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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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Cultur bezeigt. Der Verfasser hat uns ja versichert, daß die grie¬
chisch-russische Kirche sich bilden oder vielmehr, daß sie von den rus¬
sischen Administiationsbehörden ^us - und umgebildet werden wird,
und wir sind dem Berichterstatter dankbar für die Data, die er bei
dieser Gelegenheit über die orientalische/Kirche anführt, obgleich sie
eben nicht Balsamtropfen, sondern eher Salz und Essig, für die oben¬
erwähnten Wunden sind. Die russisch-'griechische'Kirche ist in völliger
und sklavischer Abhängigkeit von der weltlichen Macht, und weit ent¬
fernt, selber einen Einfluß auf die Gesittung, des Volkes zu üben, er¬
wartet sie wie alle anderen Culturzweige und Institute Rußlands,
ihre Civilistrung von Oben her; wie die Armee, wie die Polizei, wie
die Industrie, so hofft man, daß auch sie durch Nikolaj's Intelligenz
und durch die Ukase des Ministeriums der Aufklärung aus ihrer
innern Nichtigkeit und moralischen Versunkenheit erhoben werden soll.
Die russische Kirche hat nie etwas für Aufhebung der Leibeigenschaft
gethan; unter Katharina II. hatte sie selbst noch 9IV,8K6 Sklaven.
Die Mönche haben den Geldbesitz und die höhern Aemter, die Welt¬
geistlichen haben die Arbeit; jene verderben in Ueppigkeit, diese ver-
thieren in Roheit. Obgleich ein Metropolit den Rang eines General
en Chef, ein Erzbischof den Rang eines Generallieutenants und ein
Bischof den eines Generalmajors besitzt -- oder vielmehr eben de߬
halb -- erinnert die Behandlung, den diese Kirchenfürsten von ihrem
Papst, dem Kaiser, erfahren, lebhaft an die Kaserne. Im I. 1824
wurde die Hofpredigerstelle in Petersburg eingezogen, weil der dama¬
lige Besitzer dieser Stelle, ein Metropolit, sich erlaubt hatte, eine
strenge Sittenpredigt zu halten. Allein dergleichen ist noch nicht so
specifisch russisch. Ein greiser Bischof aus dem Süden des Reiches
ward mitten im Winter nach Se. Petersburg beschieden, und da ser
sein Nichtkommen mit seinem hohen Alter und der Jahreszeit ent¬
schuldigte, wurde er nach Jrkutzk -- als nach einem stärkenden, ge¬
sunden Klima -- "versetzt." An der Disciplin, die zur "Bildungs¬
fähigkeit" gehört, fehlt es also der russischen Kirche nicht.

-- Auch eine treffliche Buchhändlerannonce, die unlängst in meh¬
reren Zeitungen zu lesen war : "Herold, der Zigeunerkönig. Historisch-
romantisches Gemälde aus dem 17. Jahrhundert von Herrmann von
der Sieg. Mit dem Bilde des Fürsten Johann Moritz von Nas¬
sau!" Läßt sich da ein Witz machen, ohne hochverräterisch zu wer¬
den? -- Vorbei, vorbei! --




Verlag von Fr. Ludtv. Herbig. -- Redacteur I. Kuranda.
Druck von Friedrich Andrä.

Cultur bezeigt. Der Verfasser hat uns ja versichert, daß die grie¬
chisch-russische Kirche sich bilden oder vielmehr, daß sie von den rus¬
sischen Administiationsbehörden ^us - und umgebildet werden wird,
und wir sind dem Berichterstatter dankbar für die Data, die er bei
dieser Gelegenheit über die orientalische/Kirche anführt, obgleich sie
eben nicht Balsamtropfen, sondern eher Salz und Essig, für die oben¬
erwähnten Wunden sind. Die russisch-'griechische'Kirche ist in völliger
und sklavischer Abhängigkeit von der weltlichen Macht, und weit ent¬
fernt, selber einen Einfluß auf die Gesittung, des Volkes zu üben, er¬
wartet sie wie alle anderen Culturzweige und Institute Rußlands,
ihre Civilistrung von Oben her; wie die Armee, wie die Polizei, wie
die Industrie, so hofft man, daß auch sie durch Nikolaj's Intelligenz
und durch die Ukase des Ministeriums der Aufklärung aus ihrer
innern Nichtigkeit und moralischen Versunkenheit erhoben werden soll.
Die russische Kirche hat nie etwas für Aufhebung der Leibeigenschaft
gethan; unter Katharina II. hatte sie selbst noch 9IV,8K6 Sklaven.
Die Mönche haben den Geldbesitz und die höhern Aemter, die Welt¬
geistlichen haben die Arbeit; jene verderben in Ueppigkeit, diese ver-
thieren in Roheit. Obgleich ein Metropolit den Rang eines General
en Chef, ein Erzbischof den Rang eines Generallieutenants und ein
Bischof den eines Generalmajors besitzt — oder vielmehr eben de߬
halb — erinnert die Behandlung, den diese Kirchenfürsten von ihrem
Papst, dem Kaiser, erfahren, lebhaft an die Kaserne. Im I. 1824
wurde die Hofpredigerstelle in Petersburg eingezogen, weil der dama¬
lige Besitzer dieser Stelle, ein Metropolit, sich erlaubt hatte, eine
strenge Sittenpredigt zu halten. Allein dergleichen ist noch nicht so
specifisch russisch. Ein greiser Bischof aus dem Süden des Reiches
ward mitten im Winter nach Se. Petersburg beschieden, und da ser
sein Nichtkommen mit seinem hohen Alter und der Jahreszeit ent¬
schuldigte, wurde er nach Jrkutzk — als nach einem stärkenden, ge¬
sunden Klima — „versetzt." An der Disciplin, die zur „Bildungs¬
fähigkeit" gehört, fehlt es also der russischen Kirche nicht.

— Auch eine treffliche Buchhändlerannonce, die unlängst in meh¬
reren Zeitungen zu lesen war : „Herold, der Zigeunerkönig. Historisch-
romantisches Gemälde aus dem 17. Jahrhundert von Herrmann von
der Sieg. Mit dem Bilde des Fürsten Johann Moritz von Nas¬
sau!" Läßt sich da ein Witz machen, ohne hochverräterisch zu wer¬
den? — Vorbei, vorbei! —




Verlag von Fr. Ludtv. Herbig. — Redacteur I. Kuranda.
Druck von Friedrich Andrä.
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[0152] Cultur bezeigt. Der Verfasser hat uns ja versichert, daß die grie¬ chisch-russische Kirche sich bilden oder vielmehr, daß sie von den rus¬ sischen Administiationsbehörden ^us - und umgebildet werden wird, und wir sind dem Berichterstatter dankbar für die Data, die er bei dieser Gelegenheit über die orientalische/Kirche anführt, obgleich sie eben nicht Balsamtropfen, sondern eher Salz und Essig, für die oben¬ erwähnten Wunden sind. Die russisch-'griechische'Kirche ist in völliger und sklavischer Abhängigkeit von der weltlichen Macht, und weit ent¬ fernt, selber einen Einfluß auf die Gesittung, des Volkes zu üben, er¬ wartet sie wie alle anderen Culturzweige und Institute Rußlands, ihre Civilistrung von Oben her; wie die Armee, wie die Polizei, wie die Industrie, so hofft man, daß auch sie durch Nikolaj's Intelligenz und durch die Ukase des Ministeriums der Aufklärung aus ihrer innern Nichtigkeit und moralischen Versunkenheit erhoben werden soll. Die russische Kirche hat nie etwas für Aufhebung der Leibeigenschaft gethan; unter Katharina II. hatte sie selbst noch 9IV,8K6 Sklaven. Die Mönche haben den Geldbesitz und die höhern Aemter, die Welt¬ geistlichen haben die Arbeit; jene verderben in Ueppigkeit, diese ver- thieren in Roheit. Obgleich ein Metropolit den Rang eines General en Chef, ein Erzbischof den Rang eines Generallieutenants und ein Bischof den eines Generalmajors besitzt — oder vielmehr eben de߬ halb — erinnert die Behandlung, den diese Kirchenfürsten von ihrem Papst, dem Kaiser, erfahren, lebhaft an die Kaserne. Im I. 1824 wurde die Hofpredigerstelle in Petersburg eingezogen, weil der dama¬ lige Besitzer dieser Stelle, ein Metropolit, sich erlaubt hatte, eine strenge Sittenpredigt zu halten. Allein dergleichen ist noch nicht so specifisch russisch. Ein greiser Bischof aus dem Süden des Reiches ward mitten im Winter nach Se. Petersburg beschieden, und da ser sein Nichtkommen mit seinem hohen Alter und der Jahreszeit ent¬ schuldigte, wurde er nach Jrkutzk — als nach einem stärkenden, ge¬ sunden Klima — „versetzt." An der Disciplin, die zur „Bildungs¬ fähigkeit" gehört, fehlt es also der russischen Kirche nicht. — Auch eine treffliche Buchhändlerannonce, die unlängst in meh¬ reren Zeitungen zu lesen war : „Herold, der Zigeunerkönig. Historisch- romantisches Gemälde aus dem 17. Jahrhundert von Herrmann von der Sieg. Mit dem Bilde des Fürsten Johann Moritz von Nas¬ sau!" Läßt sich da ein Witz machen, ohne hochverräterisch zu wer¬ den? — Vorbei, vorbei! — Verlag von Fr. Ludtv. Herbig. — Redacteur I. Kuranda. Druck von Friedrich Andrä.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/152>, abgerufen am 15.05.2024.