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Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band.

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etwas Monströses. Gewiß, auch sind alle Zeitungen darüber einig;
aber die wenigsten denken daran, daß im märkischen Sande ein ana¬
loges eben so widerliches Monstrum wachst: ein aufgeklärter Ser¬
vilismus. Dieses kleine Ungeheuer hat hier am Rhein schon un¬
säglichen Schaden gestiftet. -- Berlin treibt nämlich eine umgekehrte
Propaganda. Die Pariser Emissäre machen Frankreich in aller Welt
beliebt; was von Berlin kommt, bemüht sich dagegen, die Welt durch
seinen abstoßenden Pol zu überwinden und Preußen tausend Mal unbe¬
liebter zu machen, als es zu sein verdient; selbst die schätzbarsten
Wohlthaten preußischer Verwaltung werden durch die Manier, mit
der die Berliner Propaganda sich darüber zu verbreiten liebt, verleidet.
Gäbe es doch in Berlin einen Censor, der im höheren Staatsinteresse
die Gecken und Windbeutel überwachte und namentlich dafür sorgte,
daß nicht zu viele auf einmal aus Reifen gingen. Leider würde auch
dies nicht viel helfen; denn das Bcrlinerthum macht sich noch auf
andere Weife geltend, die sich hier nicht naher bezeichnen läßt. So¬
viel aber ist gewiß, daß das Berliner Wesen auf das rheinische paßt,
wie Schnaps auf echte Liebfrauenmilch.

Die Rheinländer sind durchgehends ein frischer, freier, UNverkün-
stelter Menschenschlag; bis in das unterste Volk hinab waltet ein na¬
türliches Rechtsgefühl, durch die öffentliche Gerichtsbarkeit genährt und
großgezogen. Es ist eine Lust zu sehen, wie heiter und wohlwollend
jeder Rheinländer Einem, ohne Unterschied des Standes, entgegen¬
kommt, und mit wie anmuthigem, wohlanständigen Stolz sich der
niederste neben den Höchsten stellt. Dieses Volk ist von Hause aus
nicht psaffendienerisch, aber eben die umgekehrte Propaganda, in ihrem
Conflict mit belgisch-französisch-rheinischen Einflüssen, hat rings um
d?n Cölner Dom eine wahrhaft babylonische Verwirrung der Ansich¬
ten und Sympathien hervorgerufen; der Deutsche, der sonst ein Prin-
cipienmensch ist, scheint hier seine Natur gänzlich zu verleugnen.

Märkische Portepeejunker prahlen hier öffentlich mit ihrer Auf-
klärung in religiösen Dingen, spielen aber dabei die blindesten Ver¬
theidiger jeder politischen Willkür und Maßregelung; daher läuft das
Volk, gleichsam "in "Jon't et" in s'i nssv "-t <lo 8i" tlmnmittiu", zu den
wunderthätigen Reliquienkasten und Heiligenbildern. Bei den untern
Klassen verbindet sich Alles, was protestantisch, was altpreußisch, un¬
willkürlich mit der Vorstellung von bureaukratisch-polizeilichcni Zwang;
die Gebildeten sind hier -- umgekehrt, wie anderswo -- nationaler
gesinnt als die tieferen Volksfchuhen und aus Vcrstandesgründen sogar
gut preußisch; aber es läßt sich denken, wie sehr ihnen der Kampf
gegen die Mtramontanen, bei dieser Verwirrung der Begriffe, er¬
schwert wird.

Der "Rheinische Beobachter" wird mit seinem doktrinären Zopf
nirgends Proselvten machen; wer ihm aber seinen Posten grade in


etwas Monströses. Gewiß, auch sind alle Zeitungen darüber einig;
aber die wenigsten denken daran, daß im märkischen Sande ein ana¬
loges eben so widerliches Monstrum wachst: ein aufgeklärter Ser¬
vilismus. Dieses kleine Ungeheuer hat hier am Rhein schon un¬
säglichen Schaden gestiftet. — Berlin treibt nämlich eine umgekehrte
Propaganda. Die Pariser Emissäre machen Frankreich in aller Welt
beliebt; was von Berlin kommt, bemüht sich dagegen, die Welt durch
seinen abstoßenden Pol zu überwinden und Preußen tausend Mal unbe¬
liebter zu machen, als es zu sein verdient; selbst die schätzbarsten
Wohlthaten preußischer Verwaltung werden durch die Manier, mit
der die Berliner Propaganda sich darüber zu verbreiten liebt, verleidet.
Gäbe es doch in Berlin einen Censor, der im höheren Staatsinteresse
die Gecken und Windbeutel überwachte und namentlich dafür sorgte,
daß nicht zu viele auf einmal aus Reifen gingen. Leider würde auch
dies nicht viel helfen; denn das Bcrlinerthum macht sich noch auf
andere Weife geltend, die sich hier nicht naher bezeichnen läßt. So¬
viel aber ist gewiß, daß das Berliner Wesen auf das rheinische paßt,
wie Schnaps auf echte Liebfrauenmilch.

Die Rheinländer sind durchgehends ein frischer, freier, UNverkün-
stelter Menschenschlag; bis in das unterste Volk hinab waltet ein na¬
türliches Rechtsgefühl, durch die öffentliche Gerichtsbarkeit genährt und
großgezogen. Es ist eine Lust zu sehen, wie heiter und wohlwollend
jeder Rheinländer Einem, ohne Unterschied des Standes, entgegen¬
kommt, und mit wie anmuthigem, wohlanständigen Stolz sich der
niederste neben den Höchsten stellt. Dieses Volk ist von Hause aus
nicht psaffendienerisch, aber eben die umgekehrte Propaganda, in ihrem
Conflict mit belgisch-französisch-rheinischen Einflüssen, hat rings um
d?n Cölner Dom eine wahrhaft babylonische Verwirrung der Ansich¬
ten und Sympathien hervorgerufen; der Deutsche, der sonst ein Prin-
cipienmensch ist, scheint hier seine Natur gänzlich zu verleugnen.

Märkische Portepeejunker prahlen hier öffentlich mit ihrer Auf-
klärung in religiösen Dingen, spielen aber dabei die blindesten Ver¬
theidiger jeder politischen Willkür und Maßregelung; daher läuft das
Volk, gleichsam «in «Jon't et» in s'i nssv «-t <lo 8i» tlmnmittiu», zu den
wunderthätigen Reliquienkasten und Heiligenbildern. Bei den untern
Klassen verbindet sich Alles, was protestantisch, was altpreußisch, un¬
willkürlich mit der Vorstellung von bureaukratisch-polizeilichcni Zwang;
die Gebildeten sind hier — umgekehrt, wie anderswo — nationaler
gesinnt als die tieferen Volksfchuhen und aus Vcrstandesgründen sogar
gut preußisch; aber es läßt sich denken, wie sehr ihnen der Kampf
gegen die Mtramontanen, bei dieser Verwirrung der Begriffe, er¬
schwert wird.

Der „Rheinische Beobachter" wird mit seinem doktrinären Zopf
nirgends Proselvten machen; wer ihm aber seinen Posten grade in


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 4, 1845, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341548_270058/512>, abgerufen am 09.05.2024.