä.

garda, meint er, wisse recht gut, daß sie über hundert Familien nutz¬
loses Unglück bringe, aber sie „schiebe einzelne Tirailleurs vor, als Opfer,"
deren Untergang den Haß gegen Rußland nähren muß. Eine feine
jesuitische Auslegung! Liegt denn die Erklärung nicht naher, daß die
Propaganda eben auch aus Polen besteht, die nach polnischer Weise
eben so tollkühn wie sanguinisch in ihren Hoffnungen sind? Grade so
reden die Philister, wenn sie sagen: Die Polen hätten 1830 nicht so
verrückt fechten sollen, dann wäre nicht so viel Blut geflossen.

— Jetzt haben wir die Augsb. Allg. wirklich auf einem Anlauf
zum Radikalismus ertappt; Herr Huber hat so Unrecht nicht. Die
Augsburger wagt es, sich über die Reuß-Ebersdorsischcn Staaten ver¬
steckter Weise lustig zu machen; indem sie einen idyllischen nrei»i< r
Ebersdorf aus dem offiziellen Tageblatt dieser Residenz nachdruckt, be¬
merkt sie, es sei ein „denkwürdiges Actenstück." Was ist da Denk¬
würdiges? Darf der Fürst von Ebersdorf nicht ebenso gut sein 25jäh-
riges Jubiläum stillschweigend feiern lassen, wie ein König von Bai¬
ern oder Hannover? Noch ersichtlicher wird die böswillige Tendenz der
Augsb. Allgemeinen, wo sie mit gesperrter Schrift von den sämmt¬
lichen reuß sehen Militärcorps spricht. Die reußsche Armee gehört
eben so gut zum Bundcscontingcnt, wie die preußische, die Nation der
Reußen gehört zum einigen Deutschland so gut, wie die der Preußen,
und der Fürst der Reußen ist durch den deutschen Bund eben so un¬
verletzlich, wie der König von Preußen. Auch in den Reußschen Staa¬
ten kann man wegen Majestätsbeleidigung angeklagt werden. Wer
aber ein Mitglied des deutschen Fürstenbundes beleidigen kann oder
irgend eine der Institutionen des deutschen Bundes umstürzen will, der
rüttelt am Bestehenden, der muß nothwendig radical sein. Die Augsb.
hüte sich, daß sie nicht in den Reußschen Staaten verboten werde.

„Weiße Sklaven oder die Leiden des Volkes,"
heißt ein neuer Roman von E. Willkomm, von dem sich der erste
Band bereits unter der Presse befindet. Der Verfasser führt in die¬
sem Werke dasselbe Thema weiter und umfassender aus, das er kürz¬
lich in der Erzählung aus dem Volke „Der Lohnwcber," (in H. Pütt-
mann's deutschem Bürgerbuche) leise angeschlagen hat.

— Im 5. Heft der Grenzboten (siehe Eorrcspondenz aus Wien)
soll es in dem „Toast" von M. Löwenthal, im dritten Vers der
dritten Strophe statt „Und" „Doch" heißen; eben so sollen die zwei ersten
Zeilen der fünften Strophe lauten: „Und ,etes Herz ist unsres Gastes
"

Und seiner wackern Thaten voll,
Der Setzer hatte dafür das indifferentere: „andern" gesetzt.




Verlag von Fr. Ludw. Herbig. — Redacteur I. Kuranda.
Druck von Friedrich Andrä.
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[0402] garda, meint er, wisse recht gut, daß sie über hundert Familien nutz¬ loses Unglück bringe, aber sie „schiebe einzelne Tirailleurs vor, als Opfer," deren Untergang den Haß gegen Rußland nähren muß. Eine feine jesuitische Auslegung! Liegt denn die Erklärung nicht naher, daß die Propaganda eben auch aus Polen besteht, die nach polnischer Weise eben so tollkühn wie sanguinisch in ihren Hoffnungen sind? Grade so reden die Philister, wenn sie sagen: Die Polen hätten 1830 nicht so verrückt fechten sollen, dann wäre nicht so viel Blut geflossen. — Jetzt haben wir die Augsb. Allg. wirklich auf einem Anlauf zum Radikalismus ertappt; Herr Huber hat so Unrecht nicht. Die Augsburger wagt es, sich über die Reuß-Ebersdorsischcn Staaten ver¬ steckter Weise lustig zu machen; indem sie einen idyllischen nrei»i< r Ebersdorf aus dem offiziellen Tageblatt dieser Residenz nachdruckt, be¬ merkt sie, es sei ein „denkwürdiges Actenstück." Was ist da Denk¬ würdiges? Darf der Fürst von Ebersdorf nicht ebenso gut sein 25jäh- riges Jubiläum stillschweigend feiern lassen, wie ein König von Bai¬ ern oder Hannover? Noch ersichtlicher wird die böswillige Tendenz der Augsb. Allgemeinen, wo sie mit gesperrter Schrift von den sämmt¬ lichen reuß sehen Militärcorps spricht. Die reußsche Armee gehört eben so gut zum Bundcscontingcnt, wie die preußische, die Nation der Reußen gehört zum einigen Deutschland so gut, wie die der Preußen, und der Fürst der Reußen ist durch den deutschen Bund eben so un¬ verletzlich, wie der König von Preußen. Auch in den Reußschen Staa¬ ten kann man wegen Majestätsbeleidigung angeklagt werden. Wer aber ein Mitglied des deutschen Fürstenbundes beleidigen kann oder irgend eine der Institutionen des deutschen Bundes umstürzen will, der rüttelt am Bestehenden, der muß nothwendig radical sein. Die Augsb. hüte sich, daß sie nicht in den Reußschen Staaten verboten werde. „Weiße Sklaven oder die Leiden des Volkes," heißt ein neuer Roman von E. Willkomm, von dem sich der erste Band bereits unter der Presse befindet. Der Verfasser führt in die¬ sem Werke dasselbe Thema weiter und umfassender aus, das er kürz¬ lich in der Erzählung aus dem Volke „Der Lohnwcber," (in H. Pütt- mann's deutschem Bürgerbuche) leise angeschlagen hat. — Im 5. Heft der Grenzboten (siehe Eorrcspondenz aus Wien) soll es in dem „Toast" von M. Löwenthal, im dritten Vers der dritten Strophe statt „Und" „Doch" heißen; eben so sollen die zwei ersten Zeilen der fünften Strophe lauten: „Und ,etes Herz ist unsres Gastes " Und seiner wackern Thaten voll, Der Setzer hatte dafür das indifferentere: „andern" gesetzt. Verlag von Fr. Ludw. Herbig. — Redacteur I. Kuranda. Druck von Friedrich Andrä.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/402>, abgerufen am 26.05.2024.