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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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Auch die zahlreichen Gasthäuser im Weichbild der Stadt werden meist
nur von Wienern bei Ausflügen besucht, und namentlich ragt unter
diesen Orten Neulerchenfeld hervor, wo beinahe alle Häuser Wirths¬
häuser sind, in denen allein ein Viertheil der ganzen hiesigen Bier-
production vertilgt wird. Zwei der bedeutendsten Brauhauser erzeugen
monatlich jedes 8000 Eimer; die Braukncchtc sind gut bezahlte Ar¬
beiter, indem die regsten unter ihnen außer ihrer Verköstigung monat¬
lich noch 50 si., die andern aber 15 -- 20 si. C.-M. erhalten. Der
Staatsschatz aber bezieht aus diesem Gewerbe in der Hauptstadt allein
über eine Million Gulden, denn in dem genannten Jahre belief sich
das Totalsteucrerträgniß der sämmtlichen Brauereien auf 1,374,329 si.
22 Kr. C.-M. Sucht man sich diese amtliche Ziffer im Wege der
Analogie in Bezug auf die übrigen großem Städte und ganzen Pro¬
vinzen zu erweitern, so wird man finden, daß die 22 Millionen,
welche die Accise jährlich abwirft, einen sehr bedeutenden Factor im
altgermanischen Gerstensäfte besitzen.

Im Josephstädter Theater ist die Oper des an dieser Bühne an¬
gestellten Kapellmeisters Titi"Das Wolkenkind," mit großem Beifall
aufgenommen worden. Der noch jugendliche Componist ist von Ge¬
burt ein Böhme, wie denn überhaupt die meisten Tonkünstler und
Tondichter Oesterreichs aus diesem klang- und sangreichen Lande her¬
stammen. Titi hatte gleich vielen angebornen Talenten eine mühe¬
volle Jugend durchzukämpfen, bis er endlich als Kapellmeister bei dem
in Prag garnifonirenom Regiment Latour eine feste Stellung erhielt
und diese sogleich benutzte, um sich einen klingenden Namen zu er¬
werben. Die Composttion des Gedichtes: "Nächtliche Heerschau,"
war es besonders, welche ihm schnell einen sehr bedeutenden Ruf er¬
rang und in der That hört man die schauerlichen Weisen dieser ori¬
ginellen Tondichtung an den Ufern der Newa, wie an dem Gestade
der Seine ertönen, und überall wird ihnen die einstimmigste Aner¬
kennung gezollt. Das Textbuch der Oper behandelt die bekannte, von
Heine in Frankreich eingeführte Sage von den Schwanenjungfrcmen,
die aus der Erde zurückbleiben und in den Süßigkeiten irdischer Liebe
der Sehnsucht vergessen, die sie hinaufzieht in ihr luftiges Wolkenreich;
sein Verfasser ist ein Artillerieoffizier, der fruchtbare Possendichter Told,
der bereits denselben Stoff nach dem französischen Ballet als "Zau¬
berschleier" verarbeitet hat, der hier dreihundert Vorstellungen erlebte.
Die Musik ist sehr melodiös und bewegt sich namentlich in den komi¬
schen Partien mit vieler Anmuth und Grazie; man wirft zwar der
Partitur Styllosigkeit und Mangel an Geschmackseinheit vor, doch
dieser Fehler ist jetzt allgemein und wird kaum mehr als ein solcher
genommen, selbst Meyerbeer ist groß geworden durch Vermischung aller
Stvlgattungen, bis es ihm endlich gelang, aus den zerbrochnen For¬
men sich eine neue, selbstthümliche zu bilden. Jedenfalls darf Tell


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Auch die zahlreichen Gasthäuser im Weichbild der Stadt werden meist
nur von Wienern bei Ausflügen besucht, und namentlich ragt unter
diesen Orten Neulerchenfeld hervor, wo beinahe alle Häuser Wirths¬
häuser sind, in denen allein ein Viertheil der ganzen hiesigen Bier-
production vertilgt wird. Zwei der bedeutendsten Brauhauser erzeugen
monatlich jedes 8000 Eimer; die Braukncchtc sind gut bezahlte Ar¬
beiter, indem die regsten unter ihnen außer ihrer Verköstigung monat¬
lich noch 50 si., die andern aber 15 — 20 si. C.-M. erhalten. Der
Staatsschatz aber bezieht aus diesem Gewerbe in der Hauptstadt allein
über eine Million Gulden, denn in dem genannten Jahre belief sich
das Totalsteucrerträgniß der sämmtlichen Brauereien auf 1,374,329 si.
22 Kr. C.-M. Sucht man sich diese amtliche Ziffer im Wege der
Analogie in Bezug auf die übrigen großem Städte und ganzen Pro¬
vinzen zu erweitern, so wird man finden, daß die 22 Millionen,
welche die Accise jährlich abwirft, einen sehr bedeutenden Factor im
altgermanischen Gerstensäfte besitzen.

Im Josephstädter Theater ist die Oper des an dieser Bühne an¬
gestellten Kapellmeisters Titi„Das Wolkenkind," mit großem Beifall
aufgenommen worden. Der noch jugendliche Componist ist von Ge¬
burt ein Böhme, wie denn überhaupt die meisten Tonkünstler und
Tondichter Oesterreichs aus diesem klang- und sangreichen Lande her¬
stammen. Titi hatte gleich vielen angebornen Talenten eine mühe¬
volle Jugend durchzukämpfen, bis er endlich als Kapellmeister bei dem
in Prag garnifonirenom Regiment Latour eine feste Stellung erhielt
und diese sogleich benutzte, um sich einen klingenden Namen zu er¬
werben. Die Composttion des Gedichtes: „Nächtliche Heerschau,"
war es besonders, welche ihm schnell einen sehr bedeutenden Ruf er¬
rang und in der That hört man die schauerlichen Weisen dieser ori¬
ginellen Tondichtung an den Ufern der Newa, wie an dem Gestade
der Seine ertönen, und überall wird ihnen die einstimmigste Aner¬
kennung gezollt. Das Textbuch der Oper behandelt die bekannte, von
Heine in Frankreich eingeführte Sage von den Schwanenjungfrcmen,
die aus der Erde zurückbleiben und in den Süßigkeiten irdischer Liebe
der Sehnsucht vergessen, die sie hinaufzieht in ihr luftiges Wolkenreich;
sein Verfasser ist ein Artillerieoffizier, der fruchtbare Possendichter Told,
der bereits denselben Stoff nach dem französischen Ballet als „Zau¬
berschleier" verarbeitet hat, der hier dreihundert Vorstellungen erlebte.
Die Musik ist sehr melodiös und bewegt sich namentlich in den komi¬
schen Partien mit vieler Anmuth und Grazie; man wirft zwar der
Partitur Styllosigkeit und Mangel an Geschmackseinheit vor, doch
dieser Fehler ist jetzt allgemein und wird kaum mehr als ein solcher
genommen, selbst Meyerbeer ist groß geworden durch Vermischung aller
Stvlgattungen, bis es ihm endlich gelang, aus den zerbrochnen For¬
men sich eine neue, selbstthümliche zu bilden. Jedenfalls darf Tell


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/145>, abgerufen am 31.05.2024.