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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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einen erhabenen Platz, wo ich eine freie Unischan über die Versamm¬
lung hatte, dem verschlossenen Kelch der prophetischen Blume näher,
und dicht unter die Wölbung der gestirnten blauen Kuppel gerückt
war. Ich sollte Wahrheit hören über einen dunklen Punkt meines
Lebens. Hätte ich nicht den verräterischen Blick hinter die Coulissen
gethan, bei höherer Wallung des Blutes hätte der Augenblick mir
als ein feierlicher erscheinen können. Vor dieser höheren Wallung
des Blutes hatte mich bisher mein guter Genius bewahrt. Die
Ordnung des Bundes, erhob der Meister seine Stimme, bringt es
mit sich, daß der Neophyt zuvor vom Kelch unserer Weisheit trinke.
Man reiche ihm den Pokal! Der Ceremonienmeister hielt ihn schon
gefüllt in der Hand und übergab ihn mir. So sollte dieser Kelch
also doch nicht von mir gehen! Es war derselbe Becher, den ich schon
kannte; mich widerte die grüne Flüssigkeit an, die mir von Neuem
entgegenblinkte. Ich bedarf der Unterstützung meiner Kräfte nicht!
sagt' ich und nahm den Becher zögernd. Die Sitte will eS, daß ein
Zweiter den Kelch mit Dir theile! rief der Großmeister, mein Wort
nicht beachtend. Wer trinkt ihm zu? -- Durch die lautlose Stille
drängte sich jetzt hastig eine Gestalt in die Rotunde. ES war der
Prinz. Mir den Pokal! rief er und griff mit beiden Händen dar¬
nach. Dem großen geheimnißvollen Orient gehören wir Alle an und
so trink' ich als Maurer dem Neuling zu, ich selbst der Einweihung
bedürftig und nach ihr verlangend! Eine freudige Bewegung lief
durch die Versammlung der Wissenden. Man flüsterte entzückt über
den Entschluß eines hochgestellten Mannes, in den noch so eben ge¬
schmähten Bund der Rosenkreuzer die Aufnahme zu fordern. Er hatte
das Gefäß an die Lippen geführt, setzte mehrmals ab und trank dann
um so rascher in vollen Zügen. Das träumerische Auge des Fürsten
leuchtete auf in Heller Glutt", seine Stirn hob sich, aus den sonst
schlaffen Zügen sprach ein Geist, der in ihnen geschlummert und der nun
plötzlich geweckt schien. So trat er auf mich zu und reichte mir den
Becher. Beim Anblick des edlen vertrauensvollen Mannes schämt'
ich mich meiner Zaghaftigkeit, meiner Bedenken: ich ergriff den Kelch
und leerte den noch übrigen Inhalt. Eine Feuerkraft hob meine Seele
wie auf Flügel. Jetzt oder nie wirst Du Geister sehen! rief mir
eine leise Stimme zu.

Ich war von meiner Erhöhung zu dem Prinzen hinabgestiegen.


einen erhabenen Platz, wo ich eine freie Unischan über die Versamm¬
lung hatte, dem verschlossenen Kelch der prophetischen Blume näher,
und dicht unter die Wölbung der gestirnten blauen Kuppel gerückt
war. Ich sollte Wahrheit hören über einen dunklen Punkt meines
Lebens. Hätte ich nicht den verräterischen Blick hinter die Coulissen
gethan, bei höherer Wallung des Blutes hätte der Augenblick mir
als ein feierlicher erscheinen können. Vor dieser höheren Wallung
des Blutes hatte mich bisher mein guter Genius bewahrt. Die
Ordnung des Bundes, erhob der Meister seine Stimme, bringt es
mit sich, daß der Neophyt zuvor vom Kelch unserer Weisheit trinke.
Man reiche ihm den Pokal! Der Ceremonienmeister hielt ihn schon
gefüllt in der Hand und übergab ihn mir. So sollte dieser Kelch
also doch nicht von mir gehen! Es war derselbe Becher, den ich schon
kannte; mich widerte die grüne Flüssigkeit an, die mir von Neuem
entgegenblinkte. Ich bedarf der Unterstützung meiner Kräfte nicht!
sagt' ich und nahm den Becher zögernd. Die Sitte will eS, daß ein
Zweiter den Kelch mit Dir theile! rief der Großmeister, mein Wort
nicht beachtend. Wer trinkt ihm zu? — Durch die lautlose Stille
drängte sich jetzt hastig eine Gestalt in die Rotunde. ES war der
Prinz. Mir den Pokal! rief er und griff mit beiden Händen dar¬
nach. Dem großen geheimnißvollen Orient gehören wir Alle an und
so trink' ich als Maurer dem Neuling zu, ich selbst der Einweihung
bedürftig und nach ihr verlangend! Eine freudige Bewegung lief
durch die Versammlung der Wissenden. Man flüsterte entzückt über
den Entschluß eines hochgestellten Mannes, in den noch so eben ge¬
schmähten Bund der Rosenkreuzer die Aufnahme zu fordern. Er hatte
das Gefäß an die Lippen geführt, setzte mehrmals ab und trank dann
um so rascher in vollen Zügen. Das träumerische Auge des Fürsten
leuchtete auf in Heller Glutt», seine Stirn hob sich, aus den sonst
schlaffen Zügen sprach ein Geist, der in ihnen geschlummert und der nun
plötzlich geweckt schien. So trat er auf mich zu und reichte mir den
Becher. Beim Anblick des edlen vertrauensvollen Mannes schämt'
ich mich meiner Zaghaftigkeit, meiner Bedenken: ich ergriff den Kelch
und leerte den noch übrigen Inhalt. Eine Feuerkraft hob meine Seele
wie auf Flügel. Jetzt oder nie wirst Du Geister sehen! rief mir
eine leise Stimme zu.

Ich war von meiner Erhöhung zu dem Prinzen hinabgestiegen.


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[0405] einen erhabenen Platz, wo ich eine freie Unischan über die Versamm¬ lung hatte, dem verschlossenen Kelch der prophetischen Blume näher, und dicht unter die Wölbung der gestirnten blauen Kuppel gerückt war. Ich sollte Wahrheit hören über einen dunklen Punkt meines Lebens. Hätte ich nicht den verräterischen Blick hinter die Coulissen gethan, bei höherer Wallung des Blutes hätte der Augenblick mir als ein feierlicher erscheinen können. Vor dieser höheren Wallung des Blutes hatte mich bisher mein guter Genius bewahrt. Die Ordnung des Bundes, erhob der Meister seine Stimme, bringt es mit sich, daß der Neophyt zuvor vom Kelch unserer Weisheit trinke. Man reiche ihm den Pokal! Der Ceremonienmeister hielt ihn schon gefüllt in der Hand und übergab ihn mir. So sollte dieser Kelch also doch nicht von mir gehen! Es war derselbe Becher, den ich schon kannte; mich widerte die grüne Flüssigkeit an, die mir von Neuem entgegenblinkte. Ich bedarf der Unterstützung meiner Kräfte nicht! sagt' ich und nahm den Becher zögernd. Die Sitte will eS, daß ein Zweiter den Kelch mit Dir theile! rief der Großmeister, mein Wort nicht beachtend. Wer trinkt ihm zu? — Durch die lautlose Stille drängte sich jetzt hastig eine Gestalt in die Rotunde. ES war der Prinz. Mir den Pokal! rief er und griff mit beiden Händen dar¬ nach. Dem großen geheimnißvollen Orient gehören wir Alle an und so trink' ich als Maurer dem Neuling zu, ich selbst der Einweihung bedürftig und nach ihr verlangend! Eine freudige Bewegung lief durch die Versammlung der Wissenden. Man flüsterte entzückt über den Entschluß eines hochgestellten Mannes, in den noch so eben ge¬ schmähten Bund der Rosenkreuzer die Aufnahme zu fordern. Er hatte das Gefäß an die Lippen geführt, setzte mehrmals ab und trank dann um so rascher in vollen Zügen. Das träumerische Auge des Fürsten leuchtete auf in Heller Glutt», seine Stirn hob sich, aus den sonst schlaffen Zügen sprach ein Geist, der in ihnen geschlummert und der nun plötzlich geweckt schien. So trat er auf mich zu und reichte mir den Becher. Beim Anblick des edlen vertrauensvollen Mannes schämt' ich mich meiner Zaghaftigkeit, meiner Bedenken: ich ergriff den Kelch und leerte den noch übrigen Inhalt. Eine Feuerkraft hob meine Seele wie auf Flügel. Jetzt oder nie wirst Du Geister sehen! rief mir eine leise Stimme zu. Ich war von meiner Erhöhung zu dem Prinzen hinabgestiegen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/405>, abgerufen am 17.06.2024.