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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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man es ganz ungehindert geschehen, daß täglich sechstausend Menschen
der schrecklichsten Todesgefahr ausgesetzt werden; denn die Phantasie
erlahmt, wenn sie sich ein wahrheitsgetreues Gemälde der schauerlichen
Verwirrung hinstellen soll, welche nothwendig entstehen muß, sobald
in diesem Kellerparadies der Schreckensruf: Feuer! erschallt. Zerbro¬
chene Rippen, Arme und Beine, verbrannte Leichen, Erstickte, die fest¬
lich geputzt, mit der blaugewordenen Tänzerin im Arme, mitten im
Taumel der Freude hinstürzen, das sind die Gestalten, die sich der
vorausschauenden Einbildungskraft aufdrängen, wenn das Auge die
schmalen Treppen, die papiernen Tapeten, die künstlichen Baume und
die zahllosen Besucher betrachtet, die gekommen sind, sich von den
Sorgen des Lebens zu befreien und diese Befreiung oft nur durch ge¬
waltsame Lossagung von diesem Leben selbst erkaufen. Sollte die
Behörde nicht dieselbe Divinationsgabe besitzen, oder glaubt sie etwa,
Herr Dann besitze zu Gunsten seines Elysiums ein Patent auf Un-
verbrennlichkeit? Als jüngst noch ein russischer Fürst an der Seite des
Eigenthümers diesen Ort besichtigte, war seine erste Frage: Ist hier
noch niemals Feuer nusgcbrochen? Dies war nun allerdings noch
nicht der Fall, allein es kann jeden Tag geschehen, und es laßt sich gar
nicht absehen, warum es gerade unterirdische Räume sein müssen, in
denen das österreichische Volk sein Elysium finden soll; muß denn der
Oesterreicher durchaus unter die Erde, um glücklich zu sein, und
kann es ihm niemals auf der Erde schon Wohlergehen? Wir haben
diese Sache nur deshalb hier so weitläuftig abgehandelt, weil die Con¬
cession zu einem solchen Etablissement in gar zu grellem Gegensatz zu
gewissen anderen verweigerten Concessionen steht; uns dünkt z. B.
eine Liedertafel, welche den Frohsinn fördert und die heitere Kunst des
Gesanges pflegt, bei Weitem ungefährlicher, als ein lachendes Leichen-
Haus, als ein Salon, in den man Tausende zusammenpfropst, die
jeden Augenblick auf die jämmerlichste Weise umkommen können. Auch
vom Standpunkt der Moral, der so häufig als der oberste gepriesen
wird, scheint uns dieser Kellersalon nicht die unschuldigste Halle der
Tugend. Einmal erloschen sämmtliche Gaslichter, indem die Leitungs¬
röhren Schaden genommen, und die zahlreiche Versammlung befand
sich mit einem Schlage im tiefsten Nachtdunkel, von dem die alten
Dichter singen, daß es der Venus angehöre. Dieser Verdunklungs-
zusall hatte zwar keine tödtlichen Wirkungen, sondern, wie viele mei¬
nen, lebensvolle Resultate und kann daher nicht unter die Reihe der
sanitatsrvidrigen Eigenschaften aufgenommen werden, doch dürfte er bei
frommen Gemüthern, gleichwohl aus andern Gründen, Bedenken er¬
regen. Es ist doch eine schöne Sache um ein consequent durchge¬
führtes Prinzip!'

Morgen geht Donizettis Don Sebastian in die Scene und selbst
seine Gegner weissagen dieser Oper nach Anhörung der Proben einen


man es ganz ungehindert geschehen, daß täglich sechstausend Menschen
der schrecklichsten Todesgefahr ausgesetzt werden; denn die Phantasie
erlahmt, wenn sie sich ein wahrheitsgetreues Gemälde der schauerlichen
Verwirrung hinstellen soll, welche nothwendig entstehen muß, sobald
in diesem Kellerparadies der Schreckensruf: Feuer! erschallt. Zerbro¬
chene Rippen, Arme und Beine, verbrannte Leichen, Erstickte, die fest¬
lich geputzt, mit der blaugewordenen Tänzerin im Arme, mitten im
Taumel der Freude hinstürzen, das sind die Gestalten, die sich der
vorausschauenden Einbildungskraft aufdrängen, wenn das Auge die
schmalen Treppen, die papiernen Tapeten, die künstlichen Baume und
die zahllosen Besucher betrachtet, die gekommen sind, sich von den
Sorgen des Lebens zu befreien und diese Befreiung oft nur durch ge¬
waltsame Lossagung von diesem Leben selbst erkaufen. Sollte die
Behörde nicht dieselbe Divinationsgabe besitzen, oder glaubt sie etwa,
Herr Dann besitze zu Gunsten seines Elysiums ein Patent auf Un-
verbrennlichkeit? Als jüngst noch ein russischer Fürst an der Seite des
Eigenthümers diesen Ort besichtigte, war seine erste Frage: Ist hier
noch niemals Feuer nusgcbrochen? Dies war nun allerdings noch
nicht der Fall, allein es kann jeden Tag geschehen, und es laßt sich gar
nicht absehen, warum es gerade unterirdische Räume sein müssen, in
denen das österreichische Volk sein Elysium finden soll; muß denn der
Oesterreicher durchaus unter die Erde, um glücklich zu sein, und
kann es ihm niemals auf der Erde schon Wohlergehen? Wir haben
diese Sache nur deshalb hier so weitläuftig abgehandelt, weil die Con¬
cession zu einem solchen Etablissement in gar zu grellem Gegensatz zu
gewissen anderen verweigerten Concessionen steht; uns dünkt z. B.
eine Liedertafel, welche den Frohsinn fördert und die heitere Kunst des
Gesanges pflegt, bei Weitem ungefährlicher, als ein lachendes Leichen-
Haus, als ein Salon, in den man Tausende zusammenpfropst, die
jeden Augenblick auf die jämmerlichste Weise umkommen können. Auch
vom Standpunkt der Moral, der so häufig als der oberste gepriesen
wird, scheint uns dieser Kellersalon nicht die unschuldigste Halle der
Tugend. Einmal erloschen sämmtliche Gaslichter, indem die Leitungs¬
röhren Schaden genommen, und die zahlreiche Versammlung befand
sich mit einem Schlage im tiefsten Nachtdunkel, von dem die alten
Dichter singen, daß es der Venus angehöre. Dieser Verdunklungs-
zusall hatte zwar keine tödtlichen Wirkungen, sondern, wie viele mei¬
nen, lebensvolle Resultate und kann daher nicht unter die Reihe der
sanitatsrvidrigen Eigenschaften aufgenommen werden, doch dürfte er bei
frommen Gemüthern, gleichwohl aus andern Gründen, Bedenken er¬
regen. Es ist doch eine schöne Sache um ein consequent durchge¬
führtes Prinzip!'

Morgen geht Donizettis Don Sebastian in die Scene und selbst
seine Gegner weissagen dieser Oper nach Anhörung der Proben einen


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[0442] man es ganz ungehindert geschehen, daß täglich sechstausend Menschen der schrecklichsten Todesgefahr ausgesetzt werden; denn die Phantasie erlahmt, wenn sie sich ein wahrheitsgetreues Gemälde der schauerlichen Verwirrung hinstellen soll, welche nothwendig entstehen muß, sobald in diesem Kellerparadies der Schreckensruf: Feuer! erschallt. Zerbro¬ chene Rippen, Arme und Beine, verbrannte Leichen, Erstickte, die fest¬ lich geputzt, mit der blaugewordenen Tänzerin im Arme, mitten im Taumel der Freude hinstürzen, das sind die Gestalten, die sich der vorausschauenden Einbildungskraft aufdrängen, wenn das Auge die schmalen Treppen, die papiernen Tapeten, die künstlichen Baume und die zahllosen Besucher betrachtet, die gekommen sind, sich von den Sorgen des Lebens zu befreien und diese Befreiung oft nur durch ge¬ waltsame Lossagung von diesem Leben selbst erkaufen. Sollte die Behörde nicht dieselbe Divinationsgabe besitzen, oder glaubt sie etwa, Herr Dann besitze zu Gunsten seines Elysiums ein Patent auf Un- verbrennlichkeit? Als jüngst noch ein russischer Fürst an der Seite des Eigenthümers diesen Ort besichtigte, war seine erste Frage: Ist hier noch niemals Feuer nusgcbrochen? Dies war nun allerdings noch nicht der Fall, allein es kann jeden Tag geschehen, und es laßt sich gar nicht absehen, warum es gerade unterirdische Räume sein müssen, in denen das österreichische Volk sein Elysium finden soll; muß denn der Oesterreicher durchaus unter die Erde, um glücklich zu sein, und kann es ihm niemals auf der Erde schon Wohlergehen? Wir haben diese Sache nur deshalb hier so weitläuftig abgehandelt, weil die Con¬ cession zu einem solchen Etablissement in gar zu grellem Gegensatz zu gewissen anderen verweigerten Concessionen steht; uns dünkt z. B. eine Liedertafel, welche den Frohsinn fördert und die heitere Kunst des Gesanges pflegt, bei Weitem ungefährlicher, als ein lachendes Leichen- Haus, als ein Salon, in den man Tausende zusammenpfropst, die jeden Augenblick auf die jämmerlichste Weise umkommen können. Auch vom Standpunkt der Moral, der so häufig als der oberste gepriesen wird, scheint uns dieser Kellersalon nicht die unschuldigste Halle der Tugend. Einmal erloschen sämmtliche Gaslichter, indem die Leitungs¬ röhren Schaden genommen, und die zahlreiche Versammlung befand sich mit einem Schlage im tiefsten Nachtdunkel, von dem die alten Dichter singen, daß es der Venus angehöre. Dieser Verdunklungs- zusall hatte zwar keine tödtlichen Wirkungen, sondern, wie viele mei¬ nen, lebensvolle Resultate und kann daher nicht unter die Reihe der sanitatsrvidrigen Eigenschaften aufgenommen werden, doch dürfte er bei frommen Gemüthern, gleichwohl aus andern Gründen, Bedenken er¬ regen. Es ist doch eine schöne Sache um ein consequent durchge¬ führtes Prinzip!' Morgen geht Donizettis Don Sebastian in die Scene und selbst seine Gegner weissagen dieser Oper nach Anhörung der Proben einen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/442>, abgerufen am 17.06.2024.