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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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gica oder Nhetorica der Jesuiten, die schon vor Maria Theresia
in Oesterreich vorgetragen und vor ungefähr dreißig Jahren von
einem Mitglied der Studienhofcommission etwas zugestutzt und auf¬
geputzt wurde. Trotzdem aber, daß schon seit dreißig Jahren jeder
Spatz auf dem Dache singt, und jedes Schilf im Teiche lispelt:
die österreichische Philosophie hat Eselsohren, so wird sie doch all¬
jährlich von wenigstens 3V Lehrkanzeln herab verkündet. In Oe¬
sterreich erben sich die Schulbücher, wie eine ewige Krankheit fort. --
Die schönste Pflicht eines Schulbuchs ist, sich um den Gang der
Weltgeschichte so wenig wie ein Hofrath zu kümmern. --
So wie die österreichischen Schulgeographien noch lange nach¬
dem Griechenland sein Joch wieder abgeworfen, von einer türkischen
Provinz Nauplia oder Griechenland sprachen, so wie sie trotz der
Septembertage noch Jahrelang von einem holländischen Belgien
redeten; eben so geht die österreichische Philosophie ruhig ih¬
ren Kuttengang weiter. Kant, Fichte, Krause, Hegel, Schelling,
wie unfruchtbare, verwunschene Haide- und Heidenländer, rechts
und links liegen lassend. Daß sich Erner die Freiheit nahm,
nach und nach Herbart'sche Gedanken in n"co seinen Zuhörern
vorzusetzen, kann ihm der Clerus -- wie man behauptet --
nicht verzeihen. Er möchte ihm gerne seine Schafe entreißen,
wenn es nicht Gesetz wäre, daß auch künftige Geistliche die zwei
Jahrgänge der Philosophie durchmachen sollen. Wir aber waren
Erner für seinen Muth und seine schönen Vorträge dankbar. --
Wie oft wurde über Jandera gelacht und Müller ausgetrommelt,
bei Erner herrschte immer die ehrfurchtsvollste Stille, und alle Welt
hing an seinem Munde. Er hat in seiner Jngend Verse gemacht
und legt noch immer eine gewisse Poesie als Folie seiner Philo¬
sophie unter. In seiner Geschichte der Philosophie hat er herrliche
Momente, wenn er an die sokratische Zeit kommt, wenn er Spinoza
erponirt und bei Kant verweilt. Gegen manche neuere philoso¬
phische Schriftsteller hat er eine gewisse Wuth und spart die har¬
ten Worte nicht. Ich erinnere mich noch, wie betroffen mich ein¬
mal seine lapidarischen Worte machten: Franz Baader, der Narr,
Schubert der Phantast, Michelet der Platte. Sein Vortrag ist
nicht besonders oratorisch. Er murmelt mehr als er spricht, und
stößt nur einzelne Worte deutlich und mit Heftigkeit hervor. Doch
hörten wir ihm gerne zu.


gica oder Nhetorica der Jesuiten, die schon vor Maria Theresia
in Oesterreich vorgetragen und vor ungefähr dreißig Jahren von
einem Mitglied der Studienhofcommission etwas zugestutzt und auf¬
geputzt wurde. Trotzdem aber, daß schon seit dreißig Jahren jeder
Spatz auf dem Dache singt, und jedes Schilf im Teiche lispelt:
die österreichische Philosophie hat Eselsohren, so wird sie doch all¬
jährlich von wenigstens 3V Lehrkanzeln herab verkündet. In Oe¬
sterreich erben sich die Schulbücher, wie eine ewige Krankheit fort. —
Die schönste Pflicht eines Schulbuchs ist, sich um den Gang der
Weltgeschichte so wenig wie ein Hofrath zu kümmern. —
So wie die österreichischen Schulgeographien noch lange nach¬
dem Griechenland sein Joch wieder abgeworfen, von einer türkischen
Provinz Nauplia oder Griechenland sprachen, so wie sie trotz der
Septembertage noch Jahrelang von einem holländischen Belgien
redeten; eben so geht die österreichische Philosophie ruhig ih¬
ren Kuttengang weiter. Kant, Fichte, Krause, Hegel, Schelling,
wie unfruchtbare, verwunschene Haide- und Heidenländer, rechts
und links liegen lassend. Daß sich Erner die Freiheit nahm,
nach und nach Herbart'sche Gedanken in n»co seinen Zuhörern
vorzusetzen, kann ihm der Clerus — wie man behauptet —
nicht verzeihen. Er möchte ihm gerne seine Schafe entreißen,
wenn es nicht Gesetz wäre, daß auch künftige Geistliche die zwei
Jahrgänge der Philosophie durchmachen sollen. Wir aber waren
Erner für seinen Muth und seine schönen Vorträge dankbar. —
Wie oft wurde über Jandera gelacht und Müller ausgetrommelt,
bei Erner herrschte immer die ehrfurchtsvollste Stille, und alle Welt
hing an seinem Munde. Er hat in seiner Jngend Verse gemacht
und legt noch immer eine gewisse Poesie als Folie seiner Philo¬
sophie unter. In seiner Geschichte der Philosophie hat er herrliche
Momente, wenn er an die sokratische Zeit kommt, wenn er Spinoza
erponirt und bei Kant verweilt. Gegen manche neuere philoso¬
phische Schriftsteller hat er eine gewisse Wuth und spart die har¬
ten Worte nicht. Ich erinnere mich noch, wie betroffen mich ein¬
mal seine lapidarischen Worte machten: Franz Baader, der Narr,
Schubert der Phantast, Michelet der Platte. Sein Vortrag ist
nicht besonders oratorisch. Er murmelt mehr als er spricht, und
stößt nur einzelne Worte deutlich und mit Heftigkeit hervor. Doch
hörten wir ihm gerne zu.


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[0124] gica oder Nhetorica der Jesuiten, die schon vor Maria Theresia in Oesterreich vorgetragen und vor ungefähr dreißig Jahren von einem Mitglied der Studienhofcommission etwas zugestutzt und auf¬ geputzt wurde. Trotzdem aber, daß schon seit dreißig Jahren jeder Spatz auf dem Dache singt, und jedes Schilf im Teiche lispelt: die österreichische Philosophie hat Eselsohren, so wird sie doch all¬ jährlich von wenigstens 3V Lehrkanzeln herab verkündet. In Oe¬ sterreich erben sich die Schulbücher, wie eine ewige Krankheit fort. — Die schönste Pflicht eines Schulbuchs ist, sich um den Gang der Weltgeschichte so wenig wie ein Hofrath zu kümmern. — So wie die österreichischen Schulgeographien noch lange nach¬ dem Griechenland sein Joch wieder abgeworfen, von einer türkischen Provinz Nauplia oder Griechenland sprachen, so wie sie trotz der Septembertage noch Jahrelang von einem holländischen Belgien redeten; eben so geht die österreichische Philosophie ruhig ih¬ ren Kuttengang weiter. Kant, Fichte, Krause, Hegel, Schelling, wie unfruchtbare, verwunschene Haide- und Heidenländer, rechts und links liegen lassend. Daß sich Erner die Freiheit nahm, nach und nach Herbart'sche Gedanken in n»co seinen Zuhörern vorzusetzen, kann ihm der Clerus — wie man behauptet — nicht verzeihen. Er möchte ihm gerne seine Schafe entreißen, wenn es nicht Gesetz wäre, daß auch künftige Geistliche die zwei Jahrgänge der Philosophie durchmachen sollen. Wir aber waren Erner für seinen Muth und seine schönen Vorträge dankbar. — Wie oft wurde über Jandera gelacht und Müller ausgetrommelt, bei Erner herrschte immer die ehrfurchtsvollste Stille, und alle Welt hing an seinem Munde. Er hat in seiner Jngend Verse gemacht und legt noch immer eine gewisse Poesie als Folie seiner Philo¬ sophie unter. In seiner Geschichte der Philosophie hat er herrliche Momente, wenn er an die sokratische Zeit kommt, wenn er Spinoza erponirt und bei Kant verweilt. Gegen manche neuere philoso¬ phische Schriftsteller hat er eine gewisse Wuth und spart die har¬ ten Worte nicht. Ich erinnere mich noch, wie betroffen mich ein¬ mal seine lapidarischen Worte machten: Franz Baader, der Narr, Schubert der Phantast, Michelet der Platte. Sein Vortrag ist nicht besonders oratorisch. Er murmelt mehr als er spricht, und stößt nur einzelne Worte deutlich und mit Heftigkeit hervor. Doch hörten wir ihm gerne zu.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/124>, abgerufen am 31.05.2024.