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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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bringen. Und darin vor Allem ist der Grund zu suchen, warum die
deutschkatholische Bewegung bisher nur unter den zwischen Protestan¬
ten zerstreut liegenden kleinen katholischen Gemeinden Anhänger gefun¬
den hat, während da, wo die Gesammtheit der Bevölkerung rö¬
misch-katholisch ist, und sie doch mit einem Griffe mehr sassen könnte,
als unter den Zerstreuter in protestantischen Landen, ihre Wirkung
ganz null geblieben ist -- und zwar nicht bloß, wo ihre Aus¬
breitung verfehmt ist, wie in Oesterreich und Baiern, sondern auch
da wo sie von der Negierung sogar gerne gesehen würde, wie am
Rhein, in der schwäbischen Alp u. s. w.

Nebst dieser Spaltung und Gereiztheit auf geistigem Gebiete,
geht die deutsche Eintracht einer andern Prüfung aus materiellem
Felde entgegen. Der letzte Zollcongreß, der so viele Unzufrieden¬
heit hinterlassen, soll durch einen neuen, in Berlin zusammentreten¬
der ergänzt werden. Aber in der kurzen Zwischenzeit, wird wahr¬
scheinlich ein Ereigniß eintreten, das schroffer als je das Protec-
tionsprincip dem Systeme des freien Handels, den Süden dem
Norden entgegen zu stellen droht: die Aushebung oder die starke
Modisicirung der englischen Korngesetze. Die Gegenwirkung dieses
Ereignisses wird in Deutschland eine doppelte sein. Indem das
wohlfeilere Getreide die Arbeiterpreise in England verringern und
die Fabriken in den Stand setzen wird, noch wohlfeiler zu erzeugen,
wird in Deutschland die dadurch noch mehr bedrängte Industrie
den Schrei nach Schutzzöllen nothgedrungen um so lauter erheben,
während andererseits die deutschen Küstenstädte, deren Handel durch
die Ausfuhr des Getreides so wie durch die Einfuhr englischer
Waaren ein größerer Aufschwung bevorsteht, hartnäckiger als je
für den freien Handel stimmen werden. Jener "Riß in den Zoll¬
verein" der vor einigen Jahren einen so großen, glücklicherweise nur
blinden Lärm erregte, droht nun wirklich herein zu brechen und
traurig stehen die Vaterlandsfreunde an der Schwelle des neuen
Jahres und fragen: Wie wird das werden?

Nicht minder trübe wird der Blick des Patrioten, wenn er
sein Auge von der durch mannigfache natürliche Abgründe und
künstliche Gräben durchschnittene Ebne deutscher Einheit auf den
wolkenbehängten Horizont deutscher Freiheit richtet. Die Leipziger
Ereignisse haben eine traurige Reaction hinterlassen. Wenn schon


bringen. Und darin vor Allem ist der Grund zu suchen, warum die
deutschkatholische Bewegung bisher nur unter den zwischen Protestan¬
ten zerstreut liegenden kleinen katholischen Gemeinden Anhänger gefun¬
den hat, während da, wo die Gesammtheit der Bevölkerung rö¬
misch-katholisch ist, und sie doch mit einem Griffe mehr sassen könnte,
als unter den Zerstreuter in protestantischen Landen, ihre Wirkung
ganz null geblieben ist — und zwar nicht bloß, wo ihre Aus¬
breitung verfehmt ist, wie in Oesterreich und Baiern, sondern auch
da wo sie von der Negierung sogar gerne gesehen würde, wie am
Rhein, in der schwäbischen Alp u. s. w.

Nebst dieser Spaltung und Gereiztheit auf geistigem Gebiete,
geht die deutsche Eintracht einer andern Prüfung aus materiellem
Felde entgegen. Der letzte Zollcongreß, der so viele Unzufrieden¬
heit hinterlassen, soll durch einen neuen, in Berlin zusammentreten¬
der ergänzt werden. Aber in der kurzen Zwischenzeit, wird wahr¬
scheinlich ein Ereigniß eintreten, das schroffer als je das Protec-
tionsprincip dem Systeme des freien Handels, den Süden dem
Norden entgegen zu stellen droht: die Aushebung oder die starke
Modisicirung der englischen Korngesetze. Die Gegenwirkung dieses
Ereignisses wird in Deutschland eine doppelte sein. Indem das
wohlfeilere Getreide die Arbeiterpreise in England verringern und
die Fabriken in den Stand setzen wird, noch wohlfeiler zu erzeugen,
wird in Deutschland die dadurch noch mehr bedrängte Industrie
den Schrei nach Schutzzöllen nothgedrungen um so lauter erheben,
während andererseits die deutschen Küstenstädte, deren Handel durch
die Ausfuhr des Getreides so wie durch die Einfuhr englischer
Waaren ein größerer Aufschwung bevorsteht, hartnäckiger als je
für den freien Handel stimmen werden. Jener „Riß in den Zoll¬
verein" der vor einigen Jahren einen so großen, glücklicherweise nur
blinden Lärm erregte, droht nun wirklich herein zu brechen und
traurig stehen die Vaterlandsfreunde an der Schwelle des neuen
Jahres und fragen: Wie wird das werden?

Nicht minder trübe wird der Blick des Patrioten, wenn er
sein Auge von der durch mannigfache natürliche Abgründe und
künstliche Gräben durchschnittene Ebne deutscher Einheit auf den
wolkenbehängten Horizont deutscher Freiheit richtet. Die Leipziger
Ereignisse haben eine traurige Reaction hinterlassen. Wenn schon


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[0016] bringen. Und darin vor Allem ist der Grund zu suchen, warum die deutschkatholische Bewegung bisher nur unter den zwischen Protestan¬ ten zerstreut liegenden kleinen katholischen Gemeinden Anhänger gefun¬ den hat, während da, wo die Gesammtheit der Bevölkerung rö¬ misch-katholisch ist, und sie doch mit einem Griffe mehr sassen könnte, als unter den Zerstreuter in protestantischen Landen, ihre Wirkung ganz null geblieben ist — und zwar nicht bloß, wo ihre Aus¬ breitung verfehmt ist, wie in Oesterreich und Baiern, sondern auch da wo sie von der Negierung sogar gerne gesehen würde, wie am Rhein, in der schwäbischen Alp u. s. w. Nebst dieser Spaltung und Gereiztheit auf geistigem Gebiete, geht die deutsche Eintracht einer andern Prüfung aus materiellem Felde entgegen. Der letzte Zollcongreß, der so viele Unzufrieden¬ heit hinterlassen, soll durch einen neuen, in Berlin zusammentreten¬ der ergänzt werden. Aber in der kurzen Zwischenzeit, wird wahr¬ scheinlich ein Ereigniß eintreten, das schroffer als je das Protec- tionsprincip dem Systeme des freien Handels, den Süden dem Norden entgegen zu stellen droht: die Aushebung oder die starke Modisicirung der englischen Korngesetze. Die Gegenwirkung dieses Ereignisses wird in Deutschland eine doppelte sein. Indem das wohlfeilere Getreide die Arbeiterpreise in England verringern und die Fabriken in den Stand setzen wird, noch wohlfeiler zu erzeugen, wird in Deutschland die dadurch noch mehr bedrängte Industrie den Schrei nach Schutzzöllen nothgedrungen um so lauter erheben, während andererseits die deutschen Küstenstädte, deren Handel durch die Ausfuhr des Getreides so wie durch die Einfuhr englischer Waaren ein größerer Aufschwung bevorsteht, hartnäckiger als je für den freien Handel stimmen werden. Jener „Riß in den Zoll¬ verein" der vor einigen Jahren einen so großen, glücklicherweise nur blinden Lärm erregte, droht nun wirklich herein zu brechen und traurig stehen die Vaterlandsfreunde an der Schwelle des neuen Jahres und fragen: Wie wird das werden? Nicht minder trübe wird der Blick des Patrioten, wenn er sein Auge von der durch mannigfache natürliche Abgründe und künstliche Gräben durchschnittene Ebne deutscher Einheit auf den wolkenbehängten Horizont deutscher Freiheit richtet. Die Leipziger Ereignisse haben eine traurige Reaction hinterlassen. Wenn schon

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/16>, abgerufen am 15.05.2024.