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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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gesucht haben. Miß Pardoe z. B. versichert in dem allerernstesten
Englisch, man hatte gegen den berüchtigten Räuberhauptmann Schobri
eine Armee von neunzigtausend Mann aufgeboten, Miß Trollope
findet das Rauchen der jungen Männer auf Straßen und Promena¬
den höchst "unschicksam" und dem Teint der Damen höchst "gefähr¬
lich", und füllt mit dergleichen Redseligkeiten ein Buch an, das seinem
Titel nach die Besprechung ganz anderer Zustände versprochen hat.
John Pagel, der Ungarn aus langjährigem Aufenthalte vortrefflich
kannte, entwirft in seinem Buche eine gar traurige Schilderung der
dasigen Zustände und für ein fühlendes Magyarenherz muß es sich
von Anfang bis zum Ende recht peinlich und niederschlagend lesen
lassei,. Dennoch wurden diese Werke mit vielem Interesse und Selbst¬
gefühl angerühmt. Hier zieht die ungarische Presse ganz feine, glatte
Glacehandschuhe an, hier läßt sie Rücksichten vorwalten, die sie gegen
uns zu beobachten sich nicht gezwungen glaubt. Geht die magyarische
Eitelkeit so weit, daß sie sich darauf etwas einbildet, einem englischen
Zeichner zu sitzen? Daß sie lieber von einer englischen Feder Tadel
als von einer deutschen Anerkennung mag? In der That dürfte
dies der Haken sein. Man weiß ja auch, wie viel sich die Magya¬
ren auf eine halbe und schwankende Aehnlichkeit zwischen einigen ver¬
alteten Formen der englischen und der ungarischen Constitution zu
Gute thun. Das ist kleinliche Eitelkeit, nicht männlicher Stolz, wie
er einer tapfern Nation gebührt.

Fragt man einen ungarischen Journalisten nach dem Grunde
dieser Opposition gegen die deutsche Presse, ob denn einige Artikel
in der "Augsburger Allgemeinen" oder in der "Deutschen Allgemei¬
nen" im Stande seien, den Dämon des Mißverständnisses zwischen
zwei Nationalitäten zu wecken, die sich gegenseitig achten lind auf ein¬
ander bauen sollten, so wird er antworten: Eben diese. Die Augs¬
burger Allgemeine ist der Bock Hazacl, auf dessen fluchbeladenes
Haupt alle Schuld geworfen wird. Man wird hier versucht, in ein home¬
risches Gelächter auszubrechen. Wir in Deutschland wenigstens ha¬
ben keinen Begriff von einer Nationalität, die sich in Wolle und
Löschpapier wie ein candirtes Zuckerwerk einhüllen möchte, um nicht
beim ersten Hauche zu zergehen; von einer Nationalkraft, die vor
den Tönen einer papiernen Posaune von Augsburg zusammenzubre¬
chen fürchtet.


gesucht haben. Miß Pardoe z. B. versichert in dem allerernstesten
Englisch, man hatte gegen den berüchtigten Räuberhauptmann Schobri
eine Armee von neunzigtausend Mann aufgeboten, Miß Trollope
findet das Rauchen der jungen Männer auf Straßen und Promena¬
den höchst „unschicksam" und dem Teint der Damen höchst „gefähr¬
lich", und füllt mit dergleichen Redseligkeiten ein Buch an, das seinem
Titel nach die Besprechung ganz anderer Zustände versprochen hat.
John Pagel, der Ungarn aus langjährigem Aufenthalte vortrefflich
kannte, entwirft in seinem Buche eine gar traurige Schilderung der
dasigen Zustände und für ein fühlendes Magyarenherz muß es sich
von Anfang bis zum Ende recht peinlich und niederschlagend lesen
lassei,. Dennoch wurden diese Werke mit vielem Interesse und Selbst¬
gefühl angerühmt. Hier zieht die ungarische Presse ganz feine, glatte
Glacehandschuhe an, hier läßt sie Rücksichten vorwalten, die sie gegen
uns zu beobachten sich nicht gezwungen glaubt. Geht die magyarische
Eitelkeit so weit, daß sie sich darauf etwas einbildet, einem englischen
Zeichner zu sitzen? Daß sie lieber von einer englischen Feder Tadel
als von einer deutschen Anerkennung mag? In der That dürfte
dies der Haken sein. Man weiß ja auch, wie viel sich die Magya¬
ren auf eine halbe und schwankende Aehnlichkeit zwischen einigen ver¬
alteten Formen der englischen und der ungarischen Constitution zu
Gute thun. Das ist kleinliche Eitelkeit, nicht männlicher Stolz, wie
er einer tapfern Nation gebührt.

Fragt man einen ungarischen Journalisten nach dem Grunde
dieser Opposition gegen die deutsche Presse, ob denn einige Artikel
in der „Augsburger Allgemeinen" oder in der „Deutschen Allgemei¬
nen" im Stande seien, den Dämon des Mißverständnisses zwischen
zwei Nationalitäten zu wecken, die sich gegenseitig achten lind auf ein¬
ander bauen sollten, so wird er antworten: Eben diese. Die Augs¬
burger Allgemeine ist der Bock Hazacl, auf dessen fluchbeladenes
Haupt alle Schuld geworfen wird. Man wird hier versucht, in ein home¬
risches Gelächter auszubrechen. Wir in Deutschland wenigstens ha¬
ben keinen Begriff von einer Nationalität, die sich in Wolle und
Löschpapier wie ein candirtes Zuckerwerk einhüllen möchte, um nicht
beim ersten Hauche zu zergehen; von einer Nationalkraft, die vor
den Tönen einer papiernen Posaune von Augsburg zusammenzubre¬
chen fürchtet.


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[0481] gesucht haben. Miß Pardoe z. B. versichert in dem allerernstesten Englisch, man hatte gegen den berüchtigten Räuberhauptmann Schobri eine Armee von neunzigtausend Mann aufgeboten, Miß Trollope findet das Rauchen der jungen Männer auf Straßen und Promena¬ den höchst „unschicksam" und dem Teint der Damen höchst „gefähr¬ lich", und füllt mit dergleichen Redseligkeiten ein Buch an, das seinem Titel nach die Besprechung ganz anderer Zustände versprochen hat. John Pagel, der Ungarn aus langjährigem Aufenthalte vortrefflich kannte, entwirft in seinem Buche eine gar traurige Schilderung der dasigen Zustände und für ein fühlendes Magyarenherz muß es sich von Anfang bis zum Ende recht peinlich und niederschlagend lesen lassei,. Dennoch wurden diese Werke mit vielem Interesse und Selbst¬ gefühl angerühmt. Hier zieht die ungarische Presse ganz feine, glatte Glacehandschuhe an, hier läßt sie Rücksichten vorwalten, die sie gegen uns zu beobachten sich nicht gezwungen glaubt. Geht die magyarische Eitelkeit so weit, daß sie sich darauf etwas einbildet, einem englischen Zeichner zu sitzen? Daß sie lieber von einer englischen Feder Tadel als von einer deutschen Anerkennung mag? In der That dürfte dies der Haken sein. Man weiß ja auch, wie viel sich die Magya¬ ren auf eine halbe und schwankende Aehnlichkeit zwischen einigen ver¬ alteten Formen der englischen und der ungarischen Constitution zu Gute thun. Das ist kleinliche Eitelkeit, nicht männlicher Stolz, wie er einer tapfern Nation gebührt. Fragt man einen ungarischen Journalisten nach dem Grunde dieser Opposition gegen die deutsche Presse, ob denn einige Artikel in der „Augsburger Allgemeinen" oder in der „Deutschen Allgemei¬ nen" im Stande seien, den Dämon des Mißverständnisses zwischen zwei Nationalitäten zu wecken, die sich gegenseitig achten lind auf ein¬ ander bauen sollten, so wird er antworten: Eben diese. Die Augs¬ burger Allgemeine ist der Bock Hazacl, auf dessen fluchbeladenes Haupt alle Schuld geworfen wird. Man wird hier versucht, in ein home¬ risches Gelächter auszubrechen. Wir in Deutschland wenigstens ha¬ ben keinen Begriff von einer Nationalität, die sich in Wolle und Löschpapier wie ein candirtes Zuckerwerk einhüllen möchte, um nicht beim ersten Hauche zu zergehen; von einer Nationalkraft, die vor den Tönen einer papiernen Posaune von Augsburg zusammenzubre¬ chen fürchtet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/481>, abgerufen am 09.06.2024.