Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

scher" die antirussischen Artikel der deutschen Zeitungen heftig tadeln
zu müssen glaubte, -- also der Verfasser hat auch diesmal wieder
einen "gut deutschen" Trost bei der Hand für alle Glaubensverfol¬
gungen deutscher Katholiken und Protestanten in Rußland. Zwar,
sagt er, sei es unmöglich (???), die russische Politik in ihrem Ver¬
fahren zu hemmen, das Moskowitenthum sei von Außen wie von
Innen unnahbar und unangreifbar, die deutschen Elemente müssen
sich daher ohne Pardon von ihm fressen, verdauen und assimiliren
lassen, aber -- -- aber sie seien doch für die Menschheit nicht verlo¬
ren! Man solle nur nicht verzweifeln an der Bildungsfähigkeit der
russisch-griechischen Kirche; es sei zu hoffen, daß, wenn dieselbe nur
erst ihrer für jetzt ganz natürlichen Intoleranz genügt, wenn sie nur
erst gehörig um sich gegriffen und sich nach allen Seiten hin ar
rondirt und gesättigt haben wird, gewiß auch ein besseres, wahr¬
haft christliches Streben nach Reinigung und Läuterung der Lehre in
ihr erwachen werde. "Die Menge" sehe freilich nur die Harte und
Grausamkeit dieses Verspeisungs - und Assimilationsverfahrens, aber
nicht die wohlthätigen Folgen dieser Diät, die man an dem Speisen¬
den in künftigen Zeiten wahrnehmen werde. Wie telum auch in Nu߬
land vortreffliche kirchliche Blüthen emporspriefien würden, um in
dem Trifolium der drei großen Kirchen Europas auch das dritte Blatt
glänzend zu vertreten.----Ist das nicht charmant, trostvoll, er¬
haben kosmopolitisch, echt oder vielmehr "gut deutsch ?" Was liegt
überhaupt daran, ob wir als Deutsche in der Welt fortexistiren! Und
wenn wir auch von Kirgisen oder Mongolen aufgefressen würden, wir
gehen ja doch nicht für die Menschheit verloren; die deutschen Ele¬
mente werden dann, sei es nun als Kitt und Mörtel an den frem¬
den Festungswerken, sei es als Chylus und Blut in fremden Einge¬
weiden und Adern, der Welt zu Gute kommen. Denkt man, als
echter Sproß des hindugcrmanischen Stammes, an die tiefsinnige
Philosophie der Seelenwanderung, so läßt man gewiß alle Sorgen
fahren, und ergötzt sich höchstens mit bramincnhafter Weisheit, in
träumerischem Phantasiespiel, an den überraschenden und seltsamen Ge¬
staltungen, in denen, durch scheinbare Vernichtungsprocesse, vielleicht
einst deutsche Kräfte eine Rolle spielen werden; manches deutsche Ele¬
ment kann einmal, als russischer Ronge, in die Weltgeschichte eingrei¬
fen, und wer weiß, wer weiß, was unserem Fleisch und Blut noch
für verklärende Metamorphosen vorbehalten sind; durch welche Wand¬
lungen, tief nach Asien hinein, es in neuen Formen auferstehen und
avanciren kann, bis es in Tibet vielleicht gar als Dalai-Lama-Ema¬
nation göttlich verehrt wird. Es ist daher, um wieder ernst zu reden,
lächerlich, darüber zu klagen, wenn ein paarmal Hundertausend Deutsche
im Russenthume aufgehen, in jenem Nussenthume, welches so riefe
Sympathien sürjeden "guten Deutschen"und so großenAppetitnachunftrer


scher" die antirussischen Artikel der deutschen Zeitungen heftig tadeln
zu müssen glaubte, — also der Verfasser hat auch diesmal wieder
einen „gut deutschen" Trost bei der Hand für alle Glaubensverfol¬
gungen deutscher Katholiken und Protestanten in Rußland. Zwar,
sagt er, sei es unmöglich (???), die russische Politik in ihrem Ver¬
fahren zu hemmen, das Moskowitenthum sei von Außen wie von
Innen unnahbar und unangreifbar, die deutschen Elemente müssen
sich daher ohne Pardon von ihm fressen, verdauen und assimiliren
lassen, aber — — aber sie seien doch für die Menschheit nicht verlo¬
ren! Man solle nur nicht verzweifeln an der Bildungsfähigkeit der
russisch-griechischen Kirche; es sei zu hoffen, daß, wenn dieselbe nur
erst ihrer für jetzt ganz natürlichen Intoleranz genügt, wenn sie nur
erst gehörig um sich gegriffen und sich nach allen Seiten hin ar
rondirt und gesättigt haben wird, gewiß auch ein besseres, wahr¬
haft christliches Streben nach Reinigung und Läuterung der Lehre in
ihr erwachen werde. „Die Menge" sehe freilich nur die Harte und
Grausamkeit dieses Verspeisungs - und Assimilationsverfahrens, aber
nicht die wohlthätigen Folgen dieser Diät, die man an dem Speisen¬
den in künftigen Zeiten wahrnehmen werde. Wie telum auch in Nu߬
land vortreffliche kirchliche Blüthen emporspriefien würden, um in
dem Trifolium der drei großen Kirchen Europas auch das dritte Blatt
glänzend zu vertreten.—--Ist das nicht charmant, trostvoll, er¬
haben kosmopolitisch, echt oder vielmehr „gut deutsch ?" Was liegt
überhaupt daran, ob wir als Deutsche in der Welt fortexistiren! Und
wenn wir auch von Kirgisen oder Mongolen aufgefressen würden, wir
gehen ja doch nicht für die Menschheit verloren; die deutschen Ele¬
mente werden dann, sei es nun als Kitt und Mörtel an den frem¬
den Festungswerken, sei es als Chylus und Blut in fremden Einge¬
weiden und Adern, der Welt zu Gute kommen. Denkt man, als
echter Sproß des hindugcrmanischen Stammes, an die tiefsinnige
Philosophie der Seelenwanderung, so läßt man gewiß alle Sorgen
fahren, und ergötzt sich höchstens mit bramincnhafter Weisheit, in
träumerischem Phantasiespiel, an den überraschenden und seltsamen Ge¬
staltungen, in denen, durch scheinbare Vernichtungsprocesse, vielleicht
einst deutsche Kräfte eine Rolle spielen werden; manches deutsche Ele¬
ment kann einmal, als russischer Ronge, in die Weltgeschichte eingrei¬
fen, und wer weiß, wer weiß, was unserem Fleisch und Blut noch
für verklärende Metamorphosen vorbehalten sind; durch welche Wand¬
lungen, tief nach Asien hinein, es in neuen Formen auferstehen und
avanciren kann, bis es in Tibet vielleicht gar als Dalai-Lama-Ema¬
nation göttlich verehrt wird. Es ist daher, um wieder ernst zu reden,
lächerlich, darüber zu klagen, wenn ein paarmal Hundertausend Deutsche
im Russenthume aufgehen, in jenem Nussenthume, welches so riefe
Sympathien sürjeden „guten Deutschen"und so großenAppetitnachunftrer


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0151" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/181961"/>
            <p xml:id="ID_310" prev="#ID_309" next="#ID_311"> scher" die antirussischen Artikel der deutschen Zeitungen heftig tadeln<lb/>
zu müssen glaubte, &#x2014; also der Verfasser hat auch diesmal wieder<lb/>
einen &#x201E;gut deutschen" Trost bei der Hand für alle Glaubensverfol¬<lb/>
gungen deutscher Katholiken und Protestanten in Rußland. Zwar,<lb/>
sagt er, sei es unmöglich (???), die russische Politik in ihrem Ver¬<lb/>
fahren zu hemmen, das Moskowitenthum sei von Außen wie von<lb/>
Innen unnahbar und unangreifbar, die deutschen Elemente müssen<lb/>
sich daher ohne Pardon von ihm fressen, verdauen und assimiliren<lb/>
lassen, aber &#x2014; &#x2014; aber sie seien doch für die Menschheit nicht verlo¬<lb/>
ren! Man solle nur nicht verzweifeln an der Bildungsfähigkeit der<lb/>
russisch-griechischen Kirche; es sei zu hoffen, daß, wenn dieselbe nur<lb/>
erst ihrer für jetzt ganz natürlichen Intoleranz genügt, wenn sie nur<lb/>
erst gehörig um sich gegriffen und sich nach allen Seiten hin ar<lb/>
rondirt und gesättigt haben wird, gewiß auch ein besseres, wahr¬<lb/>
haft christliches Streben nach Reinigung und Läuterung der Lehre in<lb/>
ihr erwachen werde. &#x201E;Die Menge" sehe freilich nur die Harte und<lb/>
Grausamkeit dieses Verspeisungs - und Assimilationsverfahrens, aber<lb/>
nicht die wohlthätigen Folgen dieser Diät, die man an dem Speisen¬<lb/>
den in künftigen Zeiten wahrnehmen werde. Wie telum auch in Nu߬<lb/>
land vortreffliche kirchliche Blüthen emporspriefien würden, um in<lb/>
dem Trifolium der drei großen Kirchen Europas auch das dritte Blatt<lb/>
glänzend zu vertreten.&#x2014;--Ist das nicht charmant, trostvoll, er¬<lb/>
haben kosmopolitisch, echt oder vielmehr &#x201E;gut deutsch ?" Was liegt<lb/>
überhaupt daran, ob wir als Deutsche in der Welt fortexistiren! Und<lb/>
wenn wir auch von Kirgisen oder Mongolen aufgefressen würden, wir<lb/>
gehen ja doch nicht für die Menschheit verloren; die deutschen Ele¬<lb/>
mente werden dann, sei es nun als Kitt und Mörtel an den frem¬<lb/>
den Festungswerken, sei es als Chylus und Blut in fremden Einge¬<lb/>
weiden und Adern, der Welt zu Gute kommen. Denkt man, als<lb/>
echter Sproß des hindugcrmanischen Stammes, an die tiefsinnige<lb/>
Philosophie der Seelenwanderung, so läßt man gewiß alle Sorgen<lb/>
fahren, und ergötzt sich höchstens mit bramincnhafter Weisheit, in<lb/>
träumerischem Phantasiespiel, an den überraschenden und seltsamen Ge¬<lb/>
staltungen, in denen, durch scheinbare Vernichtungsprocesse, vielleicht<lb/>
einst deutsche Kräfte eine Rolle spielen werden; manches deutsche Ele¬<lb/>
ment kann einmal, als russischer Ronge, in die Weltgeschichte eingrei¬<lb/>
fen, und wer weiß, wer weiß, was unserem Fleisch und Blut noch<lb/>
für verklärende Metamorphosen vorbehalten sind; durch welche Wand¬<lb/>
lungen, tief nach Asien hinein, es in neuen Formen auferstehen und<lb/>
avanciren kann, bis es in Tibet vielleicht gar als Dalai-Lama-Ema¬<lb/>
nation göttlich verehrt wird. Es ist daher, um wieder ernst zu reden,<lb/>
lächerlich, darüber zu klagen, wenn ein paarmal Hundertausend Deutsche<lb/>
im Russenthume aufgehen, in jenem Nussenthume, welches so riefe<lb/>
Sympathien sürjeden &#x201E;guten Deutschen"und so großenAppetitnachunftrer</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0151] scher" die antirussischen Artikel der deutschen Zeitungen heftig tadeln zu müssen glaubte, — also der Verfasser hat auch diesmal wieder einen „gut deutschen" Trost bei der Hand für alle Glaubensverfol¬ gungen deutscher Katholiken und Protestanten in Rußland. Zwar, sagt er, sei es unmöglich (???), die russische Politik in ihrem Ver¬ fahren zu hemmen, das Moskowitenthum sei von Außen wie von Innen unnahbar und unangreifbar, die deutschen Elemente müssen sich daher ohne Pardon von ihm fressen, verdauen und assimiliren lassen, aber — — aber sie seien doch für die Menschheit nicht verlo¬ ren! Man solle nur nicht verzweifeln an der Bildungsfähigkeit der russisch-griechischen Kirche; es sei zu hoffen, daß, wenn dieselbe nur erst ihrer für jetzt ganz natürlichen Intoleranz genügt, wenn sie nur erst gehörig um sich gegriffen und sich nach allen Seiten hin ar rondirt und gesättigt haben wird, gewiß auch ein besseres, wahr¬ haft christliches Streben nach Reinigung und Läuterung der Lehre in ihr erwachen werde. „Die Menge" sehe freilich nur die Harte und Grausamkeit dieses Verspeisungs - und Assimilationsverfahrens, aber nicht die wohlthätigen Folgen dieser Diät, die man an dem Speisen¬ den in künftigen Zeiten wahrnehmen werde. Wie telum auch in Nu߬ land vortreffliche kirchliche Blüthen emporspriefien würden, um in dem Trifolium der drei großen Kirchen Europas auch das dritte Blatt glänzend zu vertreten.—--Ist das nicht charmant, trostvoll, er¬ haben kosmopolitisch, echt oder vielmehr „gut deutsch ?" Was liegt überhaupt daran, ob wir als Deutsche in der Welt fortexistiren! Und wenn wir auch von Kirgisen oder Mongolen aufgefressen würden, wir gehen ja doch nicht für die Menschheit verloren; die deutschen Ele¬ mente werden dann, sei es nun als Kitt und Mörtel an den frem¬ den Festungswerken, sei es als Chylus und Blut in fremden Einge¬ weiden und Adern, der Welt zu Gute kommen. Denkt man, als echter Sproß des hindugcrmanischen Stammes, an die tiefsinnige Philosophie der Seelenwanderung, so läßt man gewiß alle Sorgen fahren, und ergötzt sich höchstens mit bramincnhafter Weisheit, in träumerischem Phantasiespiel, an den überraschenden und seltsamen Ge¬ staltungen, in denen, durch scheinbare Vernichtungsprocesse, vielleicht einst deutsche Kräfte eine Rolle spielen werden; manches deutsche Ele¬ ment kann einmal, als russischer Ronge, in die Weltgeschichte eingrei¬ fen, und wer weiß, wer weiß, was unserem Fleisch und Blut noch für verklärende Metamorphosen vorbehalten sind; durch welche Wand¬ lungen, tief nach Asien hinein, es in neuen Formen auferstehen und avanciren kann, bis es in Tibet vielleicht gar als Dalai-Lama-Ema¬ nation göttlich verehrt wird. Es ist daher, um wieder ernst zu reden, lächerlich, darüber zu klagen, wenn ein paarmal Hundertausend Deutsche im Russenthume aufgehen, in jenem Nussenthume, welches so riefe Sympathien sürjeden „guten Deutschen"und so großenAppetitnachunftrer

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/151
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/151>, abgerufen am 09.06.2024.