Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

Bild:
<< vorherige Seite

wurden durch ihre Erzählung allarmirt und wendeten sich an die Re¬
gierung mit den dringendsten Klagen, daß Madame Weiß keinen Eon-
tract und kein Recht habe, ihre Kinder so weit fortzuschleppen, und
daß man sie daher anhalten möge, die Mädchen wieder ihren Eltern
zurückzustellen. In Brüssel schlüpfte Mad. Weiß noch durch, aber
hier, wo mittlerweile neue und drängendere Reclamationen an die
öfter. Gesandtschaft eingelaufen waren, schrieb Graf Appony an den
Minister des Innern und verlangte, daß die Passe der Mad. Weiß
nicht nach London, wie sie verlangte, sondern zurück nach Wien visirt
werden. Der Minister schrieb hierauf an Graf Appony zurück, daß
ihm das französische Gesetz nicht gestatte, einem Reisenden seinen beab¬
sichtigten Weg abzuschneiden, wenn nicht entscheidende Motive zu
Grunde liegen. Der österreichische Gesandte schickte hierauf dem Mi¬
nister die Reclamationen der Eltern zu, worin Mad. Weiß als eine
Entführerin dieser Kinder geschildert wird, da ihr dieselben blos zu
einem Ausflug nach Deutschland für den Sommer, keineswegs aber
auf so weite und anstrengende Reisen anvertraut wurden, die sie aller
Beaufsichtigung entziehen. Der Minister hat darauf sogleich die Aus¬
fertigung des Passes der Mad. Weiß verweigert. Zum Ueberflusse
sind noch drei Vater aus Wien angelangt, mit Vollmachten versehen,
ihre eigenen Kinder und mehrere andere zurückzuführen. Wie groß
muß die Besorgnis; dieser armen Leute sein, wenn sie diese kostspielige
Reise antraten; denn die Eltern, die ihre Madchen diesem Handwerke
Hingaben, sind natürlich keine Millionäre. Aus diesem Allen können
Sie ersehen, daß Mad. Weiß kein politisches Märtyrthum zu bestehen
hatte, wie mehrere Blatter sogleich aufschrien. Leider sind einige
andere Personen, die sich jetzt wegen ihrer Ausweisung aus Frankreich
in eigenhändig verfaßten Correspondenzartikeln als politische Märtyrer
hinstellen, auch nicht viel heiliger als die Wiener Balletunternehmerin.
Der Einzige, dem Unrecht geschehen, ist Marr, der übrigens keine
Schritte gethan hat. Dagegen ist gegen die Ausweisung des Herrn von
Bornstedt Nichts zu sagen, da er selbst in den Augen der radicalstcn
Männer sein Schicksal verdient hat. Herr von B. wird allgemein als
der Verfasser jener Skandalartikel in dem Corsaire-Satan genannt,
die unter der Ueberschrift ^an-Il-l- <I>.'8 ^all.-issiulus das häusliche
Leben und die Privacverhältnisse sämmtlicher hiesiger deutschen Ge¬
sandten in einer Weise schilderte, die weder eine liberale noch eine
sonstige Tendenz hatte, nur die: Skandal zu erregen. Oder ist viel¬
leicht irgend einer Partei damit gedient, wenn Herr v. B. von dem
wackern freisinnigen General Fleischmann (dem würtembergischen Ge¬
sandten) erzählt, daß er früher Tenorist gewesen und daß er dieses
oder jenes Privatabenteuer bestanden, welches mit seiner jetzigen Würde
nicht in Einklang steht? Deutschland genießt hier eben keiner beson¬
dern Achtung : wem dient man damit und welche Art von Patriotin


wurden durch ihre Erzählung allarmirt und wendeten sich an die Re¬
gierung mit den dringendsten Klagen, daß Madame Weiß keinen Eon-
tract und kein Recht habe, ihre Kinder so weit fortzuschleppen, und
daß man sie daher anhalten möge, die Mädchen wieder ihren Eltern
zurückzustellen. In Brüssel schlüpfte Mad. Weiß noch durch, aber
hier, wo mittlerweile neue und drängendere Reclamationen an die
öfter. Gesandtschaft eingelaufen waren, schrieb Graf Appony an den
Minister des Innern und verlangte, daß die Passe der Mad. Weiß
nicht nach London, wie sie verlangte, sondern zurück nach Wien visirt
werden. Der Minister schrieb hierauf an Graf Appony zurück, daß
ihm das französische Gesetz nicht gestatte, einem Reisenden seinen beab¬
sichtigten Weg abzuschneiden, wenn nicht entscheidende Motive zu
Grunde liegen. Der österreichische Gesandte schickte hierauf dem Mi¬
nister die Reclamationen der Eltern zu, worin Mad. Weiß als eine
Entführerin dieser Kinder geschildert wird, da ihr dieselben blos zu
einem Ausflug nach Deutschland für den Sommer, keineswegs aber
auf so weite und anstrengende Reisen anvertraut wurden, die sie aller
Beaufsichtigung entziehen. Der Minister hat darauf sogleich die Aus¬
fertigung des Passes der Mad. Weiß verweigert. Zum Ueberflusse
sind noch drei Vater aus Wien angelangt, mit Vollmachten versehen,
ihre eigenen Kinder und mehrere andere zurückzuführen. Wie groß
muß die Besorgnis; dieser armen Leute sein, wenn sie diese kostspielige
Reise antraten; denn die Eltern, die ihre Madchen diesem Handwerke
Hingaben, sind natürlich keine Millionäre. Aus diesem Allen können
Sie ersehen, daß Mad. Weiß kein politisches Märtyrthum zu bestehen
hatte, wie mehrere Blatter sogleich aufschrien. Leider sind einige
andere Personen, die sich jetzt wegen ihrer Ausweisung aus Frankreich
in eigenhändig verfaßten Correspondenzartikeln als politische Märtyrer
hinstellen, auch nicht viel heiliger als die Wiener Balletunternehmerin.
Der Einzige, dem Unrecht geschehen, ist Marr, der übrigens keine
Schritte gethan hat. Dagegen ist gegen die Ausweisung des Herrn von
Bornstedt Nichts zu sagen, da er selbst in den Augen der radicalstcn
Männer sein Schicksal verdient hat. Herr von B. wird allgemein als
der Verfasser jener Skandalartikel in dem Corsaire-Satan genannt,
die unter der Ueberschrift ^an-Il-l- <I>.'8 ^all.-issiulus das häusliche
Leben und die Privacverhältnisse sämmtlicher hiesiger deutschen Ge¬
sandten in einer Weise schilderte, die weder eine liberale noch eine
sonstige Tendenz hatte, nur die: Skandal zu erregen. Oder ist viel¬
leicht irgend einer Partei damit gedient, wenn Herr v. B. von dem
wackern freisinnigen General Fleischmann (dem würtembergischen Ge¬
sandten) erzählt, daß er früher Tenorist gewesen und daß er dieses
oder jenes Privatabenteuer bestanden, welches mit seiner jetzigen Würde
nicht in Einklang steht? Deutschland genießt hier eben keiner beson¬
dern Achtung : wem dient man damit und welche Art von Patriotin


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0577" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/269992"/>
            <p xml:id="ID_1655" prev="#ID_1654" next="#ID_1656"> wurden durch ihre Erzählung allarmirt und wendeten sich an die Re¬<lb/>
gierung mit den dringendsten Klagen, daß Madame Weiß keinen Eon-<lb/>
tract und kein Recht habe, ihre Kinder so weit fortzuschleppen, und<lb/>
daß man sie daher anhalten möge, die Mädchen wieder ihren Eltern<lb/>
zurückzustellen. In Brüssel schlüpfte Mad. Weiß noch durch, aber<lb/>
hier, wo mittlerweile neue und drängendere Reclamationen an die<lb/>
öfter. Gesandtschaft eingelaufen waren, schrieb Graf Appony an den<lb/>
Minister des Innern und verlangte, daß die Passe der Mad. Weiß<lb/>
nicht nach London, wie sie verlangte, sondern zurück nach Wien visirt<lb/>
werden. Der Minister schrieb hierauf an Graf Appony zurück, daß<lb/>
ihm das französische Gesetz nicht gestatte, einem Reisenden seinen beab¬<lb/>
sichtigten Weg abzuschneiden, wenn nicht entscheidende Motive zu<lb/>
Grunde liegen. Der österreichische Gesandte schickte hierauf dem Mi¬<lb/>
nister die Reclamationen der Eltern zu, worin Mad. Weiß als eine<lb/>
Entführerin dieser Kinder geschildert wird, da ihr dieselben blos zu<lb/>
einem Ausflug nach Deutschland für den Sommer, keineswegs aber<lb/>
auf so weite und anstrengende Reisen anvertraut wurden, die sie aller<lb/>
Beaufsichtigung entziehen. Der Minister hat darauf sogleich die Aus¬<lb/>
fertigung des Passes der Mad. Weiß verweigert. Zum Ueberflusse<lb/>
sind noch drei Vater aus Wien angelangt, mit Vollmachten versehen,<lb/>
ihre eigenen Kinder und mehrere andere zurückzuführen. Wie groß<lb/>
muß die Besorgnis; dieser armen Leute sein, wenn sie diese kostspielige<lb/>
Reise antraten; denn die Eltern, die ihre Madchen diesem Handwerke<lb/>
Hingaben, sind natürlich keine Millionäre. Aus diesem Allen können<lb/>
Sie ersehen, daß Mad. Weiß kein politisches Märtyrthum zu bestehen<lb/>
hatte, wie mehrere Blatter sogleich aufschrien. Leider sind einige<lb/>
andere Personen, die sich jetzt wegen ihrer Ausweisung aus Frankreich<lb/>
in eigenhändig verfaßten Correspondenzartikeln als politische Märtyrer<lb/>
hinstellen, auch nicht viel heiliger als die Wiener Balletunternehmerin.<lb/>
Der Einzige, dem Unrecht geschehen, ist Marr, der übrigens keine<lb/>
Schritte gethan hat. Dagegen ist gegen die Ausweisung des Herrn von<lb/>
Bornstedt Nichts zu sagen, da er selbst in den Augen der radicalstcn<lb/>
Männer sein Schicksal verdient hat. Herr von B. wird allgemein als<lb/>
der Verfasser jener Skandalartikel in dem Corsaire-Satan genannt,<lb/>
die unter der Ueberschrift ^an-Il-l- &lt;I&gt;.'8 ^all.-issiulus das häusliche<lb/>
Leben und die Privacverhältnisse sämmtlicher hiesiger deutschen Ge¬<lb/>
sandten in einer Weise schilderte, die weder eine liberale noch eine<lb/>
sonstige Tendenz hatte, nur die: Skandal zu erregen. Oder ist viel¬<lb/>
leicht irgend einer Partei damit gedient, wenn Herr v. B. von dem<lb/>
wackern freisinnigen General Fleischmann (dem würtembergischen Ge¬<lb/>
sandten) erzählt, daß er früher Tenorist gewesen und daß er dieses<lb/>
oder jenes Privatabenteuer bestanden, welches mit seiner jetzigen Würde<lb/>
nicht in Einklang steht? Deutschland genießt hier eben keiner beson¬<lb/>
dern Achtung : wem dient man damit und welche Art von Patriotin</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0577] wurden durch ihre Erzählung allarmirt und wendeten sich an die Re¬ gierung mit den dringendsten Klagen, daß Madame Weiß keinen Eon- tract und kein Recht habe, ihre Kinder so weit fortzuschleppen, und daß man sie daher anhalten möge, die Mädchen wieder ihren Eltern zurückzustellen. In Brüssel schlüpfte Mad. Weiß noch durch, aber hier, wo mittlerweile neue und drängendere Reclamationen an die öfter. Gesandtschaft eingelaufen waren, schrieb Graf Appony an den Minister des Innern und verlangte, daß die Passe der Mad. Weiß nicht nach London, wie sie verlangte, sondern zurück nach Wien visirt werden. Der Minister schrieb hierauf an Graf Appony zurück, daß ihm das französische Gesetz nicht gestatte, einem Reisenden seinen beab¬ sichtigten Weg abzuschneiden, wenn nicht entscheidende Motive zu Grunde liegen. Der österreichische Gesandte schickte hierauf dem Mi¬ nister die Reclamationen der Eltern zu, worin Mad. Weiß als eine Entführerin dieser Kinder geschildert wird, da ihr dieselben blos zu einem Ausflug nach Deutschland für den Sommer, keineswegs aber auf so weite und anstrengende Reisen anvertraut wurden, die sie aller Beaufsichtigung entziehen. Der Minister hat darauf sogleich die Aus¬ fertigung des Passes der Mad. Weiß verweigert. Zum Ueberflusse sind noch drei Vater aus Wien angelangt, mit Vollmachten versehen, ihre eigenen Kinder und mehrere andere zurückzuführen. Wie groß muß die Besorgnis; dieser armen Leute sein, wenn sie diese kostspielige Reise antraten; denn die Eltern, die ihre Madchen diesem Handwerke Hingaben, sind natürlich keine Millionäre. Aus diesem Allen können Sie ersehen, daß Mad. Weiß kein politisches Märtyrthum zu bestehen hatte, wie mehrere Blatter sogleich aufschrien. Leider sind einige andere Personen, die sich jetzt wegen ihrer Ausweisung aus Frankreich in eigenhändig verfaßten Correspondenzartikeln als politische Märtyrer hinstellen, auch nicht viel heiliger als die Wiener Balletunternehmerin. Der Einzige, dem Unrecht geschehen, ist Marr, der übrigens keine Schritte gethan hat. Dagegen ist gegen die Ausweisung des Herrn von Bornstedt Nichts zu sagen, da er selbst in den Augen der radicalstcn Männer sein Schicksal verdient hat. Herr von B. wird allgemein als der Verfasser jener Skandalartikel in dem Corsaire-Satan genannt, die unter der Ueberschrift ^an-Il-l- <I>.'8 ^all.-issiulus das häusliche Leben und die Privacverhältnisse sämmtlicher hiesiger deutschen Ge¬ sandten in einer Weise schilderte, die weder eine liberale noch eine sonstige Tendenz hatte, nur die: Skandal zu erregen. Oder ist viel¬ leicht irgend einer Partei damit gedient, wenn Herr v. B. von dem wackern freisinnigen General Fleischmann (dem würtembergischen Ge¬ sandten) erzählt, daß er früher Tenorist gewesen und daß er dieses oder jenes Privatabenteuer bestanden, welches mit seiner jetzigen Würde nicht in Einklang steht? Deutschland genießt hier eben keiner beson¬ dern Achtung : wem dient man damit und welche Art von Patriotin

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/577
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/577>, abgerufen am 17.06.2024.