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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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rechtigung zur Ertheilung von Unterricht beraubt worden. Nun hat
ihn kürzlich auch noch das Polizeipräsidium, wie es scheint, der Vor¬
trage wegen welche er im Handwerkervereine hielt, aus Berlin ge¬
wiesen. Es ist noch nicht gewiß, ob diese Maßregel wirklich zur Aus--
führung kommen werde; aber seltsam bleiben dergleichen Ausweisun-
chen immer, da der Ausgewiesene an einem anderen Orte doch schwer¬
lich anders wirken wird, als am hiesigen. Außer dieser Maßregel ge¬
gen den Herrn Behrends ist übrigens gegen den Handwerkerverein auch
noch die ergriffen worden, daß man den Borsteher, Stadtrath He¬
demann, ausdrücklich für alles was in den Versammlungen des Ver¬
eines vorgehen würde, verantwortlich gemacht hat. Einen verwandten
Charakter scheint die Weisung zu haben, welche an den hiesigen Ver¬
ein zur Verbreitung gemeinnütziger Vorschriften ergangen ist, jede
Schrift die er herauszugeben Willens sei, dem Polizeiprasidio zuvor
zur Genehmigung einzureichen. Es ist sogleich darüber geschrien wor¬
den, daß diese Maßregel ungesetzlich sei, da Schriften aller Art unter
20 Bogen nur der gewöhnlichen Censur, und solche über 20 Bogen
der Vorlegung 24 Stunden vor der Ausgabe unterworfen sind; je¬
doch was will man? es ist eine Präventivmaßregel wie so viele an¬
dere; in Betracht des besonderen Zweckes welchen der Verein hat,
auf die untern Klassen zu wirken, ist eine besondere Controlle nöthig
desund.n worden; ohne Zweifel wird dieser nöthigen Falls die königli¬
che und somit gesetzliche Bestätigung nicht entstehen.

Ich habe schon beiläufig von der Pestalozzistiftung gesprochen.
Dem Pestalozzifest ist hier bekanntlich im vorigen Jahre zu Ehren
Diesterwegs vorgegriffen worden, indem man zu gedachter Stiftung
am Geburtstage des genannten Seminardirectors den Grund legte.
Dieses Jahr hat nun die eigentliche Jubiläumsfeier in einer zahlrei¬
chen, meist aus Lehrern bestehenden Gesellschaft statt gefunden. Die-
sterweg hielt dabei eine Rede, in welcher er unter Anderem den Hu¬
manismus als das wahre Christenthum bezeichnete. Humanismus und
Christenthum, meinte er, sei eines und dasselbe, oder wenigstens sollte
es doch so sein. Ist aber dann wohl abzusehen, warum man noch
auf den Namen Christenthum bestehen sollte, warum auf einen "christ¬
lichen" Staat? Sei man alsdann doch ehrlich, und sage: was wir
am Christenthums noch erkennen und zu haben vermeinen, ist weiter
nichts als was, unserer Ansicht nach, das rein Menschliche an ihm
ist, die Bruderliebe! Das ist aber eben dann Menschenthum und
nicht Christenthum. Soll vom Christenthums die Rede sein, so gehört
dazu nothwendig irgend etwas Specifisches, was das Christenthum
zum Christenthums macht, und das ist die Gottheit Christi, diese Idee,
dieser Name, durch welchen man in welchem Sinne es nun im¬
mer sei -- selig zu werden hofft. -- Der Prediger Pischon brachte
mit Recht einen Streitpunkt des vorigen Jahres wieder aufs Tapet


rechtigung zur Ertheilung von Unterricht beraubt worden. Nun hat
ihn kürzlich auch noch das Polizeipräsidium, wie es scheint, der Vor¬
trage wegen welche er im Handwerkervereine hielt, aus Berlin ge¬
wiesen. Es ist noch nicht gewiß, ob diese Maßregel wirklich zur Aus--
führung kommen werde; aber seltsam bleiben dergleichen Ausweisun-
chen immer, da der Ausgewiesene an einem anderen Orte doch schwer¬
lich anders wirken wird, als am hiesigen. Außer dieser Maßregel ge¬
gen den Herrn Behrends ist übrigens gegen den Handwerkerverein auch
noch die ergriffen worden, daß man den Borsteher, Stadtrath He¬
demann, ausdrücklich für alles was in den Versammlungen des Ver¬
eines vorgehen würde, verantwortlich gemacht hat. Einen verwandten
Charakter scheint die Weisung zu haben, welche an den hiesigen Ver¬
ein zur Verbreitung gemeinnütziger Vorschriften ergangen ist, jede
Schrift die er herauszugeben Willens sei, dem Polizeiprasidio zuvor
zur Genehmigung einzureichen. Es ist sogleich darüber geschrien wor¬
den, daß diese Maßregel ungesetzlich sei, da Schriften aller Art unter
20 Bogen nur der gewöhnlichen Censur, und solche über 20 Bogen
der Vorlegung 24 Stunden vor der Ausgabe unterworfen sind; je¬
doch was will man? es ist eine Präventivmaßregel wie so viele an¬
dere; in Betracht des besonderen Zweckes welchen der Verein hat,
auf die untern Klassen zu wirken, ist eine besondere Controlle nöthig
desund.n worden; ohne Zweifel wird dieser nöthigen Falls die königli¬
che und somit gesetzliche Bestätigung nicht entstehen.

Ich habe schon beiläufig von der Pestalozzistiftung gesprochen.
Dem Pestalozzifest ist hier bekanntlich im vorigen Jahre zu Ehren
Diesterwegs vorgegriffen worden, indem man zu gedachter Stiftung
am Geburtstage des genannten Seminardirectors den Grund legte.
Dieses Jahr hat nun die eigentliche Jubiläumsfeier in einer zahlrei¬
chen, meist aus Lehrern bestehenden Gesellschaft statt gefunden. Die-
sterweg hielt dabei eine Rede, in welcher er unter Anderem den Hu¬
manismus als das wahre Christenthum bezeichnete. Humanismus und
Christenthum, meinte er, sei eines und dasselbe, oder wenigstens sollte
es doch so sein. Ist aber dann wohl abzusehen, warum man noch
auf den Namen Christenthum bestehen sollte, warum auf einen „christ¬
lichen" Staat? Sei man alsdann doch ehrlich, und sage: was wir
am Christenthums noch erkennen und zu haben vermeinen, ist weiter
nichts als was, unserer Ansicht nach, das rein Menschliche an ihm
ist, die Bruderliebe! Das ist aber eben dann Menschenthum und
nicht Christenthum. Soll vom Christenthums die Rede sein, so gehört
dazu nothwendig irgend etwas Specifisches, was das Christenthum
zum Christenthums macht, und das ist die Gottheit Christi, diese Idee,
dieser Name, durch welchen man in welchem Sinne es nun im¬
mer sei — selig zu werden hofft. — Der Prediger Pischon brachte
mit Recht einen Streitpunkt des vorigen Jahres wieder aufs Tapet


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/191>, abgerufen am 15.05.2024.