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Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band.

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sänge oder lauter Elegie" " I-t Jeremias vorstellen wollte; sie erin¬
nern fast niemals an unsere politische Poesie. Es galt, die irische
Musik, welche der getreueste Spiegel des irischen Volkscharakters
ist, in Worte zu übersetzen; eine Aufgabe, die schwerer ist, als sie
aussieht. Wie beim irländischen Volk Trotz und Mutlosigkeit,
aufblitzende Thatlust und schmachtende Melancholie, elegischer
Schmerz und ritterlicher Leichtsinn ein chevalereskes Gemisch bil¬
den, eben so wechseln bei Moore Schlachtgesänge mit Liebeöroman-
zen, Todtenklagen mit Festhymnen ab. Halbmychologischx Erinne¬
rungen mischen sich unter die Anspielungen auf die Gegenwart oder
nächste Vergangenheit, Kilo" tlo liiilvo steht neben Robert Emmet,
Rosna Hall, Tara und die runden Thürme der alten Zeit sind
die Schauplätze, die das Echo moderner Empfindungen verstärken.
Das ist ächt irisch, und man kann dieselben Dekorationsmalereien
noch in O'Connel's neuesten Reden finden, denn es scheint, daß
die Erinnerungen aus den Zeiten vor H. Patrick in Irland eben
so populär und vielleicht eben so heilig sind, wie die katholischen
Traditionen und Mythen. Wunderbar ist zugleich in diesen Lie¬
dern der vollkommene Zusammenklang von Wort und Musik, die
unendliche Mannigfaltigkeit der Rhythmen und die glückliche An"
Wendung des Refrains. Wie ein Componist, der die innerste Seele
eines Götheschen Liedes erräth und in Musik kleidet, mit Recht für
einen Meister gilt, so hat Moore umgekehrt sich als Meister be¬
wiesen, indem er den irren Seelen vaterländischer Musik die schön¬
sten Leiber, die ausdruckvollsten sichtbarsten Physiognomien gab.
Moore'S Lieder werden gesungen werden, so lange ein Irland und
ein irländisches Volk eristiren. Byron sagte öfters: Moore hat in
seiner Musik, seiner Stimme, seiner Poesie ein Etwas, das ihm
Keiner nachmacht oder je nachmachen wird.

Aus jener Zeit stammen die ersten Beziehungen zwischen Tho¬
mas Moore und Lord Byron. Der letztere hatte in seiner Satyre
"Englische Barden und schottische Kritiker" das Duell zwischen
Moore und Jeffrey persifflirt. Moore verlangte dafür Genug¬
thuung, aber sein Brief traf Byron nicht mehr, da dieser eben nack>
dem Orient abgereist war. In seinem zweiten Briefe bat er daher
-- sich auf Weib und Kinder besinnend -- blos um Unterdrückung
der betreffenden Stelle. Byron erklärte darauf, er habe blos Jef-


sänge oder lauter Elegie» » I-t Jeremias vorstellen wollte; sie erin¬
nern fast niemals an unsere politische Poesie. Es galt, die irische
Musik, welche der getreueste Spiegel des irischen Volkscharakters
ist, in Worte zu übersetzen; eine Aufgabe, die schwerer ist, als sie
aussieht. Wie beim irländischen Volk Trotz und Mutlosigkeit,
aufblitzende Thatlust und schmachtende Melancholie, elegischer
Schmerz und ritterlicher Leichtsinn ein chevalereskes Gemisch bil¬
den, eben so wechseln bei Moore Schlachtgesänge mit Liebeöroman-
zen, Todtenklagen mit Festhymnen ab. Halbmychologischx Erinne¬
rungen mischen sich unter die Anspielungen auf die Gegenwart oder
nächste Vergangenheit, Kilo» tlo liiilvo steht neben Robert Emmet,
Rosna Hall, Tara und die runden Thürme der alten Zeit sind
die Schauplätze, die das Echo moderner Empfindungen verstärken.
Das ist ächt irisch, und man kann dieselben Dekorationsmalereien
noch in O'Connel's neuesten Reden finden, denn es scheint, daß
die Erinnerungen aus den Zeiten vor H. Patrick in Irland eben
so populär und vielleicht eben so heilig sind, wie die katholischen
Traditionen und Mythen. Wunderbar ist zugleich in diesen Lie¬
dern der vollkommene Zusammenklang von Wort und Musik, die
unendliche Mannigfaltigkeit der Rhythmen und die glückliche An«
Wendung des Refrains. Wie ein Componist, der die innerste Seele
eines Götheschen Liedes erräth und in Musik kleidet, mit Recht für
einen Meister gilt, so hat Moore umgekehrt sich als Meister be¬
wiesen, indem er den irren Seelen vaterländischer Musik die schön¬
sten Leiber, die ausdruckvollsten sichtbarsten Physiognomien gab.
Moore'S Lieder werden gesungen werden, so lange ein Irland und
ein irländisches Volk eristiren. Byron sagte öfters: Moore hat in
seiner Musik, seiner Stimme, seiner Poesie ein Etwas, das ihm
Keiner nachmacht oder je nachmachen wird.

Aus jener Zeit stammen die ersten Beziehungen zwischen Tho¬
mas Moore und Lord Byron. Der letztere hatte in seiner Satyre
„Englische Barden und schottische Kritiker" das Duell zwischen
Moore und Jeffrey persifflirt. Moore verlangte dafür Genug¬
thuung, aber sein Brief traf Byron nicht mehr, da dieser eben nack>
dem Orient abgereist war. In seinem zweiten Briefe bat er daher
— sich auf Weib und Kinder besinnend — blos um Unterdrückung
der betreffenden Stelle. Byron erklärte darauf, er habe blos Jef-


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[0214] sänge oder lauter Elegie» » I-t Jeremias vorstellen wollte; sie erin¬ nern fast niemals an unsere politische Poesie. Es galt, die irische Musik, welche der getreueste Spiegel des irischen Volkscharakters ist, in Worte zu übersetzen; eine Aufgabe, die schwerer ist, als sie aussieht. Wie beim irländischen Volk Trotz und Mutlosigkeit, aufblitzende Thatlust und schmachtende Melancholie, elegischer Schmerz und ritterlicher Leichtsinn ein chevalereskes Gemisch bil¬ den, eben so wechseln bei Moore Schlachtgesänge mit Liebeöroman- zen, Todtenklagen mit Festhymnen ab. Halbmychologischx Erinne¬ rungen mischen sich unter die Anspielungen auf die Gegenwart oder nächste Vergangenheit, Kilo» tlo liiilvo steht neben Robert Emmet, Rosna Hall, Tara und die runden Thürme der alten Zeit sind die Schauplätze, die das Echo moderner Empfindungen verstärken. Das ist ächt irisch, und man kann dieselben Dekorationsmalereien noch in O'Connel's neuesten Reden finden, denn es scheint, daß die Erinnerungen aus den Zeiten vor H. Patrick in Irland eben so populär und vielleicht eben so heilig sind, wie die katholischen Traditionen und Mythen. Wunderbar ist zugleich in diesen Lie¬ dern der vollkommene Zusammenklang von Wort und Musik, die unendliche Mannigfaltigkeit der Rhythmen und die glückliche An« Wendung des Refrains. Wie ein Componist, der die innerste Seele eines Götheschen Liedes erräth und in Musik kleidet, mit Recht für einen Meister gilt, so hat Moore umgekehrt sich als Meister be¬ wiesen, indem er den irren Seelen vaterländischer Musik die schön¬ sten Leiber, die ausdruckvollsten sichtbarsten Physiognomien gab. Moore'S Lieder werden gesungen werden, so lange ein Irland und ein irländisches Volk eristiren. Byron sagte öfters: Moore hat in seiner Musik, seiner Stimme, seiner Poesie ein Etwas, das ihm Keiner nachmacht oder je nachmachen wird. Aus jener Zeit stammen die ersten Beziehungen zwischen Tho¬ mas Moore und Lord Byron. Der letztere hatte in seiner Satyre „Englische Barden und schottische Kritiker" das Duell zwischen Moore und Jeffrey persifflirt. Moore verlangte dafür Genug¬ thuung, aber sein Brief traf Byron nicht mehr, da dieser eben nack> dem Orient abgereist war. In seinem zweiten Briefe bat er daher — sich auf Weib und Kinder besinnend — blos um Unterdrückung der betreffenden Stelle. Byron erklärte darauf, er habe blos Jef-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 5, 1846, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341550_181809/214>, abgerufen am 10.06.2024.