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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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den Standpunkt erhalten, den sie eigentlich schon lange einnahmen;
man wird aufhören, von ihnen mehr zu erwarten, als sie bereits seit
langer Zeit gegeben haben, und das junge Volk, welches eine Zeit lang
unwillig in den neuen Zaum beißt, wird durch Concil und Relegation
zur Ruhe gebracht werden. Die unruhigen Köpfe mögen sich hüten,
sich in das Zwangsgehäuse einer Universität zu begeben, der Staats¬
dienst wird ganz und gar in die Hände der friedlichsten und willfäh¬
rigsten Menschen gerathen, wie es ein guter Deutscher nur irgend
wünschen kann.

Aber das Cultusministerium hat es richtig erkannt, daß eine auf
die Studentenschaft angewendete Maßregel noch nicht genügt, die Uni¬
versitäten auf ihr Maß zurückzuführen. Die Privatdocentenfchaft ge¬
währt der Ruhe des Staates viel zu wenig Bürgschaft und es haben
sich durch dieselbe die lebhaftesten Tendenzen auf preußischen Kathedern
geltend gemacht, vide Nauwerck und Bruno Bauer. Hier muß ge¬
holfen werden. Man hat das Privatdocententhum bisher als die letzte
Stütze der freien Wissenschaft auf unseren Universitäten betrachtet;
so ein junger Privatdocent, der den Teufel und einiges Wissen im
Leibe hat, dem Alles daran liegt, sich wissenschaftliche Geltung zu ver¬
schaffen, ist allerdings geeignet, über den Prinzipien der freien Wissen¬
schaft die historischen Bedingungen des Staates zu vergessen. Das
Ministerium hat verordnet, daß alle Privatdocenten, die es von jetzt an
vier Jahre sind und unterdeß nicht zum Professor avanciren, aus
ihrem Nexus zu der Universität scheiden müssen. Der Staat hat auf
diese Art das beste Mittel gewonnen, alle schädlichen Elemente von der
akademischen Laufbahn auszuschließen. Die Fragen der Wissenschaft
werden nicht mehr hinausgehen über die Endpunkte des bureaukratischen
Staates, und sie wird dazu da sein, alle Maximen und Maßregeln
zu rechtfertigen, welche dieser für gut hält. Hegel durfte noch auf dem
Berliner Katheder den Constitutionalismus als die vollendetste Staats¬
form bezeichnen, das wird in Zukunft nicht mehr vorkommen können.

Aber das Wesen, die Idee der Universität wird durch solche Ma߬
regeln, höre ich viele rufen, vollkommen vernichtet. Freilich, den
Deutschen pflegt die Täuschung über eine Idee weit mehr zu schmerzen,
als die elendeste Wirklichkeit. Aber sind die Universitäten nicht schon
längst bloße Abrichtungsanstalten gewesen? Sie werden durch die neuen
Nescripte unseres Cultusministeriums nur auf ihren bestimmten Beruf
zurückgewiesen, es wird ihnen der Schein der Freiheit genommen,
den sie immer gerne zu wahren suchten. Als die Hierarchie noch kei¬
nen Riß bekommen, war die Universität Küchenmagd der Kirche, seit¬
dem mit dem Protestantismus der absolute Staat durchgedrungen^ ist
die Universität die Dienerin des Staates. Die Idee, welche man sich
von den Universitäten gemacht hat, ist immer etwas ganz Anderes
gewesen, als ihre Wirklichkeit. Mag man nun die Illusion aufgeben


den Standpunkt erhalten, den sie eigentlich schon lange einnahmen;
man wird aufhören, von ihnen mehr zu erwarten, als sie bereits seit
langer Zeit gegeben haben, und das junge Volk, welches eine Zeit lang
unwillig in den neuen Zaum beißt, wird durch Concil und Relegation
zur Ruhe gebracht werden. Die unruhigen Köpfe mögen sich hüten,
sich in das Zwangsgehäuse einer Universität zu begeben, der Staats¬
dienst wird ganz und gar in die Hände der friedlichsten und willfäh¬
rigsten Menschen gerathen, wie es ein guter Deutscher nur irgend
wünschen kann.

Aber das Cultusministerium hat es richtig erkannt, daß eine auf
die Studentenschaft angewendete Maßregel noch nicht genügt, die Uni¬
versitäten auf ihr Maß zurückzuführen. Die Privatdocentenfchaft ge¬
währt der Ruhe des Staates viel zu wenig Bürgschaft und es haben
sich durch dieselbe die lebhaftesten Tendenzen auf preußischen Kathedern
geltend gemacht, vide Nauwerck und Bruno Bauer. Hier muß ge¬
holfen werden. Man hat das Privatdocententhum bisher als die letzte
Stütze der freien Wissenschaft auf unseren Universitäten betrachtet;
so ein junger Privatdocent, der den Teufel und einiges Wissen im
Leibe hat, dem Alles daran liegt, sich wissenschaftliche Geltung zu ver¬
schaffen, ist allerdings geeignet, über den Prinzipien der freien Wissen¬
schaft die historischen Bedingungen des Staates zu vergessen. Das
Ministerium hat verordnet, daß alle Privatdocenten, die es von jetzt an
vier Jahre sind und unterdeß nicht zum Professor avanciren, aus
ihrem Nexus zu der Universität scheiden müssen. Der Staat hat auf
diese Art das beste Mittel gewonnen, alle schädlichen Elemente von der
akademischen Laufbahn auszuschließen. Die Fragen der Wissenschaft
werden nicht mehr hinausgehen über die Endpunkte des bureaukratischen
Staates, und sie wird dazu da sein, alle Maximen und Maßregeln
zu rechtfertigen, welche dieser für gut hält. Hegel durfte noch auf dem
Berliner Katheder den Constitutionalismus als die vollendetste Staats¬
form bezeichnen, das wird in Zukunft nicht mehr vorkommen können.

Aber das Wesen, die Idee der Universität wird durch solche Ma߬
regeln, höre ich viele rufen, vollkommen vernichtet. Freilich, den
Deutschen pflegt die Täuschung über eine Idee weit mehr zu schmerzen,
als die elendeste Wirklichkeit. Aber sind die Universitäten nicht schon
längst bloße Abrichtungsanstalten gewesen? Sie werden durch die neuen
Nescripte unseres Cultusministeriums nur auf ihren bestimmten Beruf
zurückgewiesen, es wird ihnen der Schein der Freiheit genommen,
den sie immer gerne zu wahren suchten. Als die Hierarchie noch kei¬
nen Riß bekommen, war die Universität Küchenmagd der Kirche, seit¬
dem mit dem Protestantismus der absolute Staat durchgedrungen^ ist
die Universität die Dienerin des Staates. Die Idee, welche man sich
von den Universitäten gemacht hat, ist immer etwas ganz Anderes
gewesen, als ihre Wirklichkeit. Mag man nun die Illusion aufgeben


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[0030] den Standpunkt erhalten, den sie eigentlich schon lange einnahmen; man wird aufhören, von ihnen mehr zu erwarten, als sie bereits seit langer Zeit gegeben haben, und das junge Volk, welches eine Zeit lang unwillig in den neuen Zaum beißt, wird durch Concil und Relegation zur Ruhe gebracht werden. Die unruhigen Köpfe mögen sich hüten, sich in das Zwangsgehäuse einer Universität zu begeben, der Staats¬ dienst wird ganz und gar in die Hände der friedlichsten und willfäh¬ rigsten Menschen gerathen, wie es ein guter Deutscher nur irgend wünschen kann. Aber das Cultusministerium hat es richtig erkannt, daß eine auf die Studentenschaft angewendete Maßregel noch nicht genügt, die Uni¬ versitäten auf ihr Maß zurückzuführen. Die Privatdocentenfchaft ge¬ währt der Ruhe des Staates viel zu wenig Bürgschaft und es haben sich durch dieselbe die lebhaftesten Tendenzen auf preußischen Kathedern geltend gemacht, vide Nauwerck und Bruno Bauer. Hier muß ge¬ holfen werden. Man hat das Privatdocententhum bisher als die letzte Stütze der freien Wissenschaft auf unseren Universitäten betrachtet; so ein junger Privatdocent, der den Teufel und einiges Wissen im Leibe hat, dem Alles daran liegt, sich wissenschaftliche Geltung zu ver¬ schaffen, ist allerdings geeignet, über den Prinzipien der freien Wissen¬ schaft die historischen Bedingungen des Staates zu vergessen. Das Ministerium hat verordnet, daß alle Privatdocenten, die es von jetzt an vier Jahre sind und unterdeß nicht zum Professor avanciren, aus ihrem Nexus zu der Universität scheiden müssen. Der Staat hat auf diese Art das beste Mittel gewonnen, alle schädlichen Elemente von der akademischen Laufbahn auszuschließen. Die Fragen der Wissenschaft werden nicht mehr hinausgehen über die Endpunkte des bureaukratischen Staates, und sie wird dazu da sein, alle Maximen und Maßregeln zu rechtfertigen, welche dieser für gut hält. Hegel durfte noch auf dem Berliner Katheder den Constitutionalismus als die vollendetste Staats¬ form bezeichnen, das wird in Zukunft nicht mehr vorkommen können. Aber das Wesen, die Idee der Universität wird durch solche Ma߬ regeln, höre ich viele rufen, vollkommen vernichtet. Freilich, den Deutschen pflegt die Täuschung über eine Idee weit mehr zu schmerzen, als die elendeste Wirklichkeit. Aber sind die Universitäten nicht schon längst bloße Abrichtungsanstalten gewesen? Sie werden durch die neuen Nescripte unseres Cultusministeriums nur auf ihren bestimmten Beruf zurückgewiesen, es wird ihnen der Schein der Freiheit genommen, den sie immer gerne zu wahren suchten. Als die Hierarchie noch kei¬ nen Riß bekommen, war die Universität Küchenmagd der Kirche, seit¬ dem mit dem Protestantismus der absolute Staat durchgedrungen^ ist die Universität die Dienerin des Staates. Die Idee, welche man sich von den Universitäten gemacht hat, ist immer etwas ganz Anderes gewesen, als ihre Wirklichkeit. Mag man nun die Illusion aufgeben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/30>, abgerufen am 09.05.2024.