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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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hets von Rochlitz, die hier leider sehr schlecht repräsentier ward. Wie
die mahnende Ahnfrau des sächsischen Hauses Schreiter sie geisterhaft
durch das Drama und weist darauf hin, daß dieser Stamm nur in
der Hut des neuen Geistes wachsen und gedeihen könne, und nimmer¬
mehr bei einem Anschluß an die spanische Politik. Die Folgezeit hat
es bewiesen, daß blos die beiden Ertreme blühen können und Preußen
dadurch eine europäische Großmacht wurde, weil es die Interessen des
von den sächsischen Fürsten vernachlässigten Protestantismus zu den
seinigen machte. Prutz wurde einstimmig gerufen.

Die Wahl dieses Stückes sowohl, als auch die allbekannten Be¬
mühungen des Herrn von Holbein, die hiesige Hofbühne den modernen
Dramatikern trotz mancher Hindernisse aufzuschließen, widerlegen wohl
am besten die albernen Gerüchte, welche in der jüngsten Zeit in frem¬
den Journalen ausgestreut wurden. Welcher Verständige möchte im
Ernste glauben, Herr von Holbein könne zu dem Recensenten K.....
gesagt haben: Und wären Sie selbst Schiller oder Shakspeare, Ihre
Stücke würden gleichwohl bei der in ihnen ausgesprochenen Gesinnung
nicht gegeben werden? ^ Gewisse Herren können sich ja, wenn sie
anders wirklich so rachelustig sind, an dem Hofburgtheatcr nicht em¬
pfindlicher rächen, als wenn sie ihre zurückgewiesenen Producte andern
Bühnen zuwenden.

In diesen Tagen wurde die zweite Generalversammlung dcSSchutz-
vcreins für entlassene Sträflinge abgehalten, wobei sich ungefähr sechs¬
hundert Personen einfanden, worunter auch eine beträchtliche Anzahl
Damen. Der Leiter des Vereins, der Regierungsrath Graf Barth-
Barthenheim eröffnete die Sitzung mit einer kurzen Rede, worauf der
Rath des Apellationsgerichtes Baron Pratobewera in einer gedrängten
Abhandlung das Verfahren, den Geschäftsgang und die Leistungen der
Vereinsthätigkeit historisch entwickelte. Interessant sind die Ergebnisse
dieses Geschäftsberichtes, insofern sie sich auf die angestellten Besserungs¬
versuche beziehen; der Verein hatte bis jetzt siebenundsechszig Schütz¬
linge unter seine Obhut genommen, von denen zwölf sich eigenmächtig
dem Schutze wieder entzogen, während die andern mehr oder minder
die Bahn der Reue und eines gebesserter Wandels einschlugen. Be¬
zeichnend ist es, daß die zwölf Ungebesserten durchweg dem jugend¬
lichen Alter angehören und jener Klasse liederlicher Dirnen, die in
Begleitung der berüchtigten Strichbuben ihr schändliches Handwerk
ausüben. Daraus kann man sich die Nothwendigkeit einer radicalen
Gefängnißreform in Oesterreich ableiten, denn die Gefängnisse sind
hier wirklich in einem Austande, der noch Vieles zu wünschen übrig
läßt, und doch wäre das Gefängnißwesen gerade diejenige Seite, wo
Sparsamkeit am wenigsten lohnend scheint, denn die gesparten Tau¬
sende müssen durch wachsende Ansprüche an die Kasse der Justizver¬
waltung auf eine andere Weise ausgegeben werden. Das unlängst


hets von Rochlitz, die hier leider sehr schlecht repräsentier ward. Wie
die mahnende Ahnfrau des sächsischen Hauses Schreiter sie geisterhaft
durch das Drama und weist darauf hin, daß dieser Stamm nur in
der Hut des neuen Geistes wachsen und gedeihen könne, und nimmer¬
mehr bei einem Anschluß an die spanische Politik. Die Folgezeit hat
es bewiesen, daß blos die beiden Ertreme blühen können und Preußen
dadurch eine europäische Großmacht wurde, weil es die Interessen des
von den sächsischen Fürsten vernachlässigten Protestantismus zu den
seinigen machte. Prutz wurde einstimmig gerufen.

Die Wahl dieses Stückes sowohl, als auch die allbekannten Be¬
mühungen des Herrn von Holbein, die hiesige Hofbühne den modernen
Dramatikern trotz mancher Hindernisse aufzuschließen, widerlegen wohl
am besten die albernen Gerüchte, welche in der jüngsten Zeit in frem¬
den Journalen ausgestreut wurden. Welcher Verständige möchte im
Ernste glauben, Herr von Holbein könne zu dem Recensenten K.....
gesagt haben: Und wären Sie selbst Schiller oder Shakspeare, Ihre
Stücke würden gleichwohl bei der in ihnen ausgesprochenen Gesinnung
nicht gegeben werden? ^ Gewisse Herren können sich ja, wenn sie
anders wirklich so rachelustig sind, an dem Hofburgtheatcr nicht em¬
pfindlicher rächen, als wenn sie ihre zurückgewiesenen Producte andern
Bühnen zuwenden.

In diesen Tagen wurde die zweite Generalversammlung dcSSchutz-
vcreins für entlassene Sträflinge abgehalten, wobei sich ungefähr sechs¬
hundert Personen einfanden, worunter auch eine beträchtliche Anzahl
Damen. Der Leiter des Vereins, der Regierungsrath Graf Barth-
Barthenheim eröffnete die Sitzung mit einer kurzen Rede, worauf der
Rath des Apellationsgerichtes Baron Pratobewera in einer gedrängten
Abhandlung das Verfahren, den Geschäftsgang und die Leistungen der
Vereinsthätigkeit historisch entwickelte. Interessant sind die Ergebnisse
dieses Geschäftsberichtes, insofern sie sich auf die angestellten Besserungs¬
versuche beziehen; der Verein hatte bis jetzt siebenundsechszig Schütz¬
linge unter seine Obhut genommen, von denen zwölf sich eigenmächtig
dem Schutze wieder entzogen, während die andern mehr oder minder
die Bahn der Reue und eines gebesserter Wandels einschlugen. Be¬
zeichnend ist es, daß die zwölf Ungebesserten durchweg dem jugend¬
lichen Alter angehören und jener Klasse liederlicher Dirnen, die in
Begleitung der berüchtigten Strichbuben ihr schändliches Handwerk
ausüben. Daraus kann man sich die Nothwendigkeit einer radicalen
Gefängnißreform in Oesterreich ableiten, denn die Gefängnisse sind
hier wirklich in einem Austande, der noch Vieles zu wünschen übrig
läßt, und doch wäre das Gefängnißwesen gerade diejenige Seite, wo
Sparsamkeit am wenigsten lohnend scheint, denn die gesparten Tau¬
sende müssen durch wachsende Ansprüche an die Kasse der Justizver¬
waltung auf eine andere Weise ausgegeben werden. Das unlängst


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[0537] hets von Rochlitz, die hier leider sehr schlecht repräsentier ward. Wie die mahnende Ahnfrau des sächsischen Hauses Schreiter sie geisterhaft durch das Drama und weist darauf hin, daß dieser Stamm nur in der Hut des neuen Geistes wachsen und gedeihen könne, und nimmer¬ mehr bei einem Anschluß an die spanische Politik. Die Folgezeit hat es bewiesen, daß blos die beiden Ertreme blühen können und Preußen dadurch eine europäische Großmacht wurde, weil es die Interessen des von den sächsischen Fürsten vernachlässigten Protestantismus zu den seinigen machte. Prutz wurde einstimmig gerufen. Die Wahl dieses Stückes sowohl, als auch die allbekannten Be¬ mühungen des Herrn von Holbein, die hiesige Hofbühne den modernen Dramatikern trotz mancher Hindernisse aufzuschließen, widerlegen wohl am besten die albernen Gerüchte, welche in der jüngsten Zeit in frem¬ den Journalen ausgestreut wurden. Welcher Verständige möchte im Ernste glauben, Herr von Holbein könne zu dem Recensenten K..... gesagt haben: Und wären Sie selbst Schiller oder Shakspeare, Ihre Stücke würden gleichwohl bei der in ihnen ausgesprochenen Gesinnung nicht gegeben werden? ^ Gewisse Herren können sich ja, wenn sie anders wirklich so rachelustig sind, an dem Hofburgtheatcr nicht em¬ pfindlicher rächen, als wenn sie ihre zurückgewiesenen Producte andern Bühnen zuwenden. In diesen Tagen wurde die zweite Generalversammlung dcSSchutz- vcreins für entlassene Sträflinge abgehalten, wobei sich ungefähr sechs¬ hundert Personen einfanden, worunter auch eine beträchtliche Anzahl Damen. Der Leiter des Vereins, der Regierungsrath Graf Barth- Barthenheim eröffnete die Sitzung mit einer kurzen Rede, worauf der Rath des Apellationsgerichtes Baron Pratobewera in einer gedrängten Abhandlung das Verfahren, den Geschäftsgang und die Leistungen der Vereinsthätigkeit historisch entwickelte. Interessant sind die Ergebnisse dieses Geschäftsberichtes, insofern sie sich auf die angestellten Besserungs¬ versuche beziehen; der Verein hatte bis jetzt siebenundsechszig Schütz¬ linge unter seine Obhut genommen, von denen zwölf sich eigenmächtig dem Schutze wieder entzogen, während die andern mehr oder minder die Bahn der Reue und eines gebesserter Wandels einschlugen. Be¬ zeichnend ist es, daß die zwölf Ungebesserten durchweg dem jugend¬ lichen Alter angehören und jener Klasse liederlicher Dirnen, die in Begleitung der berüchtigten Strichbuben ihr schändliches Handwerk ausüben. Daraus kann man sich die Nothwendigkeit einer radicalen Gefängnißreform in Oesterreich ableiten, denn die Gefängnisse sind hier wirklich in einem Austande, der noch Vieles zu wünschen übrig läßt, und doch wäre das Gefängnißwesen gerade diejenige Seite, wo Sparsamkeit am wenigsten lohnend scheint, denn die gesparten Tau¬ sende müssen durch wachsende Ansprüche an die Kasse der Justizver¬ waltung auf eine andere Weise ausgegeben werden. Das unlängst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/537>, abgerufen am 17.06.2024.