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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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nennt, den Ruhm ihrer Schönheit behauptet, und Kohl, der lie¬
benswürdige Tourist, hat sie gehörig zu würdigen gewußt. Kommt
mit mir auf den Roßmarkt und auf die Bastei. Es ist ein schöner
Aprilmittag, da ziehen sie alle aus an den Armen ihrer Mütter,
Bräutigame und Gatten, um sich zu sonnen, und ihr selbst sollt
urtheilen. Da seht ihr schöne Gräfinnen, und unter ihnen jene,
die in Paris unter dem Namen Kollo av bekannt ist,
Beamtcntöchter, braune Jüdinnen, und unter allen an Majestät
und Schönheit hervorragend eine Professorstochter, die "Ivlicia seu-
"liosonim. -- Wie oft machten wir den Weg, den Roßmarkt, wohl
auf und ab, nur um sie zu erblicken und von ihr gesehen zu wer¬
den. Da nahm jeder einen stolzerem Gang an, jeder drappirte sei¬
nen Mantel aufs Neue, nur um ihr würdig entgegenzutreten.
Kommt sie nicht? -- ist sie noch nicht da? -- habt ihr den Hund
noch nicht gesehen? Der Hund war nämlich der Vorbote des
Glückes. Auch war es kein Hund wie ein anderer Hund, sondern
es war mehr ein Löwe als ein Hund. Wie die Sage geht, so
war er das Kind der Liebe zwischen einem Löwen und einer Hün¬
din, und hatte mehr vom Vater als von der Mutter. Sein ma¬
jestätischer stolzer Gang, sein Schweif, seine Farbe, seine Mähnen,
kurz fast der ganze Körper war der eines Löwen. Nur der Kopf
war ein schöner großer Hundekopf, aber in diesem Kopfe waren
die großen, riesigen, stolzen Augen, die Augen des Löwen. Der
Professor hatte ihn, wie man sagt, von Van Aker bekommen, und
er hing mit größter Liebe an seiner Herrin, die er stets begleitete
und bewachte. Es war ein herrlicher Anblick, wenn Lionessa, wie
wir sie nannten, wie eilte schöne Medea daherkam, den stolzen Lö¬
wen an ihrer Seite, als ob eine griechische Victoria mit ihrem
Löwen vom Sockel gestiegen, stolz durch die Menschen ginge
im Bewußtsein ihrer Göttlichkeit und Schönheit. , Das Griechisch-
Göttliche an ihr war eigentlich dasjenige, was uns traurig machte,
denn wir fühlten uns arme Menschenwürmlein neben ihr, und
wagten es nur, sie aus ehrfurchtsvoller Ferne zu bewundern und,
wenn man will -- anzubeten. Selbst der etwas dunkle, bräunliche
Teint erinnerte an klassischen, griechischen Marmor, der aus den
Zeiten des Perikles stammt, und die deutschen blauen Augen gaben
dem armen Sterblichen weder Trost noch Hoffnung. Sie milder-


nennt, den Ruhm ihrer Schönheit behauptet, und Kohl, der lie¬
benswürdige Tourist, hat sie gehörig zu würdigen gewußt. Kommt
mit mir auf den Roßmarkt und auf die Bastei. Es ist ein schöner
Aprilmittag, da ziehen sie alle aus an den Armen ihrer Mütter,
Bräutigame und Gatten, um sich zu sonnen, und ihr selbst sollt
urtheilen. Da seht ihr schöne Gräfinnen, und unter ihnen jene,
die in Paris unter dem Namen Kollo av bekannt ist,
Beamtcntöchter, braune Jüdinnen, und unter allen an Majestät
und Schönheit hervorragend eine Professorstochter, die «Ivlicia seu-
«liosonim. — Wie oft machten wir den Weg, den Roßmarkt, wohl
auf und ab, nur um sie zu erblicken und von ihr gesehen zu wer¬
den. Da nahm jeder einen stolzerem Gang an, jeder drappirte sei¬
nen Mantel aufs Neue, nur um ihr würdig entgegenzutreten.
Kommt sie nicht? — ist sie noch nicht da? — habt ihr den Hund
noch nicht gesehen? Der Hund war nämlich der Vorbote des
Glückes. Auch war es kein Hund wie ein anderer Hund, sondern
es war mehr ein Löwe als ein Hund. Wie die Sage geht, so
war er das Kind der Liebe zwischen einem Löwen und einer Hün¬
din, und hatte mehr vom Vater als von der Mutter. Sein ma¬
jestätischer stolzer Gang, sein Schweif, seine Farbe, seine Mähnen,
kurz fast der ganze Körper war der eines Löwen. Nur der Kopf
war ein schöner großer Hundekopf, aber in diesem Kopfe waren
die großen, riesigen, stolzen Augen, die Augen des Löwen. Der
Professor hatte ihn, wie man sagt, von Van Aker bekommen, und
er hing mit größter Liebe an seiner Herrin, die er stets begleitete
und bewachte. Es war ein herrlicher Anblick, wenn Lionessa, wie
wir sie nannten, wie eilte schöne Medea daherkam, den stolzen Lö¬
wen an ihrer Seite, als ob eine griechische Victoria mit ihrem
Löwen vom Sockel gestiegen, stolz durch die Menschen ginge
im Bewußtsein ihrer Göttlichkeit und Schönheit. , Das Griechisch-
Göttliche an ihr war eigentlich dasjenige, was uns traurig machte,
denn wir fühlten uns arme Menschenwürmlein neben ihr, und
wagten es nur, sie aus ehrfurchtsvoller Ferne zu bewundern und,
wenn man will — anzubeten. Selbst der etwas dunkle, bräunliche
Teint erinnerte an klassischen, griechischen Marmor, der aus den
Zeiten des Perikles stammt, und die deutschen blauen Augen gaben
dem armen Sterblichen weder Trost noch Hoffnung. Sie milder-


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[0118] nennt, den Ruhm ihrer Schönheit behauptet, und Kohl, der lie¬ benswürdige Tourist, hat sie gehörig zu würdigen gewußt. Kommt mit mir auf den Roßmarkt und auf die Bastei. Es ist ein schöner Aprilmittag, da ziehen sie alle aus an den Armen ihrer Mütter, Bräutigame und Gatten, um sich zu sonnen, und ihr selbst sollt urtheilen. Da seht ihr schöne Gräfinnen, und unter ihnen jene, die in Paris unter dem Namen Kollo av bekannt ist, Beamtcntöchter, braune Jüdinnen, und unter allen an Majestät und Schönheit hervorragend eine Professorstochter, die «Ivlicia seu- «liosonim. — Wie oft machten wir den Weg, den Roßmarkt, wohl auf und ab, nur um sie zu erblicken und von ihr gesehen zu wer¬ den. Da nahm jeder einen stolzerem Gang an, jeder drappirte sei¬ nen Mantel aufs Neue, nur um ihr würdig entgegenzutreten. Kommt sie nicht? — ist sie noch nicht da? — habt ihr den Hund noch nicht gesehen? Der Hund war nämlich der Vorbote des Glückes. Auch war es kein Hund wie ein anderer Hund, sondern es war mehr ein Löwe als ein Hund. Wie die Sage geht, so war er das Kind der Liebe zwischen einem Löwen und einer Hün¬ din, und hatte mehr vom Vater als von der Mutter. Sein ma¬ jestätischer stolzer Gang, sein Schweif, seine Farbe, seine Mähnen, kurz fast der ganze Körper war der eines Löwen. Nur der Kopf war ein schöner großer Hundekopf, aber in diesem Kopfe waren die großen, riesigen, stolzen Augen, die Augen des Löwen. Der Professor hatte ihn, wie man sagt, von Van Aker bekommen, und er hing mit größter Liebe an seiner Herrin, die er stets begleitete und bewachte. Es war ein herrlicher Anblick, wenn Lionessa, wie wir sie nannten, wie eilte schöne Medea daherkam, den stolzen Lö¬ wen an ihrer Seite, als ob eine griechische Victoria mit ihrem Löwen vom Sockel gestiegen, stolz durch die Menschen ginge im Bewußtsein ihrer Göttlichkeit und Schönheit. , Das Griechisch- Göttliche an ihr war eigentlich dasjenige, was uns traurig machte, denn wir fühlten uns arme Menschenwürmlein neben ihr, und wagten es nur, sie aus ehrfurchtsvoller Ferne zu bewundern und, wenn man will — anzubeten. Selbst der etwas dunkle, bräunliche Teint erinnerte an klassischen, griechischen Marmor, der aus den Zeiten des Perikles stammt, und die deutschen blauen Augen gaben dem armen Sterblichen weder Trost noch Hoffnung. Sie milder-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/118>, abgerufen am 29.05.2024.