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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester.

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bilden. Die Wirthe besitzen hier noch zu wenig jene Kunst, die schon
Ludwig Börne für die seltenste und schwerste erkannte und welche
darin besteht, daß liebenswürdige Leute in ihrem Hause auch ihre Gäste
liebenswürdig zu machen wissen. Die Hauptschwierigkeit hier liegt,
wie mir eine geistreiche Dame erklärt hat, in der Aengstlichkeit, mit
welcher der Herr oder die Frau des Hauses in Deutschland gezwungen
sind, auf Küche und Keller zu sehen. Die Dehors dieser beiden sind
lästiger als die des Salons. In Frankreich wird wenig Werth dar¬
auf gelegt, in Deutschland umgekehrt, weil die Deutschen nur lie¬
benswürdig sind, wenn sie gut gegessen haben. Sie sind wie Lud¬
wig Tiecks Kaiser Abraham Tonelli der Meinung, daß man gute Laune
und Witz für die Tischzeit aufheben müsse, weil beides außerdem weg¬
geworfen sei. Ist bei Tisch nun irgend etwas verfehlt, schloß meine
gracieuse Docentin, so ist Alles verloren, denn die aufgesparte gute
Laune und der gesammelte Witz sterben am Mißbehagen des Magens
hin. -- Und es ist in der That erstaunenswerth, wie wenig angenehm
man sich in Berlin in den Zirkeln zu bewegen weiß. Leute, die man
als liebenswürdig unter vier Augen kennt, sieht man nicht selten
linkisch und einsilbig in der Gesellschaft. Freilich ist der Deutsche auch
nur liebenswürdig, wenn er herzlich werden kann.

An den Ausnahmen in gesellschaftlicher Beziehung gehört das
Haus des englischen Gesandten, des Grafen Westmorland. Abge¬
sehen von den interessanten Konzerten, die er zu veranstalten weiß, hat
er neulich auch einen Kinderball gegeben, auf welchem die kleinen Gäste
in historischen und theatralischen Kostümen erscheinen mußten. Man
sah dort unter andern einen kleinen Falstaff, eine kleine Maria Stu-
art, einen kleinen Alexander den Großen.

Die Gesellschaft der Aristokratie der Geistreichen verlor
durch den Tod Henrich Steffens eines ihrer Häupter und den Mann,
der sie mit der oben gegebenen Bezeichnung creirt hat. In ihr ist er bis
zum letzten Augenblick bedeutsam gewesen, weniger war er es für die
Wissenschaft, der er nur zu Anfang seines Auftretens neue und wich¬
tige Elemente zuzuführen verstanden hatte. Selten aber wird einem
Menschen vom Schicksal verstattet, sich in dem Maße auszuleben, als
es ihm vergönnt gewesen ist. Rührend ist es, daß er selbst dies em¬
pfunden und kurz vor seinem Tode, nachdem er den letzten Band sei¬
nes Werkes "Was ich erlebte" vollendet, die Aeußerung that: ich weiß
eigentlich nun nicht mehr, was ich auf Erden soll, da ich mit meinem
Leben so ganz vollständig fertig geworden bin. -- Seine hinterlassene
Frau und Tochter, hör' ich, werden sich der Häuslichkeit Ludwig
Tieck's anschließen und mit diesem jetzt eine Familie ausmachen.
'

Der Blaubart Ludwig Tiecks, der zu Anfang dieses Monats
auf der königlichen Bühne zur Aufführung gekommen ist, hat nur in
seinen beiden letzten Akten, und dies auch nur des vortrefflichen Spie-


bilden. Die Wirthe besitzen hier noch zu wenig jene Kunst, die schon
Ludwig Börne für die seltenste und schwerste erkannte und welche
darin besteht, daß liebenswürdige Leute in ihrem Hause auch ihre Gäste
liebenswürdig zu machen wissen. Die Hauptschwierigkeit hier liegt,
wie mir eine geistreiche Dame erklärt hat, in der Aengstlichkeit, mit
welcher der Herr oder die Frau des Hauses in Deutschland gezwungen
sind, auf Küche und Keller zu sehen. Die Dehors dieser beiden sind
lästiger als die des Salons. In Frankreich wird wenig Werth dar¬
auf gelegt, in Deutschland umgekehrt, weil die Deutschen nur lie¬
benswürdig sind, wenn sie gut gegessen haben. Sie sind wie Lud¬
wig Tiecks Kaiser Abraham Tonelli der Meinung, daß man gute Laune
und Witz für die Tischzeit aufheben müsse, weil beides außerdem weg¬
geworfen sei. Ist bei Tisch nun irgend etwas verfehlt, schloß meine
gracieuse Docentin, so ist Alles verloren, denn die aufgesparte gute
Laune und der gesammelte Witz sterben am Mißbehagen des Magens
hin. — Und es ist in der That erstaunenswerth, wie wenig angenehm
man sich in Berlin in den Zirkeln zu bewegen weiß. Leute, die man
als liebenswürdig unter vier Augen kennt, sieht man nicht selten
linkisch und einsilbig in der Gesellschaft. Freilich ist der Deutsche auch
nur liebenswürdig, wenn er herzlich werden kann.

An den Ausnahmen in gesellschaftlicher Beziehung gehört das
Haus des englischen Gesandten, des Grafen Westmorland. Abge¬
sehen von den interessanten Konzerten, die er zu veranstalten weiß, hat
er neulich auch einen Kinderball gegeben, auf welchem die kleinen Gäste
in historischen und theatralischen Kostümen erscheinen mußten. Man
sah dort unter andern einen kleinen Falstaff, eine kleine Maria Stu-
art, einen kleinen Alexander den Großen.

Die Gesellschaft der Aristokratie der Geistreichen verlor
durch den Tod Henrich Steffens eines ihrer Häupter und den Mann,
der sie mit der oben gegebenen Bezeichnung creirt hat. In ihr ist er bis
zum letzten Augenblick bedeutsam gewesen, weniger war er es für die
Wissenschaft, der er nur zu Anfang seines Auftretens neue und wich¬
tige Elemente zuzuführen verstanden hatte. Selten aber wird einem
Menschen vom Schicksal verstattet, sich in dem Maße auszuleben, als
es ihm vergönnt gewesen ist. Rührend ist es, daß er selbst dies em¬
pfunden und kurz vor seinem Tode, nachdem er den letzten Band sei¬
nes Werkes „Was ich erlebte" vollendet, die Aeußerung that: ich weiß
eigentlich nun nicht mehr, was ich auf Erden soll, da ich mit meinem
Leben so ganz vollständig fertig geworden bin. — Seine hinterlassene
Frau und Tochter, hör' ich, werden sich der Häuslichkeit Ludwig
Tieck's anschließen und mit diesem jetzt eine Familie ausmachen.
'

Der Blaubart Ludwig Tiecks, der zu Anfang dieses Monats
auf der königlichen Bühne zur Aufführung gekommen ist, hat nur in
seinen beiden letzten Akten, und dies auch nur des vortrefflichen Spie-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_269416/583>, abgerufen am 17.06.2024.