Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

jene verschlossenen Thüren brächte?! Ich winkte unscheinbar jenem
spekulativen Kopfe. Wir näherten uns einander unscheinbar. Wer
ich sei? Ein Mann vom Metier, der die Coulissen und die Her¬
ren derselben kennt. Umsonst! Es sei Benefiz, Niemand vom Thea¬
ter habe einen freien Platz, auch nicht ein erster Tenor, für den er
mich halten mochte. Die Aufgabe war, von ihm zu erfahren, wer
hier in den Vorhallen die letzte Instanz sei -- "Der Herr Inspek¬
tor!" und ob er mich bis vor dessen Angesicht führen könne? --
"Nicht leicht!" -- Aber er führte mich. Da saßen in einem schma¬
len Stübchen drei Herren, die mir wie Vehmrichter vorkamen. Der
mittelste hatte einen Schnurrbart und führte das Wort gegen eine
weinende Dame, welche auf irgend eine Weise mit ihrem Billet ver¬
unglückt war. Dies war offenbar der Herr Inspektor. Das Wort
war trostlos, aber höflich, und wurde in wohlgeordneten, wohlge¬
sprochenem Deutsch gegeben. Dies ermuthigte mich. Wo Logik und
Sinn für deutsche Sprache wohnt, da glaubte ich Aussicht zu haben.
Dennoch erschrack ich, als er sich an mich wendete mit der kühlen
Frage: "Was wünschen Sie?" -- Ich sammelte mich, und hielt
eine Rede', die damit anfing, daß ich keine Berechtigung hätte, und
die mit Schweden und der Anhalt'schen Eisenbahn endete. Die Rede
wurde ruhig angehört, hatte aber keinen Erfolg. Nun blieb Nichts
mehr übrig, als meinen Ueberrock aufzuknöpfen, und den matten
Stern eines deutschen Schriftstellers und Theaterdichters zu enthüllen,
der in Amtsgeschäften nach Berlin komme. Es war sehr fraglich,
ob man hier an der uns feindlichen Oper irgend Kenntniß von der
Schriftstellerei haben und irgend Notiz nehmen werde. Zu meiner
angenehmen Ueberraschung war dies der Fall: der Herr Inspektor
begrüßte mich sehr liebenswürdig, schloß aber mit dem Bedauern,
daß er mir nicht helfen könne. Nun schien Alles verloren. Ich faßte
mich zu dem Entschlüsse, ihm Zeit zu lassen. Ich blieb wie ange¬
nagelt stehen, damit er sich besinnen könne. Umsonst. Er besann
sich nicht. Ich mußte an den Abschied denken. Vielleicht half da
noch eine elegische Wendung. Ich fand sie, und -- sie half. "Ja,
wenn ich Ihnen," sagte er verbindlich, "anbieten dürste" -- Sie
dürfen Alles -- "Ein Billet zum" -- Paradies! Ich suche das Pa¬
radies! -- "Nein, zum Parterre, dies ist nicht übervoll" -- Mein
Gott, und ich bin schlank! --


jene verschlossenen Thüren brächte?! Ich winkte unscheinbar jenem
spekulativen Kopfe. Wir näherten uns einander unscheinbar. Wer
ich sei? Ein Mann vom Metier, der die Coulissen und die Her¬
ren derselben kennt. Umsonst! Es sei Benefiz, Niemand vom Thea¬
ter habe einen freien Platz, auch nicht ein erster Tenor, für den er
mich halten mochte. Die Aufgabe war, von ihm zu erfahren, wer
hier in den Vorhallen die letzte Instanz sei — „Der Herr Inspek¬
tor!" und ob er mich bis vor dessen Angesicht führen könne? —
„Nicht leicht!" — Aber er führte mich. Da saßen in einem schma¬
len Stübchen drei Herren, die mir wie Vehmrichter vorkamen. Der
mittelste hatte einen Schnurrbart und führte das Wort gegen eine
weinende Dame, welche auf irgend eine Weise mit ihrem Billet ver¬
unglückt war. Dies war offenbar der Herr Inspektor. Das Wort
war trostlos, aber höflich, und wurde in wohlgeordneten, wohlge¬
sprochenem Deutsch gegeben. Dies ermuthigte mich. Wo Logik und
Sinn für deutsche Sprache wohnt, da glaubte ich Aussicht zu haben.
Dennoch erschrack ich, als er sich an mich wendete mit der kühlen
Frage: „Was wünschen Sie?" — Ich sammelte mich, und hielt
eine Rede', die damit anfing, daß ich keine Berechtigung hätte, und
die mit Schweden und der Anhalt'schen Eisenbahn endete. Die Rede
wurde ruhig angehört, hatte aber keinen Erfolg. Nun blieb Nichts
mehr übrig, als meinen Ueberrock aufzuknöpfen, und den matten
Stern eines deutschen Schriftstellers und Theaterdichters zu enthüllen,
der in Amtsgeschäften nach Berlin komme. Es war sehr fraglich,
ob man hier an der uns feindlichen Oper irgend Kenntniß von der
Schriftstellerei haben und irgend Notiz nehmen werde. Zu meiner
angenehmen Ueberraschung war dies der Fall: der Herr Inspektor
begrüßte mich sehr liebenswürdig, schloß aber mit dem Bedauern,
daß er mir nicht helfen könne. Nun schien Alles verloren. Ich faßte
mich zu dem Entschlüsse, ihm Zeit zu lassen. Ich blieb wie ange¬
nagelt stehen, damit er sich besinnen könne. Umsonst. Er besann
sich nicht. Ich mußte an den Abschied denken. Vielleicht half da
noch eine elegische Wendung. Ich fand sie, und — sie half. „Ja,
wenn ich Ihnen," sagte er verbindlich, „anbieten dürste" — Sie
dürfen Alles — „Ein Billet zum" — Paradies! Ich suche das Pa¬
radies! — „Nein, zum Parterre, dies ist nicht übervoll" — Mein
Gott, und ich bin schlank! —


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0110" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/270169"/>
            <p xml:id="ID_242" prev="#ID_241"> jene verschlossenen Thüren brächte?! Ich winkte unscheinbar jenem<lb/>
spekulativen Kopfe. Wir näherten uns einander unscheinbar. Wer<lb/>
ich sei? Ein Mann vom Metier, der die Coulissen und die Her¬<lb/>
ren derselben kennt. Umsonst! Es sei Benefiz, Niemand vom Thea¬<lb/>
ter habe einen freien Platz, auch nicht ein erster Tenor, für den er<lb/>
mich halten mochte. Die Aufgabe war, von ihm zu erfahren, wer<lb/>
hier in den Vorhallen die letzte Instanz sei &#x2014; &#x201E;Der Herr Inspek¬<lb/>
tor!" und ob er mich bis vor dessen Angesicht führen könne? &#x2014;<lb/>
&#x201E;Nicht leicht!" &#x2014; Aber er führte mich. Da saßen in einem schma¬<lb/>
len Stübchen drei Herren, die mir wie Vehmrichter vorkamen. Der<lb/>
mittelste hatte einen Schnurrbart und führte das Wort gegen eine<lb/>
weinende Dame, welche auf irgend eine Weise mit ihrem Billet ver¬<lb/>
unglückt war. Dies war offenbar der Herr Inspektor. Das Wort<lb/>
war trostlos, aber höflich, und wurde in wohlgeordneten, wohlge¬<lb/>
sprochenem Deutsch gegeben. Dies ermuthigte mich. Wo Logik und<lb/>
Sinn für deutsche Sprache wohnt, da glaubte ich Aussicht zu haben.<lb/>
Dennoch erschrack ich, als er sich an mich wendete mit der kühlen<lb/>
Frage: &#x201E;Was wünschen Sie?" &#x2014; Ich sammelte mich, und hielt<lb/>
eine Rede', die damit anfing, daß ich keine Berechtigung hätte, und<lb/>
die mit Schweden und der Anhalt'schen Eisenbahn endete. Die Rede<lb/>
wurde ruhig angehört, hatte aber keinen Erfolg. Nun blieb Nichts<lb/>
mehr übrig, als meinen Ueberrock aufzuknöpfen, und den matten<lb/>
Stern eines deutschen Schriftstellers und Theaterdichters zu enthüllen,<lb/>
der in Amtsgeschäften nach Berlin komme. Es war sehr fraglich,<lb/>
ob man hier an der uns feindlichen Oper irgend Kenntniß von der<lb/>
Schriftstellerei haben und irgend Notiz nehmen werde. Zu meiner<lb/>
angenehmen Ueberraschung war dies der Fall: der Herr Inspektor<lb/>
begrüßte mich sehr liebenswürdig, schloß aber mit dem Bedauern,<lb/>
daß er mir nicht helfen könne. Nun schien Alles verloren. Ich faßte<lb/>
mich zu dem Entschlüsse, ihm Zeit zu lassen. Ich blieb wie ange¬<lb/>
nagelt stehen, damit er sich besinnen könne. Umsonst. Er besann<lb/>
sich nicht. Ich mußte an den Abschied denken. Vielleicht half da<lb/>
noch eine elegische Wendung. Ich fand sie, und &#x2014; sie half. &#x201E;Ja,<lb/>
wenn ich Ihnen," sagte er verbindlich, &#x201E;anbieten dürste" &#x2014; Sie<lb/>
dürfen Alles &#x2014; &#x201E;Ein Billet zum" &#x2014; Paradies! Ich suche das Pa¬<lb/>
radies! &#x2014; &#x201E;Nein, zum Parterre, dies ist nicht übervoll" &#x2014; Mein<lb/>
Gott, und ich bin schlank! &#x2014;</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0110] jene verschlossenen Thüren brächte?! Ich winkte unscheinbar jenem spekulativen Kopfe. Wir näherten uns einander unscheinbar. Wer ich sei? Ein Mann vom Metier, der die Coulissen und die Her¬ ren derselben kennt. Umsonst! Es sei Benefiz, Niemand vom Thea¬ ter habe einen freien Platz, auch nicht ein erster Tenor, für den er mich halten mochte. Die Aufgabe war, von ihm zu erfahren, wer hier in den Vorhallen die letzte Instanz sei — „Der Herr Inspek¬ tor!" und ob er mich bis vor dessen Angesicht führen könne? — „Nicht leicht!" — Aber er führte mich. Da saßen in einem schma¬ len Stübchen drei Herren, die mir wie Vehmrichter vorkamen. Der mittelste hatte einen Schnurrbart und führte das Wort gegen eine weinende Dame, welche auf irgend eine Weise mit ihrem Billet ver¬ unglückt war. Dies war offenbar der Herr Inspektor. Das Wort war trostlos, aber höflich, und wurde in wohlgeordneten, wohlge¬ sprochenem Deutsch gegeben. Dies ermuthigte mich. Wo Logik und Sinn für deutsche Sprache wohnt, da glaubte ich Aussicht zu haben. Dennoch erschrack ich, als er sich an mich wendete mit der kühlen Frage: „Was wünschen Sie?" — Ich sammelte mich, und hielt eine Rede', die damit anfing, daß ich keine Berechtigung hätte, und die mit Schweden und der Anhalt'schen Eisenbahn endete. Die Rede wurde ruhig angehört, hatte aber keinen Erfolg. Nun blieb Nichts mehr übrig, als meinen Ueberrock aufzuknöpfen, und den matten Stern eines deutschen Schriftstellers und Theaterdichters zu enthüllen, der in Amtsgeschäften nach Berlin komme. Es war sehr fraglich, ob man hier an der uns feindlichen Oper irgend Kenntniß von der Schriftstellerei haben und irgend Notiz nehmen werde. Zu meiner angenehmen Ueberraschung war dies der Fall: der Herr Inspektor begrüßte mich sehr liebenswürdig, schloß aber mit dem Bedauern, daß er mir nicht helfen könne. Nun schien Alles verloren. Ich faßte mich zu dem Entschlüsse, ihm Zeit zu lassen. Ich blieb wie ange¬ nagelt stehen, damit er sich besinnen könne. Umsonst. Er besann sich nicht. Ich mußte an den Abschied denken. Vielleicht half da noch eine elegische Wendung. Ich fand sie, und — sie half. „Ja, wenn ich Ihnen," sagte er verbindlich, „anbieten dürste" — Sie dürfen Alles — „Ein Billet zum" — Paradies! Ich suche das Pa¬ radies! — „Nein, zum Parterre, dies ist nicht übervoll" — Mein Gott, und ich bin schlank! —

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/110
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/110>, abgerufen am 20.05.2024.